Dortmund. Arda Güler verzaubert bei der EM die Türkei und lässt die Erwartungen in riesige Höhen klettern. Doch zu viel Liebe kann auch ungesund sein.
Die weißen Kopfhörer steckte sich Arda Güler ins Ohr, das rote Trikot hatte er gegen einen grauen Trainingsanzug getauscht, so saß er als Spieler des Spiels auf dem Podium im Medienraum des Dortmunder Stadions. In dem Gesicht des 19-Jährigen ließen sich ein paar Pickel entdecken, gerade noch war der Fußballer ein Teenager, jetzt wird er von einer ganzen Nation verehrt.
„Es sind noch nicht all meine Träume wahr geworden, nur einige davon“, sagte Güler. „Es war ein sehr schönes Tor. Es ist schwierig, meine Gefühle auszudrücken.“
Dieses Tor, über das Europa nun spricht, ereignete sich in der 65. Minute. Mit einer Mischung aus Härte und Finesse drehte der Offensivspieler den Ball in den linken Winkel und brachte seine Mannschaft am Dienstagabend in einem mitreißenden Duell gegen Georgien wieder 2:1 in Führung, am Ende stand es 3:1. Das lässt die türkische Hoffnung auf eine bemerkenswerte Europameisterschaft weiter wachsen, die Euphorie klettert schon jetzt in riesige Höhen. Und die Fans, bekannt für ihre Liebe, die rasant in Abneigung umschlagen kann, jubeln vor allem ihrem Wunderkind mit den kleinen Pickeln zu. Das, so ist das in diesem emotionalen Land, bei der überschwappenden Zuneigung nicht den Kopf verlieren darf.
Arda Güler – „der Ball liebt ihn“
2023 wechselte Arda Güler von Fenerbahce Istanbul zum großen Real Madrid, schon dies ein Ereignis. In Nuri Sahin und Hamit Altintop haben es zuvor nur zwei türkische Nationalspieler bis zur bekanntesten Adresse des Fußballs geschafft. Beide spielten dort nur Nebenrollen, Güler aber trauen die knapp 85 Millionen Menschen in dem Staat am Rande Europas zu, beim spanischen Luxusklub zu einem Weltstar aufzusteigen.
Gemach.
„Der Ball liebt ihn“, hat Madrids Trainer Carlo Ancelotti über Arda Güler gesagt, ihn aber trotzdem nur insgesamt 440 Minuten auf den Platz gestellt. In der Champions League kam das türkische Talent gar nicht zum Einsatz, steht nach dem 2:0-Erfolg über Borussia Dortmund im Endspiel aber trotzdem als erster türkischer Königsklassen-Sieger in den Geschichtsbüchern. „Er hat nicht die Minuten bekommen, die er verdient hätte, aber mit seiner guten Einstellung, seiner Art zu arbeiten und seiner Entschlossenheit kann er jederzeit spielen“, meinte Ancelotti.
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In Madrid muss sich Güler seine Bedeutung erst erarbeiten, bei der Türkei ist er bereits ein Schlüsselspieler. Mit seinen kleinen, tänzelnden Bewegungen, seiner Schnelligkeit, seinem Schuss soll er die Offensive von der rechten Seite aus gestalten. „Der türkische Messi“ schrieb die spanische Zeitung Marca aufgrund des Treffers, der an die argentinische Legende erinnerte. Durch sein Tor im Alter von 19 Jahren und 114 Tagen ist Güler der jüngste Spieler, der in seinem EM-Debüt ein Tor erzielte. Überholt hat er Cristiano Ronaldo, dieser traf 2004 im Alter von 19 Jahren und 128 Tagen.
Ihm gehe es jedoch nicht um persönliche Erfolge, sagte Güler. „Ich wollte die Menschen hier glücklich machen.“ Knapp drei Millionen Frauen, Männer, Kinder mit türkischen Wurzeln leben in Deutschland, sie verwandeln die Europameisterschaft in eine Art Heim-EM für die Mannschaft von Trainer Vincenzo Montella. So entwickelte sich der Dienstagabend zu einem rauschhaften Fest mit einem wilden Spiel, in dem Georgien an der Sensation knabberte, die Latte traf, den Pfosten, den Kopf von Samet Akaydin kurz vor der Torlinie. „Es war ein perfekter Geburtstag und wirklich das schönste Geschenk, das man mir machen konnte“, sagte der an diesem Tag 50 gewordene Vincenzo Montella. „Ein tolles Match, auch ein wohlverdienter Sieg für die Mannschaft.“ Aber: „Wir hatten 22 Torschüsse, wir müssen definitiv präziser werden.“
Jude Bellingham über Arda Güler: „Ich bin nicht überrascht“
So präzise wie es Arda Güler vorgemacht hatte, nach seinem Tor küsste er das türkische Wappen, geboren wurde der Dribbler in der Provinz Ankara, 2019 zog er weiter nach Istanbul, gab im Alter von 16 Jahren sein Profidebüt bei Fenerbahce. Der kleine Fußballer hat es geschafft, dass ihn selbst Fans der anderen Klubs in der Stadt am Bosporus verehren, obwohl ihre Lager normalerweise verfeindet sind.
„Ich bin nicht überrascht“, schrieb Gülers Madrid-Kollege Jude Bellingham bei Instagram über das wundervolle Tor. Das türkische Medium TRT Spor meinte: „Er wird nicht der Spieler des Spiels sein, sondern der Spieler der Euro 2024.“ Die Erwartungen schießen in der Türkei schnell in andere Sphären. Samstag gegen Portugal wird sich zeigen, wie leistungsstark die Mannschaft und der junge Arda Güler wirklich sind.
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