Gelsenkirchen. Zwei zauberhafte Leistungen, die mit zwei verdienten Siegen endeten, genügten dafür, Spanien zum EM-Favoriten zu machen. Eine Analyse.
Eigentlich ist Luis de la Fuente ein zurückhaltender Mensch, von mutigen Ansagen, die der Boulevard dankbar aufgreift, ganz weit entfernt. Doch nachdem seine spanische Mannschaft Italien am Donnerstagabend knapp, aber virtuos mit 1:0 bezwungen hatte, geriet auch der 63 Jahre alte Trainer ins Schwärmen. „Spanische Fußballer sind die besten der Welt“, sagte de la Fuente und richtete eine Drohung an die übrigen Teilnehmer an der EM. „Alle Spieler haben unglaubliches Potenzial, das sie noch nicht ausgeschöpft haben.“
Spanien ist nach nur zwei Spielen EM-Gruppensieger
Die beste Mannschaft des Turniers, die schon nach zwei Spielen als Gruppensieger und Achtelfinal-Teilnehmer feststeht, kann noch besser werden? Wer den Spaniern zuschaute, wie sie den stolzen italienischen Fußball innerhalb von 90 Minuten in eine Krise stürzten, wird das kaum glauben. Allein der formidable italienische Torwart Gianluigi Donnarumma verhinderte ein historisches Debakel. In Spanien gibt es neue spanische Fußball-Helden, die Sehnsucht nach Casillas, Xavi, Iniesta ist Vergangenheit. Jetzt begeistert zum Beispiel Rodri, der unglaublich gute Mittelfeld-Stratege. Nur Toni Kroos spielt ähnlich präzise. Zum Beispiel Lamine Yamal, 16 Jahre alt, der jüngste Spieler, der je eine EM spielte. Oder, oder, oder.
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Dass die Spanier so beeindrucken, ist das Werk eines Mannes, der im internationalen Fußball unbekannt war, als er 2022 die Furia Roja übernahm. Er passte so gar nicht zur Trainerauswahl der Spanier in den vorherigen Jahrzehnten, als – Interimstrainer ausgenommen – eine Erfahrung als Vereinstrainer in der internationalen Spitze Einstellungs-Voraussetzung war. Bevor Luis Aragones, Trainer beim EM-Titel 2008, übernahm, hatte er 29 Jahre lang die halbe spanische Liga trainiert. Vicente Del Bosque, der mit Spanien die WM 2010 und die EM 2012 gewann, hatte Real Madrid zu zwei Champions-League-Siegen geführt.
De la Fuente aber war als Vereinstrainer nur in der Dritten Liga unterwegs – und lernte dann den spanischen Verband ausführlich kennen. Trainierte die spanische U19, die spanische U21, die Olympia-Auswahl – viele Spieler der aktuellen Auswahl gingen durch seine Schule. Auch mangels Alternativen bekam de la Fuente den Job anvertraut. Dass er innerhalb kurzer Zeit die nächste titelreife Generation formen würde, das hätte selbst in Spanien niemand vermutet. Wurde er am Anfang noch für seine ruhige, eher langweilige Art gerügt, verschaffte ihm der Nations-League-Sieg 2023 Respekt. Und er war kein Zufall, wie diese EM zeigt.
Wer jahrelang über den spanischen Fußball sprach, dachte im nächsten Moment an Tiki-Taka, den legendären Ballbesitzfußball mit endlosen Ballstafetten, mit technisch perfektem Kurzpassspiel. Die Startelf bildeten überwiegend Spieler von zwei Vereinen: Iker Casillas, Sergio Ramos, Xabi Alonso bildeten beispielsweise 2010 den Real-Madrid-Block. Noch dominanter waren die Spieler des FC Barcelona: Gerard Pique, Carles Puyol, Sergio Busquets, Xavi, Andres Iniesta. Namen, die noch heute das Bedürfnis auslösen, im Internet die besten Spielzüge, die schönsten Tore anzuschauen.
Spieler des Spiels: der Spanier Nico Williams
Die Spanier gewannen alles, doch die Spieler wurden älter, und das WM-Aus in der Vorrunde 2014 leitete den Umbruch ein. Doch erst de la Fuente fand das passende Rezept. Tiki-Taka würden die Spanier zwar wegen ihrer herausragenden Technik immer noch beherrschen - doch das ist Vergangenheit. Spanien setzt auf direktes Spiel nach vorn, Schüsse aus der Distanz, Angriffe über die schnellen Außenspieler. Gegen Italien drehten auf der linken Seite Marc Cucurella und Nico Williams auf, kein Verteidiger konnte sie aufhalten. „Es gibt Leute, die nicht an uns geglaubt haben. Aber wir haben eine Nachricht gesendet, dass Spanien immer da ist“, sagte Cucurella nach dem Spiel. „Natürlich wollen wir Europameister werden“, ergänzte Williams, zum Spieler des Spiels gewählt, als er seinen Pokal präsentierte. Einer, der übrigens nicht für die großen spanischen Klubs spielt – sondern für Athletic Bilbao.
Gegen Albanien spielt am Montag die B-Elf
Doch wie ausgeglichen ist Spaniens Kader besetzt? Das wird de la Fuente am Montag (21 Uhr in Düsseldorf) im abschließenden, für sein Team unbedeutenden Gruppenspiel gegen Albanien testen. „Wir werden ein paar Kräfte für das Achtelfinale schonen“, sagte de la Fuente. Einige klangvolle Namen spielten gegen Italien nicht: Nacho, Kapitän von Real Madrid, fehlte angeschlagen. Real-Stürmer Joselu wartet ebenso auf seine Startelf-Chance wie der Leipziger Dani Olmo.
Dass sein Team in den ersten Gang schaltet, glaubt de la Fuente aber nicht. „Wir wollen dem Gegner nichts schenken“, sagte er. Es sieht schlecht aus für Albanien.
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