Hamburg. Drei Hamburger Football-Idole erinnern sich vor der Sea-Devils-Rückkehr an die großen Zeiten ihres Sports im Volkspark.
„Guck hier“, sagt Max von Garnier und zeigt auf seinen Unterarm, der noch immer kräftiger ist als bei vielen der Oberarm, „ich kriege jetzt schon Gänsehaut, wenn ich dran denke!“ Die Frage war gewesen, welche Emotionen er mit seiner Rückkehr ins Volksparkstadion verbinde, und weil der 52-Jährige schon immer einer war, der das Herz und bisweilen auch das Hirn auf der Zunge trug, wirkt diese Frage wie der berüchtigte Stich ins Wespennest. Die Erinnerungen schwirren heraus aus dem Mann, der in den 90er- und 2000er-Jahren das Gesicht des American Footballs in Hamburg war.
An diesem Sonntag (16.25 Uhr/ProSieben Maxx), wenn die Hamburg Sea Devils in der Europaliga ELF zu ihrem ersten Heimspiel der Saison 2023 Düsseldorf Rhein Fire im Volksparkstadion empfangen, wird der frühere Widereceiver der Hamburg Blue Devils in offizieller Funktion dabei sein.
Flag Football als Vorspiel am Sonntag
Für die US-Eliteliga NFL leitet Max von Garnier den Spielbetrieb im deutschen Flag Football, einer Spielvariante ohne die körperliche Komponente des Tacklings. Gespielt wird in Regionalturnieren, zu denen Schulklassen der Altersstufen fünf bis acht antreten. Von Garnier ist dafür zuständig, Sportlehrer zu Footballcoaches fortzubilden, mehr als 300 hat er seit vergangenem Jahr geschult.
Als Vorspiel vor dem Highlight, für das bereits 27.500 Tickets verkauft sind, finden die Finals der Regionalmeisterschaften statt, die Sieger daraus kämpfen im Herbst in Düsseldorf um eine Einladung zum NFL All-Star-Spiel 2024. „Das ist für die Kids der absolute Hammer und auch für mich grandios“, sagt er.
Bei der Einordnung der historischen Dimension des Spiels landet der 1,90 Meter große Passempfänger bei seinen eigenen Anfängen. 1992 sei er vor allem deshalb von den Berlin Rebels aus seiner Heimatstadt nach Hamburg gewechselt, „weil man mir sagte, dass im Volksparkstadion gespielt werden soll. Für mich war das ein absoluter Treiber, ich konnte kaum glauben, dass das wahr sein sollte“, erinnert er sich.
Erster Touchdown 1992 gegen Moskau
Weil damalige Pläne für eine Europaliga nicht umgesetzt wurden, ließ der umtriebige Blue-Devils-Macher Axel Gernert sein Team zu einzelnen Partien gegen internationale Konkurrenz antreten. Max von Garnier erinnert sich mit einem breiten Grinsen im Gesicht an seinen ersten Touchdown beim 40:0-Sieg gegen die Moskau Bears im September 1992.
6200 Fans verloren sich in der damaligen Betonschüssel Volksparkstadion. „Aber für mich war das ein Moment, den ich nie vergesse“, sagt von Garnier und zeigt wieder auf die Gänsehaut auf seinen Armen. Von Jahr zu Jahr wuchs in jener Zeit die Fangemeinde der „Blauen Teufel“, die von 1996 bis 1998 dreimal in Serie Eurobowl-Champion wurden und sich in der Hamburger Gesellschaft schnell das Image erarbeiteten, die „größte Party der Stadt“ zu veranstalten.
„Wir hatten einen Frauenanteil von bis zu 40 Prozent im Stadion“, sagt Max von Garnier. Der Unterschied von damals zu heute sei, dass das Publikum deutlich fachkundiger daherkommt. „Damals kannte kaum jemand die Spielregeln. Wenn einer gebrüllt hat, haben die anderen mitgebrüllt. Heute wissen fast alle genau, was auf dem Feld abgeht.“
1999 German Bowl vor 30.400 Fans
1999 hatte „Mega Max“ das Vergnügen, vor einer ähnlichen Kulisse aufzulaufen, wie sie am Sonntag erwartet wird. „Wir spielten das German-Bowl-Finale im Volkspark gegen die Braunschweig Lions. Axel Gernert hatte nicht verraten, wie viele Tickets verkauft waren, und wir mussten uns vorm Stadion warm machen.“
„Als wir im Spielertunnel standen, hörte ich die Massen und sah zwei Wände, eine blaue und eine in orange. Da stehst du ehrfürchtig und fragst dich: Was mache ich hier gerade?“, sagt er. 30.400 Fans sahen, wie die Devils tragisch mit 24:25 unterlagen, weil Kicker Timo Erbs beim Extrapunktversuch nur die Torstange traf.
Drei Jahre zuvor hatte Patrick Esume seinen ersten prägenden Volksparkmoment. Der 49-Jährige, heute das bekannteste Football-Gesicht Deutschlands und als Commissioner für die Geschicke der ELF zuständig, wurde im Oktober 1996 als Spieler deutscher Meister mit den Blue Devils, gewann vor 19.700 Fans im Volksparkstadion das Finale gegen die Düsseldorf Panther mit 31:12.
Esume denkt gern an Notre Dame zurück
„Die schönste Erinnerung ist mir aber an das Charity Game im Jahr 2000 gegen ein Alumni-Team der Notre Dame geblieben. Gegen solche Legenden anzutreten, das war etwas ganz Besonderes“, sagt er.
Am Donnerstagmittag steht Charles Jones auf dem Rasen des Stadions, lässt seinen Blick über die leeren Ränge schweifen. Dann atmet der Cheftrainer der Hamburg Sea Devils tief durch und sagt: „Ich weiß, dass die Kulisse am Sonntag für einige meiner Jungs ziemlich einschüchternd werden kann. Aber ich werde ihnen sagen: Geht da raus und genießt es, die Fans werden euch mit ihrer Wärme tragen!“
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Der 63 Jahre alte US-Amerikaner weiß, wovon er spricht, auch er hat das Volksparkstadion als Spielstätte lieben gelernt. 2007, als die Sea Devils in der nach jener Saison eingestellten NFL Europa vor fast auf den Tag genau 16 Jahren das letzte Footballspiel im damals unter AOL Arena firmierenden Stadion vor 30.528 Menschen austrugen, war Jones Linebacker-Coach der Hamburger.
Coach Jones trägt besonderes Shirt
„Wir haben damals 36:31 gegen Frankfurt Galaxy gewonnen und die Teilnahme am Finale gesichert, das wir dann Ende Juni in Frankfurt gegen die Galaxy gewannen. Die Atmosphäre, die die Fans verbreitet haben, werde ich niemals im Leben vergessen“, sagt er.
Der damalige Fanbeauftragte hatte dem Trainerstab zum Abschied T-Shirts mit der Aufschrift „Der zwölfte Mann“ geschenkt, um an die Zuneigung des Publikums zu erinnern. Am Sonntag wird Charles Jones dieses Hemd im Gedenken an den vor einigen Monaten an Krebs verstorbenen Mitarbeiter mit sich tragen, wie er es immer tut.
„Ich werde mir einen Moment der Stille nehmen, um mich an diese Zeiten zu erinnern“, sagt er. Es dürfte der einzige Moment bleiben, in dem Ruhe herrscht am Sonntag, bei der Rückkehr des Footballs auf die große Hamburger Bühne.