Hamburg. Volkspark-Fazit: fünf Hamburg-Spiele, Hunderttausende Fans aus neun Nationen und Lob vom Bürgermeister. Doch nicht alles lief perfekt.
Wer am Sonntagvormittag das etwas in die Jahre gekommene Hotel Helgoland an der Kieler Straße betritt, der könnte den Eindruck bekommen, dass die EM zwei Tage zuvor zu Ende gegangen ist. Fans in Trikots checken aus, hier sieht man einen müden Anhänger mit Frankreich-Hut, dort einen traurigen Portugiesen mit Ronaldo-Shirt. Und mitten in der Lobby eine große Pinnwand mit allen Ergebnissen und Teams dieser Europameisterschaft – eingetragen allerdings nur bis Freitagabend.
Nachdem zunächst Deutschland gegen Spanien und dann Portugal im Volksparkstadtion gegen Frankreich verloren hatten, hatten die Hotelangestellten offenbar keine Lust mehr, den Rest der Viertelfinalergebnisse zu vervollständigen. Der Sieg der Niederlande gegen die Türkei? Achselzucken. Englands glücklicher Elfmetererfolg gegen die Schweiz? Na und! Die EM in Hamburg, so der Eindruck an diesem Sonntagmorgen, ist vorbei.
Bürgermeister Tschentscher: EM in Hamburg war ein Erfolg
Das ist richtig und falsch zugleich. Denn einerseits läuft die Europameisterschaft mit den beiden Halbfinals und dem Endspiel natürlich noch eine Woche, andererseits ist das letzte Hamburg-Spiel abgepfiffen und durch das bittere Deutschland-Aus gegen Spanien bei vielen in der Hansestadt ein gewisser EM-Kater zu vernehmen.
Bei vielen, nicht aber bei Peter Tschentscher. „Mein persönliches Highlight war das Viertelfinale gegen Spanien“, sagt Hamburgs Erster Bürgermeister, der für seinen ungewöhnlichen EM-Höhepunkt aber eine gute Begründung hat: Das DFB-Team habe eine starke Leistung gezeigt, sagt der SPD-Politiker. „Es hat Fußball-Deutschland bestens im Turnier vertreten. Hut ab, vielen Dank und alles Gute für die Weltmeisterschaft 2026!“
Doch bevor der Blick bereits zur nächsten WM geht, zieht Bürgermeister Tschentscher zunächst ein sehr positives Fazit der EM in Hamburg. Fünf Spiele, neun Nationen, Hunderttausende Gäste aus dem Ausland und 500.000 Menschen beim Public Viewing und auf der Fanzone auf dem Heiligengeistfeld. „Die EURO 2024 ist in Hamburg zu einem großen Fußballfest geworden“, sagt der HSV-Sympathisant.
Bei den Spielen Niederlande gegen Polen und Kroatien gegen Albanien war er selbst im Stadion, nachdem er Staatsgäste aus den Ländern im Rathaus begrüßt hatte. Die anderen Spiele habe er am Fernseher verfolgt. „Ich freue mich, dass sich Hamburg wieder als guter Gastgeber für Sportereignisse der Spitzenklasse gezeigt hat“, sagt Bürgermeister Tschentscher.
Der Fanmarsch der Niederländer bleibt unvergessen
Unvergessen: Der niederländische Fanmarsch über die Reeperbahn, Tausende Kroaten am Stephansplatz, singende Albaner, tanzende Polen, friedliche Tschechen, beeindruckende Georgier, lautstarke Türken, ekstatische Portugiesen und jubelnde Franzosen. „Die Fans der Mannschaften haben ihre Teams mit großer Energie und Begeisterung unterstützt“, lobt Tschentscher.
Ähnlich dürfte es auch Innen- und Sportsenator Andy Grote sehen, der sich aber nicht selbst äußern will. Ein Sprecher der Innenbehörde erinnert aber daran, dass das Sicherheitskonzept funktioniert, Hamburg auch wirtschaftlich profitiert, erfolgreiches Standort-Marketing betrieben und eine Brücke zwischen Fußball und Kultur geschlagen habe. Oder mit anderen Worten: alles super!
Bei aller berechtigten Lobhudelei klammert die Politik allerdings die vom Abendblatt aufgedeckte Thematik rund um die fragwürdigen Zustände im Sicherheitsdienst gekonnt aus. Kein Mindestlohn, keine Verträge, keine entsprechenden Einweisungen – kein Kommentar.
Immerhin, Sportstaatsrat Christoph Holstein gibt bei der Bitte um ein EM-Fazit keine typische Politikerantwort, sondern sieht neben all dem Positiven auch das Negative. Vor allem: Das Wetter. „Kann sein, dass die Unternehmen auf der Fanzone nicht ganz so begeistert sind“, sagt Holstein, den außer dem Dauerregen noch eine zweite Sache nervte.
Sportstaatsrat kritisiert EM-„Spaßbremsen“
„Dass sich Einzelne über die feiernden holländischen Fans an einem Sonntagmorgen um 9 Uhr beklagen und ignorieren, dass an jedem Sonntagmorgen um 6 Uhr Flugzeuge am Airport starten und landen“, so der Staatsrat, dem für diese Art von Beschwerdekultur nur ein Wort einfällt: „Spaßbremsen“.
Insgesamt ist aber auch Holstein begeistert von der EM in Hamburg. „Ich hab das Volksparkstadion noch nie so laut und so emotional erlebt. Das war mehr als Waldschmidt 2017“, sagt der Politiker, der an die Nicht-Abstiegsparty des HSV am letzten Spieltag 2016/17 erinnert.
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Das ist lang her. Im Hier und Jetzt: ganz viele glückliche, feiernde und friedliche Menschen aus unterschiedlichen Nationen. „Es gibt den Begriff Happyness-Faktor: Wir hatten wahrscheinlich seit Corona-Beginn nicht mehr diese positive Stimmung in der Stadt“, sagt der Staatsrat, der selbst drei Spiele im Stadion gesehen hat.
Sein persönliches Highlight zu Fuß („weil ich ein Gefühl kriegen wollte“) auf dem Weg ins Stadion: „Drei Tschechen, drei Bierdosen. Sie bleiben bei einem Pfandsammler stehen, trinken in Ruhe aus und geben ihre Büchsen ab. Freundlich, locker. Nicht so wie Almosen. Das war für mich auch ein bisschen ,united by football‘.“
Das Gesamtfazit über die EM in Hamburg bleibt sehr positiv
Ein schöner Gedanke, auch wenn am Ende natürlich mehr als drei Dosen von dieser EM in Hamburg bleiben. Es bleibt vor allem ein Fazit dieser Europameisterschaft in einem geteilten Europa: Gemeinsam feiern geht ja doch – auch in diesen Zeiten.
Das Schlusswort von Christoph Holstein: „Die Welt ist schwierig genug…“