Hamburg. Hamburger Liga-Chef spricht über neue Teams der European League of Football, den Fall Toonga und die Chancen der Sea Devils.
Gut sieben Monate sind vergangen, seit die Hamburg Sea Devils das Finale der Saison 2022 in der American-Football-Europaliga ELF gegen die Vienna Vikings mit 15:27 verloren. An diesem Sonnabend – die Hamburger müssen auswärts um 17 Uhr bei den Wroclaw Panthers in Polen ran – startet die ELF in ihre dritte Saison.
Patrick Esume (49), in Hamburg ansässiger Commissioner der Liga, spricht exklusiv im Abendblatt über die Entwicklung der ELF, seine Erwartungen für die neue Spielzeit und darüber, wie die US-Eliteliga NFL auf Europa schaut.
Hamburger Abendblatt: Herr Esume, die Pause ist beendet, die ELF geht am Sonnabend in die dritte Saison. Was war für Sie in der Off-Season die größte Baustelle in der Fortentwicklung Ihres Herzensprojekts?
Patrick Esume: Auf der wirtschaftlichen Seite ganz klar der Ausbau der Distribution. Wir wollen unsere Spiele in diesem Jahr in Afrika auf einem neuen Kontinent sichtbar machen. In den USA planen wir über Comcast in rund 70 Millionen Haushalten im Streaming präsent zu sein. Wir starten im Gamingbereich ein Fantasy-Football-Management-Spiel, werden Panini-Fancards anbieten, haben die Digitalisierung vorangetrieben. All das sind wichtige Schritte, um die Glaubwürdigkeit und die Professionalisierung der ELF zu erhöhen.
American Football: ELF soll weiter wachsen
Sportlich hat sich die Liga erneut immens vergrößert. Von acht Teams in der Premierensaison 2021 über zwölf im vergangenen Jahr sind Sie bei jetzt 17 Franchises angekommen. Ist dieses Wachstum noch gesund, oder geht es Ihnen zu schnell?
Im vergangenen Jahr hatte ich gesagt, dass wir um vier Teams wachsen wollen. Nun sind wir eins über dieser Marke, das halte ich noch für verkraftbar. Unser Wachstum ist ambitioniert, keine Frage. Aber es gab für ein Projekt wie die ELF keine Blaupause, und trotz aller Herausforderungen, die es gibt, sind wir auf einem guten Weg.
Was sind denn die größten Schwierigkeiten, vor denen die Liga bei der Aufnahme neuer Franchises steht?
Der Schritt vom Amateursport in den Profibereich ist sehr herausfordernd. An einigen Standorten, ich nenne als Beispiel die Paris Musketeers oder die Helvetic Guards, gab es keine Strukturen. Aus dem Nichts in die ELF, das ist ein Mammutprojekt. Vor allem braucht es eine große Zahl an Mitarbeitern, um die Anforderungen zu erfüllen. Selbst bei den Milano Seamen, die aus der italienischen Liga kamen, sind viele Dinge noch nie dagewesen. Das erfordert Geduld. Ich kann aber sagen, dass sich an allen Standorten die Verantwortlichen den Allerwertesten aufreißen, um das zu meistern.
Sie sprachen im vergangenen Jahr davon, in dieser Saison den Break-Even-Point erreichen zu können. Wie weit sind Sie davon entfernt, Gewinn zu machen? Wie viele Franchises hängen am Tropf der Liga?
Am Tropf der Liga hängt niemand, das ist nicht unsere Aufgabe. Am Tropf ihrer Franchisenehmer hängen alle, und das wird mehrheitlich auch nach dieser Saison so sein, denn das sind alles Start-ups, die sich als Marke an ihrem Standort etablieren müssen. Einige Teams werden aber in diesem Jahr beginnen, schwarze Zahlen zu schreiben. Und wenn wir bedenken, dass wir 2021 in einem extrem schwierigen Umfeld mitten in der Corona-Pandemie gestartet sind und 2022 der Ukraine-Konflikt großen Einfluss hatte, ist das wirklich unglaublich. Hätte mir jemand im Frühjahr 2021 gesagt, dass wir zwei Jahre später 17 Teams in der Liga hätten, hätte ich den zum Arzt geschickt.
Istanbul Rams mussten zurückziehen
Eigentlich wären es 18 gewesen, die Istanbul Koc Rams haben ihr Team aber zurückziehen müssen. Das ist in Start-up-Phasen zwar normal, wäre es dennoch zu verhindern gewesen? Wie sehr wurmt es Sie?
Natürlich wäre es schön gewesen, die Türkei als Markt weiterhin dabei zu haben. Aber die Entwicklung der türkischen Lira im Angesicht der Krisen war so dramatisch, dass es wirtschaftlich nicht sinnvoll gewesen wäre. Gegen solche Dinge ist man nie gefeit. Wir sind mit Istanbul aber weiterhin im Austausch, das sportliche Potenzial dort ist groß, was das Team in der zweiten Saisonhälfte gezeigt hat.
Tatsächlich gab es in der vergangenen Saison ein paar Ergebnisse, die an der sportlichen Wettbewerbsfähigkeit einiger Teams zweifeln ließen. Droht diese mit dem Zuwachs weiter zu verwässern?
Je weiter man wächst, desto größer wird das Risiko, dass auch mal ein Team nicht mithalten kann. Für diese Saison sehe ich das aber überhaupt nicht kommen. Sportlich wird dieses Jahr absurd gut werden. Mit Frankreich haben wir eine der Top-zwei-Nationen des europäischen Footballs dabei. Auch die Schweizer, die Ungarn, die Italiener und die Munich Ravens sind starke Franchises. Und Stuttgart Surge, die in der vergangenen Saison wegen interner Probleme manchmal geschwächelt haben, sind für mich das Dark Horse der Saison, der Geheimkandidat, es sehr weit zu schaffen.
Für die kommende Saison haben Sie bereits Madrid als neuen Standort bekannt gegeben. Ein offenes Geheimnis ist, dass London dazukommen soll, auch Amsterdam. Wie viel Wachstum streben Sie 2024 an?
Wir werden 20 oder 21 Teams haben. London ist angesichts der hohen Kosten in England nicht ganz einfach, da muss alles passen. Amsterdam hatte schon mal ein Team in der NFL Europe. Wir sind in vielen Gesprächen und haben viele Ideen.
Eine Idee für diese Saison war, die Zahl der europäischen Ausländer in den Kadern um zwei zu verkleinern. Warum?
Unser Fokus liegt ganz klar darauf, die sogenannten „Home Grown Player“, also die Eigengewächse zu stärken. Dafür sind wir angetreten, und das verfolgen wir kontinuierlich.
Reicht an allen Standorten das Reservoir an Talenten aus? Hamburg hat wenig Konkurrenz im Umfeld, in NRW oder Leipzig/Berlin sieht das anders aus…
Das stimmt, an manchen Orten ist die Konkurrenzsituation schon recht stramm. Aber das Reservoir an Spielern ist überall groß genug, um die Kader angemessen zu bestücken.
Klare Statuten gegen Dopingvergehen
In den vergangenen beiden Jahren gab es in Hamburg insgesamt vier Dopingfälle, die allesamt mit Drogenmissbrauch zu tun hatten. Was tut die ELF, damit sich das nicht wiederholt?
Wir haben ganz klare Statuten und werden Vergehen, egal welcher Art, hart sanktionieren. Das Image, das wir als Sport haben und pflegen wollen, darf nicht in Gefahr geraten.
Sie haben den Briten Glen Toonga, der wegen Kokainmissbrauchs von der Nationalen Antidoping-Agentur Nada für drei Monate in der Off-Season gesperrt worden war, deshalb von den Sea Devils entlassen, aber sofort von Düsseldorf Rhein Fire verpflichtet wurde, mit einer zusätzlichen Sperre für die ersten vier Saisonspiele belegt. Wie kam es zu diesem Strafmaß?
Wir haben versucht, das Thema verhältnismäßig zu beurteilen. Wer sich einen solchen Fehltritt leistet, muss Konsequenzen spüren. Glen Toonga darf erst nach Woche vier lizenziert werden, das bedeutet, bis dahin darf er weder mit dem Team trainieren noch Testspiele bestreiten, er bezieht auch kein Gehalt. Wer allerdings, wie er es getan hat, sein Fehlverhalten einsieht und vollumfänglich in der Aufklärung kooperiert, der hat auch eine zweite Chance verdient. Klar ist aber: Eine dritte Chance wird es nicht geben.
Haben Sie das Gefühl, dass es manchen Spielern an Bewusstsein dafür fehlt, dass sie sich in einer Profiliga wie Profis benehmen müssen?
Ganz bestimmt, aber auch das ist in einer so jungen Liga wie der ELF ganz normal. Die meisten der Jungs bestreiten ihren Lebensinhalt nicht durch Football, sondern haben normale Jobs. Sie müssen lernen, dass sie eine Verantwortung dafür tragen, dass die ELF das Image einer professionellen Organisation bewahrt. Ihnen fehlt es teilweise noch am Bewusstsein für das Privileg, in einer Profiliga spielen zu dürfen. Ich denke, dass das Thema Alkohol- und Drogengebrauch im gesamten Sport in den kommenden Jahren größere Bedeutung erhält. Wir als ELF folgen den Vorgaben der Nada und haben zusätzlich unseren eigenen Wertekanon. Und die Teams sind angehalten, ihren Spielern eindringlich klarzumachen, dass sich an diesen gehalten werden muss.
Auch interessant
Auch interessant
Auch interessant
Seit dem NFL-Game in München, dem ersten regulären Saisonspiel in Deutschland im vergangenen November, schaut die US-Eliteliga verstärkt nach Europa. Wie ist das Feedback, das Sie aus Übersee erhalten?
Ganz überwiegend sehr positiv. Beim NFL International Dinner im Rahmen des Super Bowls gab es nur ein Thema: die Entwicklung des Sports in Europa. Namhafte Coaches und Experten schauen unsere Spiele in der NFL-Pause. Für die Amerikaner ist Europa im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen ein sehr lukrativer Markt.
Denken Sie, dass dieser Markt bald gesättigt ist, oder erhoffen Sie sich durch den Wechsel der NFL-TV-Rechte von ProSieben zu RTL einen weiteren Boost für Ihren Sport?
Ich sehe darin zumindest eine riesige Chance. RTL wird Spiele zur besten Sendezeit im Hauptprogramm zeigen. Das wird die Bekanntschaft von American Football weiter steigern und dabei helfen, den Sport weiter im Mainstream zu etablieren. Die ELF schwimmt in diesem Sog mit, und das strahlt auf alle ab, die im Football tätig sind. Ich glaube, dass Football genau das Richtige tut, um die junge Generation abzuholen, die sich vom Fußball gelangweilt abwendet. Natürlich ist und bleibt Fußball der König. Aber wir haben die Chance, eine starke Nummer zwei in Deutschland zu werden.
Bleibt zum Abschluss die Frage, wer die starke Nummer eins in der ELF-Saison 2023 wird. Ihr Tipp?
Ich rechne mit einer extrem engen und hochklassigen Saison. Düsseldorf hat vielleicht einen Push dadurch, dass sie das Finale im eigenen Stadion bestreiten könnten. Aber ich sehe auch Paris und die Vienna Vikings als Titelverteidiger weit vorn. Bei den Sea Devils wird es spannend zu sehen, ob sie es ein drittes Mal ins Finale schaffen. Und ob sie dann bereit sind, den Titel zu holen, und hoffentlich nicht zu den Buffalo Bills der ELF werden.