Hamburg. Fünf Jahre nach dem Aus der Hamburg Freezers zeigt die Abendblatt-Analyse, dass Anlass zu Hoffnung, aber auch zu Sorge besteht.
Ausblenden? Verdrängen? Vergessen gar? Hat Uwe Frommhold alles versucht, funktioniert hat es nicht. Zu präsent sind die Bilder vom 25. Mai 2016. Um 23.14 Uhr am Abend jenes Tages musste der Deutschland-Chef der Anschutz Entertainment Group (AEG) den wahrscheinlich härtesten Gang seines Berufslebens antreten.
Vor der Geschäftsstelle der Hamburg Freezers, deren Geschäftsführer der heute 63-Jährige damals war, harrte ein harter Kern von 200 Fans aus. Sie warteten auf die erlösende Nachricht: Dass die AEG als Freezers-Eigner einen Rückzug vom Rückzug machen und ihrem geliebten Club eine Bestandsgarantie für mindestens drei weitere Jahre in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) geben würde.
Hamburg Freezers von Spielbetrieb abgemeldet
Was sie bekamen, war genau das Gegenteil. Frommhold musste verkünden, dass auch eine beispiellose Retteraktion, initiiert vom damaligen Freezers-Kapitän Christoph Schubert und Hamburgs Hockeyidol Moritz Fürste, keine Rettung mehr bringen konnte und die Freezers vom Spielbetrieb abgemeldet werden würden. „Wir haben alle geheult in dem Moment. Aber was mich am meisten beeindruckt hat, war, dass mir die, die das Aus am übelsten schmerzte, viel Zuspruch gegeben haben. In dem Moment habe ich gespürt, wie viel emotionale Kraft Eishockey in Hamburg mobilisieren kann“, sagt Frommhold.
Fünf Jahre sind seitdem vergangen, und eigentlich möchte der Mann, der damals sowohl die Freezers führte als auch Chef von deren Spielstätte Barclaycard Arena war, über Vergangenes nicht mehr reden. Er hat die Anfeindungen einiger Fans, die die Grenze von der Boshaftigkeit zur Strafbarkeit überschritten, abgehakt und ist vor allem froh darüber, die Mitarbeitenden von damals allesamt schnellstmöglich in neue Jobs gebracht zu haben. Aber weil das Abendblatt ihn zu einem Gespräch über die Folgen des Freezers-Endes für den Status quo des Eishockeysports in Hamburg gebeten hat, macht er eine Ausnahme.
Rund 1,2 Millionen Euro aus Crowdfunding
Auch bei Christoph Schubert sitzt der Stachel noch tief. Rund um die Uhr hatte der langjährige Nationalspieler damals versucht, Geld und Sponsoren zu akquirieren. Eine Woche Aufschub hatte AEG gewährt; im Glauben, dass die Retteraktion kolossal scheitern würde. Das Gegenteil trat ein, und das in einer Form, die kühnste Optimisten nicht erwartet hätten. Rund 1,2 Millionen Euro, addiert aus einem Crowdfunding, bei dem 3122 Unterstützer 507.662 Euro zusammenbrachten, und finanzielle Zusagen von Unternehmen, hatten Sympathisanten der Freezers zur Verfügung gestellt. Zudem wäre ein Unternehmen mit 550.000 Euro eingestiegen. Am Ende gab es sogar zwei Kaufinteressenten.
Doch auch das konnte die AEG nicht mehr umstimmen. Zu hoch, sagt Frommhold, seien die über die 14 Jahre des Bestehens angesammelten Verluste gewesen. „Das Schlimme war, dass wir auch vier Millionen Euro hätten sammeln können, die Rettung war seitens AEG nicht gewünscht. Es war die krasseste Zeit, die ich je durchgemacht habe. Das war die schlimmste Niederlage meiner sportlichen Laufbahn“, sagt Schubert, der 2007 immerhin mit dem NHL-Club Ottawa Senators im Finale um den Stanley-Cup, der wichtigsten Trophäe im Eishockey, stand – und es verlor.
„Abschließen kann ich mit dem Thema nicht"
„So richtig abschließen kann ich mit dem Thema nicht, weil ich bis heute nicht weiß, wieso der Club praktisch über Nacht aufgelöst wurde. Das eint uns alle, die um die Freezers bis heute trauern“, sagt der 39-Jährige. Nach einigen schlaflosen und tränenreichen Nächten stand für Schubert fest, dass er den Eishockey-Standort Hamburg nicht aufgeben wollte. Was möglich sein könnte in der Stadt, hatten die 14 DEL-Jahre der Freezers gezeigt. Trotz überschaubaren Erfolgs – nur zweimal schaffte der Club es ins Halbfinale – war die Halle überwiegend mit fünfstelligen Besucherzahlen ausgelastet. Eishockey zog, und das in der gesamten Metropolregion Hamburg, was die Freezers anhand von Zuschaueranalysen nachweisen konnten.
Trotz Angeboten höherklassiger Teams schloss Schubert sich dem damals dahindümpelnden Oberligaclub Crocodiles Hamburg an. „Ich wollte neu angreifen. Die Retteraktion hatte gezeigt, wie groß das Potenzial in Hamburg ist. Ich wollte mithelfen, dass meine Wahlheimat auf der Eishockey-Landkarte bleibt“, sagt der gebürtige Bayer.
Falsche Personalentscheidungen bei Crocodiles
In der Euphorie um die Schubert-Verpflichtung wurde ein neues Ziel ausgegeben: Mit dem Zugpferd Schubert wollten die Crocodiles als Freezers-Nachfolger mittelfristig ins Profigeschäft zurück. Der Traum lebt zwar noch immer, entscheidend vorangekommen sind die im Farmsener TV beheimateten Crocodiles auf dem Weg indes nicht. Nach anfänglicher Begeisterung sorgten interne Querelen, Eitelkeiten und auch falsche Personalentscheidungen in der Führung dafür, dass Schubert, zermürbt auch von anhaltenden Verletzungsproblemen, seine Karriere im Juni 2019 beendete und den Verein verließ.
Die Crocodiles gehen noch immer in der dritthöchsten deutschen Spielklasse auf Torejagd – und mussten Mitte Dezember 2018 sogar einen Antrag auf Planinsolvenz stellen. Sven Gösch ist Geschäftsführer und Sportdirektor des Clubs in Personalunion. Wer ihn fragt, wo das Eishockey in Hamburg fünf Jahre nach dem Freezers-Aus steht, der kann aus den Antworten eine gehörige Portion Ernüchterung heraushören.
Zuschauer von Eishalle Farmsen abgestoßen
Von „vielen Ups und Downs“ spricht der 48-Jährige, und davon, dass der Großteil der Zuschauer, die die Freezers-Heimspiele als Events zu schätzen wussten, von der charmanten, aber maroden Eishalle Farmsen, in der die Crocodiles ihre Gäste empfangen, eher abgestoßen worden seien. „Da kannst du halt nicht im T-Shirt sitzen, Popcorn futtern und nebenbei Eishockey gucken“, sagt er.
Sascha Körtge aus Munster in der Lüneburger Heide, bis zum Aus Dauerkartenbesitzer und „Allesfahrer“ bei den Freezers, bestätigt das. „Ich kenne nur wenige, die den Weg zu den Crocodiles mitgegangen sind“, sagt er. Bei ihm sei es zwar nicht die marode Halle gewesen, sondern seine als gebürtiger Harzer obligatorische Verbindung zum Crocodiles-Ligakonkurrenten Harzer Falken, die ihn von Reisen nach Farmsen abgehalten habe. „Aber für das Eventpublikum fehlt in Farmsen jeglicher Komfort.“
Neue Halle ist Voraussetzung für professionelles Eishockey
Tatsächlich ist das Fehlen einer adäquaten Spielstätte das größte Manko, wenn der Schritt zurück ins Profigeschäft, sprich: mindestens in die DEL 2, gelingen soll. Ein Minimum von 4000 Plätzen ist dafür vom Dachverband vorgeschrieben (1955 bietet das Eisland), vor allem aber braucht es moderne Infrastruktur im Umfeld, um potenziellen Sponsoren und Fans etwas bieten zu können. „Eine solche Halle wäre der wichtigste, entscheidende Schritt, der Eishockey auf vernünftiger professioneller Basis ermöglichen würde“, sagt Gösch.
Gleichzeitig gibt es aber auch zu wenige Eisflächen in Hamburg, um das Interesse am Eissport im Allgemeinen und Eishockey im Speziellen abdecken zu können. Mit dem 1978 erbauten Eisland Farmsen, der q.beyond Arena im Volkspark und der am Zeltdach baufälligen Open-Air-Eisfläche an der Hagenbeckstraße in Stellingen existieren lediglich drei Stätten für öffentlichen und organisierten Eissportbetrieb, die allesamt zu nahezu 100 Prozent ausgelastet sind.
Hamburger Talente wechseln Standort
Und das hat dramatische Folgen, wie Irmelin Otten zu bestätigen weiß. Die 51-Jährige ist Präsidentin des Hamburger Eis- und Rollsportverbands (HERV), in dem vier Vereine mit rund 700 Mitgliedern Eishockey anbieten. Sie sagt: „Seit dem Aus der Freezers ist die Zahl der Eishockey spielenden Kinder zwar in etwa gleichgeblieben. Aber die Qualität – sowohl bei den Trainern als auch bei den Spielern – hat sich massiv verschlechtert.“
In Hamburg gebe es zwar nach wie vor Talente, „aber wir bilden sie hier aus, und die Früchte erntet letztlich jemand anderes. Seit dem Aus der Freezers sehen Talente keine Perspektive auf Profieishockey. Also suchen sie ihr Glück eben an anderen Standorten.“ Sven Gösch sagt: „Wenn wir nicht bald Perspektiven bieten können, wird das professionelle Eishockey in Hamburg innerhalb weniger Jahre wegsterben.“
Großes Potenzial für Eishockey in Hamburg
Fatal sei das, findet Dennis Thering. Der Fraktionschef der Hamburger CDU kämpft seit Monaten um den Neubau einer Zweifeldhalle im Hamburger Osten, die als neue Heimat der Crocodiles dienen würde und für deren Bau und Betrieb eine Investorengruppe um Crocodiles-Gesellschafter Klaus-Peter Jebens bereitstünde. „Das Potenzial des Eishockeys in Hamburg ist erstklassig, die Rahmenbedingungen sind es nicht. Die Crocodiles sind seit der Planinsolvenz auf einem sehr guten Weg, aber ohne eine neue Halle werden sie den Schritt nicht schaffen. Deshalb benötigen sie dringend eine Perspektive“, sagt er.
Nachdem der rot-grüne Senat die Neubaupläne auf einer Brachfläche am Neusurenland vor einigen Wochen abgelehnt hatte, hat Thering einen neuen Antrag eingebracht, in dem der Senat aufgefordert wird, einen geeigneten Standort für den Neubau zu finden. Sportstaatsrat Christoph Holstein (SPD) hält den Weg eines Neubaus für den zweiten Schritt vor dem ersten.
Hamburg Sailors: Club mit Ambitionen
„Die Variante, eine Halle zu bauen und dann zu gucken, was sportlich herauskommt, wird nicht funktionieren. Wir beurteilen das Potenzial sachlich und schauen uns die Entwicklung an“, sagt er. „Das schmerzhafte Aus für die Freezers hat leider auch gezeigt, dass große Begeisterung allein im Profisport nicht ausreicht. Nötig sind auch Managementqualitäten, die unabhängig von der Laune einzelner Investoren sind. Insbesondere wenn es um internationale Unternehmen geht, für die Hamburg nur eine Stecknadel auf der Landkarte ist.“
Seit ein paar Jahren gibt es neben den Crocodiles und dem Hamburger SV, der in der viertklassigen Regionalliga spielt, einen weiteren Club in der Hansestadt mit gehobenen Ambitionen. Seit 2018 spielen die Hamburg Sailors im Molot e. V. in der Landesliga. Auf ihrer Internetseite versprechen sie „echtes Eishockey für die Hansestadt“, das mittelfristig den Weg in den Profibereich finden soll. Dank eines auffälligen Marketings, aufwendiger Livestream-Übertragungen, vielen mittelständischen Sponsoren und einer eigenen Merchandisingkollektion werden die Sailors, die ihre Heimspiele in der q.beyond Arena im Volkspark austragen, in der Hamburger Eishockeyszene mehr und mehr wahrgenommen.
„Unser Zwischenziel ist die Regionalliga"
„Wir wollen noch bekannter werden. Unser Zwischenziel ist die Regionalliga. Mit den richtigen Partnern an unserer Seite scheuen wir aber auch nicht, größere Ziele bis zur DEL anzustreben“, sagt Sailors-Gründer Marco Engel (43). In der kommenden Saison spielen mit dem ehemaligen Freezers-Profi Daniel Sevo (37) und Ex-Crocodiles-Talent Leo Prüßner (20) zwei in Hamburg bekannte Akteure für die Sailors. Mit Tomislav Karajica (43), Investor des Basketball-Bundesligisten Hamburg Towers, gab es bereits lose Sondierungsgespräche. Insbesondere die Entwicklung von Karajicas Arena-Projekt „Elbdome“ beobachtet Engel mit großem Interesse.
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In den vergangenen Jahren war Hamburg zudem auch in den Fokus der europäischen Kontinental Hockey League (KHL) geraten. Im Herbst 2016, nur wenige Monate nach dem Freezers-Aus, war eine Delegation eines schwedischen Clubs, der in die Hansestadt umgesiedelt werden sollte, vor Ort, um sich die Barclaycard Arena und die ehemalige Geschäftsstelle anzuschauen. Als Investor für das kostspielige Projekt soll ein russischer Geschäftsmann parat gestanden haben. Doch die Pläne verschwanden wieder in der Schublade, auch weil der Deutsche Eishockey-Bund (DEB) sich querstellte, einem KHL-Team die benötigte Spielgenehmigung zu erteilen.
Verbandschefin wünscht sich Leuchtturmprojekt in Hamburg
Ein neues Leuchtturmprojekt im Hamburger Eishockey würde sich auch Irmelin Otten wünschen. „Wir vom Verband hätten es gerne gesehen, wenn sich die Crocodiles an das Projekt Elbdome gehängt hätten. Aber sie wollen ja unbedingt ihre eigene Halle bauen, was, glaube ich, sehr schwer werden wird“, prognostiziert die Verbandschefin, die zur Förderung des Breitensports große Hoffnungen in die modernisierte Indoo-Arena in den Wallanlagen und die geplante Modernisierung der Eisbahn in Stellingen setzt.
Die Überzeugung, dass Eishockey in Hamburg der oft zitierte „schlafende Riese“ ist, lebt in allen Protagonisten der vergangenen Jahre. „An das Potenzial glaube ich nach wie vor. Und ich wünsche mir sehr, dass es hier eines Tages wieder Profieishockey geben wird, in welcher Konstellation auch immer“, sagt Christoph Schubert, der vom 1. Juli an Co-Trainer beim DEL-2-Club Heilbronner Falken wird. Moritz Fürste (36), der seit der Retteraktion mit Schubert befreundet ist und sich damals nicht vorrangig aus Liebe zum Eishockey engagierte, sondern weil er etwas gegen den Negativsog im Hamburger Sport nach der im November 2015 gescheiterten Olympiabewerbung tun wollte, sieht eine harte Fanbasis von 6000 bis 7000 Menschen, die zu aktivieren wäre.
Eishockey in Hamburg muss wiederbelebt werden
Sven Gösch will in der Stadt präsenter werden, er strebt Kooperationen mit Vereinen aus anderen Sportarten an, um Crosspromotion zu betreiben, indem beispielsweise Kombitickets für verschiedene Veranstaltungen verkauft werden. Auch ein Winter Game im Stadion des FC St. Pauli während der Winterpause für die Fußball-WM 2022 in Katar sei nicht vom Tisch. Und Uwe Frommhold?
Der sagt: „Dass Eishockey in Hamburg zieht, haben die Freezers seit 2002 gezeigt. Ich bin sicher, dass man das wiederbeleben kann. Man braucht ein glaubwürdiges Umfeld und eine gute Geschichte hinter dem Projekt. Die Crocodiles bieten das, sie verdienen die Chance, den nächsten Schritt zu machen.“ Bekommen sie diese nicht, wird es vielleicht schon bald an Sven Gösch sein, das endgültige Aus des Profi-Eishockeys in Hamburg verkünden zu müssen.