Hamburg. Welche Auswirkungen der Ausbruch der Krankheit in Spanien auf norddeutsche Springreitgrößen hat.
Die Filme, die seit vorvergangenem Wochenende im Internet kursieren, erschüttern jeden, der sie anschaut. Die Bilder von Pferden, die qualvoll verenden, sorgen in der weltweiten Reitsportgemeinschaft noch immer für Entsetzen. Seit am letzten Februarwochenende bei einem Turnier im spanischen Valencia eine aggressive, äußerst ansteckende Variante des Herpesvirus ausgebrochen ist, die Stand Mittwoch offiziell elf Pferde das Leben gekostet hat, ist der von der Corona-Pandemie ohnehin stark gebeutelte Pferdesport noch tiefer in die Ungewissheit gerutscht.
„Wir können fast froh sein, dass dieser Ausbruch zu einer Zeit gekommen ist, in der wegen Corona sowieso kein regulärer Turnierbetrieb möglich ist. Dennoch ist das natürlich eine ganz bittere Geschichte, die in der gesamten Szene für Angst sorgt“, sagt Volker Wulff. Der 64-Jährige, der seit gut 20 Jahren das Spring- und Dressurderby in Klein Flottbek verantwortet, begrüßt die Maßnahme des Weltverbands FEI, alle Turniere in Deutschland und neun weiteren europäischen Ländern zunächst bis zum 28. März auszusetzen, vollumfänglich.
Inkubationszeit beträgt bis zu 14 Tagen
„Die Inkubationszeit beträgt bis zu 14 Tagen. Um den Ausbruch einzudämmen, ist es extrem wichtig, dass sich jetzt alle verantwortungsvoll verhalten, ihre Tiere regelmäßig testen und die Quarantäneregeln einhalten“, sagt Wulff. Dass nach dem Ausbruch in Spanien eine ganze Reihe an Reitern, die nicht nur in Valencia, sondern auch in Vejer de la Frontera oder Oliva an Turnieren teilnahmen, das Land Hals über Kopf verlassen hatten, kann er zwar nachvollziehen. „Dennoch war es gefährlich, ohne die Freigabe durch einen Tierarzt Pferde quer durch Europa zu transportieren“, sagt er.
Mathilda Karlsson war eine derjenigen, die den Ausbruch in Spanien miterlebten. Die 36 Jahre alte Schwedin, die auf dem Grönwohldhof 40 Kilometer östlich der Hamburger City als Chefbereiterin arbeitet, war mit zwölf Pferden in Oliva. „Dort gab es zum Glück keinen Ausbruch. Aber da es nur eine Stunde von Valencia entfernt liegt, haben wir schon am 26. Februar entschieden, dass wir abreisen müssen. Wir haben aber abgewartet, bis alle Untersuchungen abgeschlossen waren und wir alle Gesundheitspapiere vorliegen hatten“, sagt sie.
Der Sport gerät in den Hintergrund
Noch immer befinden sich die zwölf Tiere, die in Spanien waren, in strenger Isolation. Mehr als 100 Pferde stehen aktuell auf dem Grönwohldhof, und obwohl alle gegen das Herpesvirus geimpft sind, will Mathilda Karlsson jegliches Risiko minimieren. „Das ist unsere Pflicht, um diese Katastrophe einzudämmen. Für uns ist Herpes nicht fremd, wir wissen, dass wir aufpassen müssen. Aber so schlimm habe ich es noch nicht erlebt.“
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Diese Einschätzung teilt Nisse Lüneburg. Der dreimalige Derbysieger ist Gestütsleiter auf dem Magdalenenhof in Wedel und von der Wucht des Ausbruchs ebenfalls überrascht. „Da gerät der Sport in den Hintergrund, es geht nur darum, den betroffenen Pferden zu helfen und die Verbreitung zu stoppen“, sagt der 32-Jährige. „Unsere Pferde sind geimpft, wir achten auf Symptome, messen regelmäßig Fieber. Wichtig ist jetzt, dass sorgfältig aufgearbeitet wird, wie es zu dem Ausbruch kommen konnte.“
Virus konnte sich gut verbreiten
Welches Pferd das Virus als „Patient null“ übertragen hat, ist weiterhin ungeklärt. Wie es zu der raschen Verbreitung kommen konnte und was den aggressiven Erreger EHV-1 so gefährlich macht, kann Jan-Hein Swagemakers am besten erklären. Der Teamveterinär der deutschen Springreitequipe und Mitinhaber der Tierklinik Lüsche nahe Vechta hält die Umstände, in denen sich das Virus ausbreiten konnte, für optimal.
„Es standen bis zu 800 Pferde auf einem Haufen, sie hatten eine lange Anreise hinter sich, da ist die Abwehr geschwächt. Zudem wurde die Infektion zunächst nicht als solche erkannt, sodass sich das Virus gut verbreiten konnte. Als dann Alarm geschlagen wurde, war es zu spät“, sagt er.
Große Anteilnahme
Grundsätzlich sei Herpes eine jedes Jahr aufs Neue auftretende Erkrankung, die sich üblicherweise durch leichtes Fieber bemerkbar macht. Mindestens 70 Prozent aller Pferde haben Antikörper, es besteht aktuell weder Impf- noch Meldepflicht. Zu schweren Verläufen, bei denen eine Beeinträchtigung des zentralen Nervensystems zum Tod führt, komme es nur in seltenen Fällen. „Mich hat deshalb besonders geschockt, dass ausgebildete, gut trainierte Sportpferde solch schwere Verläufe hatten“, sagt Janne Friederike Meyer-Zimmermann.
Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:
- Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
- Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
- Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
- Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
- Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).
Hamburgs beste Springreiterin, die in Waldenau (Kreis Pinneberg) den Hof Waterkant mit aktuell 40 Pferden betreibt, hat den Ausbruch aus der Ferne verfolgt. Ihre Anteilnahme ist dennoch groß. „Es tut mir wahnsinnig leid für alle, die ein Pferd verloren haben, aber auch für die Veranstalter, auf die wirklich sehr viel einstürzt“, sagt sie. Die 40-Jährige ist sich ihrer Verantwortung für die Gesundheit ihrer Tiere bewusst.
Impfung bietet keinen hundertprozentigen Schutz
„Wir haben hervorragende Hygienebedingungen, Einzelboxen und eigene Ausrüstung für jedes unserer Pferde, die zudem alle geimpft sind. Dennoch weiß ich, dass auch wir keine Chance hätten, einen solch aggressiven Ausbruch zu kontrollieren. Also tun wir alles, um so etwas zu verhindern“, sagt sie.
Das Problem an der Impfung ist, dass diese keinen hundertprozentigen Schutz bietet. Geimpfte Tiere scheiden allerdings deutlich weniger Virusmasse aus und leiden auch seltener unter schweren Verläufen. „Deshalb bin ich ein klarer Befürworter des Impfens“, sagt Tierarzt Swagemakers, der der nun vehement geforderten Impfpflicht indes kritisch gegenübersteht. Der Grund dafür ist, dass es zurzeit nicht ausreichend Impfstoff gibt, um eine flächendeckende Impfung für alle Pferde, die zweimal im Jahr notwendig wäre, zu gewährleisten.
Reiter hoffen, dass die Turniersperre nicht verlängert werden muss
Welche langfristigen Auswirkungen der Schock von Valencia auf ihre persönlichen Unternehmungen haben wird, vermögen die norddeutschen Springreitgrößen noch nicht einzuschätzen. Allesamt hoffen sie, dass die Turniersperre nicht verlängert werden muss, schließlich soll im April die Freiluftsaison starten. Das Weltcupfinale in Göteborg (Schweden), das am 29. März beginnen soll, steht aktuell nicht infrage. „Es wäre fatal, wenn Corona überwunden wäre und direkt das nächste Problem warten würde“, sagt Volker Wulff, der froh ist, das Derby vom Mai nach Ende August verlegt zu haben.
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Während Mathilda Karlsson, die für ihr Geburtsland Sri Lanka bei den Olympischen Spielen in Tokio (23. Juli bis 8. August) starten will, und Nisse Lüneburg im März eine Turnierpause eingelegt hätten, wollte Janne Meyer in Italien oder Spanien antreten. Die Hoffnung auf einen Tokio-Start hat sie noch nicht aufgegeben; die Zeit jedoch, sich dafür anzubieten, wird knapper. „Der Pferdesport geht durch sehr harte Zeiten, die Basis droht kaputtzugehen. Es ist eine Phase, die vielen den Mut nimmt“, sagt sie. Im Vordergrund stünde aber, die schweren Zeiten gemeinsam hinter sich zu lassen. „Erst wenn sichergestellt ist, dass das Virus eingedämmt ist, können wir wieder an Turniere denken.“