Hamburg. Der Hamburger Segler Boris Herrmann braucht nach seiner Teilnahme an der Vendée Globe frisches Kapital – und ein neues Schiff.
80 Tage lang war der Hamburger Boris Herrmann auf See. Umrundete mit seiner „Seaexplorer“ die Welt in dieser Zeit einmal. Seit Montag ist er zurück in Hamburg. Das Abendblatt traf ihn zum Interview, wegen der Quarantäne leider nur telefonisch. Herrmann hat derzeit unzählige Gesprächsanfragen, muss sich aber vor allem um sein Schiff, das Team und die Planung der kommenden Jahre kümmern, sagt er. Und das, obwohl er eigentlich noch so müde sei.
Hamburger Abendblatt: Willkommen zurück in Hamburg. Wie fühlt es sich an, zurück an Land und zu Hause zu sein?
Boris Herrmann: Es ist schön, wieder in der eigenen Wohnung zu sein. Mit meiner Frau und unserer kleinen Tochter Zeit verbringen zu können. Dann vor der Tür die verschneite Landschaft zu sehen. Nur leider darf ich im Moment noch nicht raus. Aber das ist ja nicht mehr lange so.
Wie geht es Ihnen?
Herrmann: Eigentlich fühle ich mich gut. Allerdings bin ich schrecklich müde. Ich kann hier in unserer Wohnung zwar recht gut schlafen, wache nachts aber trotzdem natürlich noch hin und wieder auf. Und bin einfach total erschöpft. Man sagt allerdings, dass die Erholung von einer solchen Strapaze auch in etwa so lange dauert wie das Rennen selbst. Ich richte mich also auf eine längere Regeneration ein, kenne das aber ja von vorherigen Rennen. Hier zu Hause kann ich endlich so richtig runterkommen, merke ich. Man braucht allerdings viel Geduld und Zeit, das ist klar. Die Intensität, mit der ich die vergangenen drei Monate gelebt habe, die kann sich keiner vorstellen. Und die hinterlässt ihre Spuren.
Fühlen Sie sich sehr eingeschränkt durch die Quarantäne und die Corona-Bestimmungen?
Herrmann: Ehrlich gesagt kann ich mich ja selbst im Moment viel mehr bewegen als auf dem Schiff. Hier kann ich von Zimmer zu Zimmer gehen, so viel Bewegungsfreiheit hatte ich den 80 Tagen auf See streng genommen nicht.
Wie schnell ist man zurück im Alltag?
Herrmann: Erst mal stellt sich die Frage, was Alltag eigentlich ist. Früher hat man morgens gefrühstückt und ist ins Büro gegangen. So haben es ja die meisten Menschen gemacht. Jetzt muss man sich seinen Tag ganz anders selbst strukturieren. Noch weiß ich nicht genau, wie mein Alltag in den kommenden Wochen so aussehen wird.
Gerät das Rennen langsam in Vergessenheit?
Herrmann: Es kostet mich unheimlich viel Kraft, im Moment überhaupt an das Rennen zu denken. Deshalb versuche ich, gerade möglichst wenig zurückzuschauen, sondern fokussiere mich auf die Zukunft.
Haben Sie das große Interesse an sich unterwegs eigentlich mitbekommen?
Herrmann: Nein, ehrlich gesagt nicht wirklich. Allerdings war mir schon vorher klar, dass es ein gewisses Medieninteresse geben würde, wenn ein Deutscher an der Vendée Globe teilnehmen würde. Mich hatte also vorher eher das Desinteresse an der Regatta hier überrascht. Ich habe oft Sprüche gehört, wie: Die Deutschen interessieren sich nicht so für Segeln. Oder: Unsere Leserschaft interessiert sich nicht dafür. Da habe ich mich schon gewundert, denn in Frankreich ist das Interesse schon seit Jahren riesig. Die Vendée Globe ist ja mehr als nur ein Segelereignis. Sie ist ein ziemlich einmaliges Abenteuer. Das scheint jetzt hier vielleicht auch so langsam angekommen zu sein.
Boris Herrmann bei Talkshows beliebt
Was bedeutet Ihre neue Popularität für Gespräche mit Sponsoren und Partnern? Sie sind auf einmal einer der großen deutschen Sportstars.
Herrmann: Das kann ich jetzt noch nicht beurteilen. Noch habe ich keine Gespräche in diese Richtung geführt. Wir werden schauen, was am Ende dabei herauskommt. Aber die Vorstellung, dass man nach einem solchen Ereignis permanent angesprochen wird, die ist naiv. Das ist hier kein Hollywoodfilm, sondern ganz schlichte Realität.
Gibt es viele Anfragen von Talkshows?
Herrmann: In der kommenden Woche Dienstag bin ich bei Markus Lanz zu Gast. Dazu kommen die Auftritte im „Aktuellen Sportstudio“ und bei ARD-„Sportschau“ zur Auslosung des Viertelfinals im DFB-Pokal. Mehr erst einmal nicht.
Sie haben in Ihren Videos sehr professionell gewirkt. Haben Sie dafür ein Medientraining gemacht?
Herrmann: Nein, so etwas habe ich noch nie gemacht. Ich habe über die Jahre schon ein wenig Erfahrung gesammelt. Vor allem meine Atlantiküberquerung mit Greta und die damit verbundene Kritik hat mich vieles gelehrt. Unter anderem, dass man in dieser Gesellschaft im Moment nicht vollständig nachhaltig leben kann. Das hat mir mehr Selbstbewusstsein im Umgang mit den Medien gegeben. Ich wollte einfach immer ich selbst sein, nichts beschönigen. Und so hatte ich auch keine Angst, angreifbar zu sein.
War die Medienpräsenz von Anfang an so geplant?
Herrmann: Ich hatte für meine Reise insgesamt fünf Ziele. Zum einen mein Abenteuer mit den Menschen zu teilen, unser Bildungsprogramm zu verfolgen, die Klimadaten zu sammeln, heil anzukommen und eine gute Platzierung zu erreichen. Die Vielzahl an Zielen war eine Rückversicherung für mich. Wäre eines der Ziele ausgefallen, also ich zum Beispiel hinterhergefahren, dann hätte ich immer noch andere vor Augen gehabt. Die Menschen mit auf meine Reise zu nehmen war mir sehr wichtig und hat mir Spaß gemacht. Ich fotografiere gern, hatte ein sagenhafte Ausrüstung an Bord. Allein in diese Vorbereitung wurde unheimlich viel Zeit und Mühe gesteckt. So gab es eine 360- Grad-Kamera, zwei Drohnen, eine spezielle Heckkamera – um nur ein paar der Dinge zu nennen. Um ehrlich zu sein, habe ich am Ende nur etwa zehn Prozent von dem gemacht, was wir eigentlich geplant hatten. Das Rennen war so hart und hat mir so viel abverlangt, dass ich in Wirklichkeit wenig Zeit gefunden habe, all diese tollen Gerätschaften auch zu nutzen.
Wie sind diese Aufnahmen dann entstanden? Findet man überhaupt Zeit dafür an Bord?
Herrmann: Um ehrlich zu sein, musste ich mich so manches Mal wirklich durchringen, einen Film zu drehen. Mich durchringen, überhaupt etwas erzählen zu wollen. Da sitzt man allein auf seinem Boot und grübelt über Geschwindigkeit, Wetter und vieles mehr. Man denkt die ganze Zeit nach, das okkupiert den Geist permanent. Wenn man dann aber vor der Kamera etwas erzählt, dann kann man für den Moment loslassen von dieser totalen Obsession. Man ändert für den Augenblick die Perspektive. Versucht positiv in die Kamera zu schauen. Ich habe oft gesagt, dass mir diese Filme wirklich gutgetan haben. Ich spreche, also bin ich – so war das an Bord für mich. So konnte ich zwei-, dreimal am Tag die Einsamkeit durchdringen und habe mich für einen Moment selbst ausgetrickst. Diese Filme haben mir die Motivation gegeben, mich besser zu fühlen. Also waren sie nicht nur eine lästige Pflicht, sondern eine willkommene Abwechslung und Hilfe.
Was haben die Menschen zu Hause nicht sehen können?
Herrmann: Das Problem ist doch, dass man gerade die wirklich spannenden Momente an Bord nicht festhält, weil man sie schlicht nicht festhalten kann. Die wirkliche
Action ist auf keinem der Filme zu sehen. Wenn etwas passiert, stehen Boot und Sicherheit im Vordergrund. Leider eigentlich. Denn es wäre ja schon aufregender, wenn die Kamera genau in den Momenten dabei gewesen wäre. Deshalb habe ich eigentlich schon den Plan, dass in vier Jahren Kameras an Bord installiert sein müssten, die von Land aus gesteuert werden könnten. Also mit einer Regie an Land.
Herrmann über den Verkauf seines Schiffs
Wie sieht Ihr Alltag in den kommenden Tagen und Wochen aus?
Herrmann: Vermutlich wird es ähnlich laufen wie in den vergangenen Jahren. Ich werde viel Zeit am Telefon verbringen, um Projekte zu organisieren. Derzeit muss ich dringend versuchen, Geld aufzutreiben für das Team. Denn der Crash am Ende hat leider ein großes Loch in unsere Kasse gerissen. Wir müssen das Schiff jetzt erst einmal reparieren lassen. Nun muss ich mich also erst einmal um dieses drängende Problem kümmern.
Was passiert mit dem Schiff, der „Seaexplorer“?
Herrmann: Das Schiff ist so gut wie verkauft. Es fehlt eigentlich nur noch die Unterschrift unter dem Vertrag.
Also werden Sie ein neues Schiff bekommen?
Herrmann: Das ist die große Frage. Es war immer klar, dass die „Seaexplorer“ nach dem Rennen verkauft werden soll. Und auch wenn es mir wirklich nahe geht, so ist es abgesprochen. Außerdem gehört sie nicht mir, es ist also nicht meine Entscheidung. Mir bleiben jetzt etwa acht Wochen Zeit, um ein neues Schiff zu organisieren, am besten die Planung für einen Neubau. Schwierig wird es nur, wenn wir die „Seaexplorer“ jetzt verkaufen und die Planungen für ein neues Schiff scheitern.
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Belastet Sie die Situation so kurz nach dem großen Erfolg bei der Vendée Globe?
Herrmann: Natürlich ist das absolut nicht schön, bei aller Freude über den guten Verlauf des Rennens. Der Traum der Skipper ist es immer, vor dem Start des Rennens schon die weiteren vier Jahre geplant zu haben. Das gelingt aber den wenigsten. Ich empfinde die Planung eines solchen Rennens in all den Jahren viel anstrengender als das Rennen selbst. Ich hatte vor diesem Rennen schon Phasen, in denen ich nicht mehr laufen konnte, weil ich solche Rückenschmerzen hatte. Die kamen von der großen Angst um die nicht stehende Finanzierung des Projektes. Alle im Team haben so viel Kraft, Arbeit und teilweise Geld in das Projekt gesteckt – und alle sind jetzt am Limit.
Gibt es schon konkrete Ideen für neue Projekte?
Herrmann: Die kommenden Projekte müssen jetzt dringend geplant werden, die Zeit drängt. Der bisherige Plan sieht vor, dass wir mit der IMOCA-Klasse im Mai an einem Volvo Ocean Race in Europa teilnehmen werden, das von Frankreich über vier Stationen ins Mittelmeer führt. Danach gibt es einige Rennen im Mittelmeer. Und zum Ende des Jahres die Regatta Transat Jacques Vabre, eine Transatlantikregatta. Dazu kommen die Planungen für die kommenden vier Jahre, an deren Ende eine weitere Teilnahme der Vendée Globe steht, so der aktuelle Plan.
Fehlt Ihnen das Wasser nach einer Woche denn schon?
Herrmann: Oh, nein. Überhaupt nicht. Ich kann jahrelang an Land bleiben. Jetzt wieder auf ein Schiff zu gehen, das reizt mich grad überhaupt nicht.