Hamburg. Obwohl Frauen fast die Hälfte der virtuellen Freizeitspieler ausmachen, sind sie im eSport kaum vertreten. Warum?
Auf die Frage, ob sie diese Frage überhaupt noch hören könne, zuckt Jessica Niebel mit den Schultern. „Klar, die höre ich oft“, sagt die 22 Jahre alte Studentin und grinst in die Kamera. „Natürlich hoffe ich, dass Frauen im eSport irgendwann total normal sind. Aber ich fürchte, das dauert noch ein bis zwei Jährchen.“ Niebel ist eSportlerin und spezialisiert auf das Fußball-Simulationsspiel Fifa, das allein in Deutschland zehn Millionen Menschen spielen. Vor rund zwei Jahren ist sie vom SV Babelsberg zum FC St. Pauli gewechselt. Sie ist eine der wenigen Frauen, die sich in einem Profifußballverein regelmäßig an der Konsole behaupten.
Warum ist das so? Warum gibt es so wenige Frauen, die professionell eSport betreiben, also ausgerechnet in einer Sportart, die – mit Schach und vielleicht auch Darts – die einzige ist, in der Männer und Frauen und im Übrigen auch alle Menschen mit körperlichen Einschränkungen mit denselben Voraussetzungen an den Start gehen? In der also Chancengleichheit herrscht, zumindest in der Theorie? Warum dominieren in dieser barrierefreien Welt trotzdem nur gesunde, junge Männer?
Lesen Sie auch:
- Umbau des Commundo-Hotels zum E-Sports-Mekka verzögert sich
- Im Sommer 2021 öffnet das größte eSports-Zentrum Europas
Herzthema der Esports Player Foundation ist die Frauenförderung
Wer sich auf die Suche nach den Antworten auf diese Fragen macht, findet viele Menschen, die nicht nur große Lust haben, darüber zu sprechen. Sondern diesen Zustand auch verändern möchten. Wie Jörg Adami. Der ehemalige Vorstand der Deutschen Sporthilfe ist Mitbegründer der Esports Player Foundation (EPF), eine nicht-kommerzielle Organisation, die eSports-Talente mit Stipendien fördern und sie auf ihrem Weg in den Spitzensport begleiten möchte. Eines der Herzthemen der Initiative: die Frauenförderung. Adami sagt: „Wenn man sich den Frauenanteil im Topbereich anschaut, dann ist das eine Katastrophe.“ Wenn man ihn nach den Gründen für das Fehlen der Frauen fragt, hat er mehrere Erklärungsansätze parat. Manche sind einfach nachvollziehbar, wie der Mangel an weiblichen Vorbildern oder eines Netzwerks.
Andere tauchen ein wenig tiefer. „Die Entscheidung für den Leistungssport ist immer eine Abwägung zwischen Chance und Risiko. Die einzige Gewissheit ist, dass du ganz viel Aufwand betreiben musst und nicht weißt, ob sich das am Ende auszahlt. Da sind Frauen oft einfach vernünftiger als Jungs“, erklärt Adami. „Die legen eher los nach dem Motto: Hoppla, hier komm ich.“
Sexistische Sprüche im Online-Spiel sind traurige Realität
Im besten Fall bleibt es bei dieser Haltung. Im schlechtesten schlägt es um, wenn man als Mann gegen eine Frau verloren hat. Dass Frauen in, während oder nach Online-Spielen sexistisch beleidigt werden, ist traurige Realität. Adami erzählt von Frauen, die mit Stimmverzerrern arbeiten, um auf dem Server nicht als Frau identifiziert zu werden. Vivien Mallant sagt: „Dass Frauen wegen ihres Geschlechts verhöhnt werden, geht natürlich gar nicht. Männern geht es abgesehen davon aber doch kaum anders. Auch die werden aufs Übelste beleidigt. Toxisches Verhalten geht immer unter die Gürtellinie, egal welches Geschlecht man hat.“
Vivien Mallant ist CEO der Hamburger eSports-Organisation Unicorns of Love, sie ist eine der vielen Frauen, die das stetig wachsende eSport-Business von einer anderen Ebene repräsentieren, wie zum Beispiel auch Melek Balgün, die ehemalige Counterstrike-Profispielerin und heutige Moderatorin der Virtual Bundesliga (VBL). League of Legends (LOL) heißt das Spiel, in dem die Unicorns of Love in der Weltelite mitspielen, es ist das derzeit erfolgreichste der Welt. Doch auch hier, unter den 100 besten Spielern der Welt: keine einzige Frau.
Vivien Mallant überrascht das nicht. „LOL wird von mehr Männern als Frauen gespielt, aus diesem Pool schafft es ja überhaupt nur ein minimaler Prozentsatz ins Topniveau, was wiederum heißt: Auch die meisten Männer schaffen es nicht“, sagt Mallant. „Wir würden gern mal eine Frau einstellen, aber wenn es auf diesem Niveau keine Frau gibt, kann ich sie mir auch nicht einfach herzaubern. Trotzdem muss man sich die Ursache dessen anschauen.“
In der Virtual Bundesliga hat sich RBLZ, die eSports-Abteilung von RB Leipzig, für ein anderes Modell entschieden. Seit Herbst vergangenen Jahres spielt mit Lena Güldenpfennig die erste Frau in der VBL an der Konsole und zugleich als Stürmerin bei RB Leipzig in der 2. Frauen-Bundesliga.
Jessica Niebel sieht im RB-Modell klares Statement
Was auf den ersten Blick aussah wie eine langersehnte Premiere, stellte sich auf den zweiten als eine Art Integrationsmaßnahme dar: Güldenpfennig war nicht deshalb ins Team gekommen, weil sie ihren männlichen Mitkonkurrenten an der Konsole überlegen ist. Sondern, weil sie eine Frau ist. „Eine absolute Katastrophe“, findet Vivien Mallant. „Es bringt diese Frau ja in eine Situation, in der die Teamkameraden sagen oder zumindest denken: Du bist ja nur hier, weil du eine Frau bist.“
Jessica Niebel wiederum wertet das Modell als wichtiges Statement auf dem Weg zu mehr Diversität. Und Lena Güldenpfennig selbst? Reagiert auf Kritik am RB-Modell stets gelassen. „Ich bin sehr froh, dass sich RB Leipzig eindeutig positioniert und ein klares Commitment zum Frauen- und Mädchenfußball, aber auch zum eSport gegeben hat“, sagt die 19-Jährige selbstbewusst. „Und ich hoffe, dass ich als Vorbild dazu beitragen kann, dass sich immer mehr Frauen trauen, sich mit ihren Skills zu zeigen und eSport zu betreiben.“