Hamburg. Klaus Gjasula (34) will noch lange nicht Schluss machen. Beim Präsidenten war er schon, jetzt will er in der „Todesgruppe“ überraschen.

Wenn es nach ihm ginge, dann wären an diesem Mittwoch mindestens 100 Gjasulas im Hamburger Volksparkstadion dabei. Klaus Gjasula lacht. „Aber die Uefa hatte leider etwas dagegen.“ Immerhin: Mama und Papa Gjasula werden dabei sein, wenn Sohn Klaus am Nachmittag (15 Uhr/live auf RTL und bei MangentaTV) in seinem alten Wohnzimmer mit Albanien auf Kroatien trifft und neben den Gjasulas eine ganze Nation glücklich machen will.

„Das Spiel in Hamburg ist für mich etwas ganz Besonderes“, sagt Klaus Gjasula im Gespräch mit dieser Redaktion. Eine Saison lang spielte er im Volkspark, beim HSV. 2020/2021. Das Jahr war mäßig, der HSV stieg mal wieder nicht auf – und Gjasula zog weiter zum SV Darmstadt. Trotzdem sei es großartig gewesen, bei so einem großen Club wie dem HSV gespielt zu haben.

Ex-HSV-Profi Gjasula freut sich auf volles Volksparkstadion

„Wegen Corona hatte ich in meiner HSV-Zeit kein einziges Spiel mit Zuschauern im Volkspark“, sagt Gjasula. „Deswegen freue ich mich nun umso mehr auf das ausverkaufte Stadion.“ Und auf die große Unterstützung aus der Heimat, die bereits beim ersten Gruppenspiel gegen Italien in Dortmund deutlich in der Überzahl war.

„Unglaublich, das ist unser zwölfter Spieler“, schwärmte Mittelfeldspieler Taulant Seferi nach dem knappen 1:2 gegen Italien. Trotz der Niederlage war auch Albaniens brasilianischer Nationaltrainer Sylvinho begeistert: „Es war großartig. Wir konnten nicht erwarten, dass das ganze Stadion rot sein wird.“

Nach Qualifikation durfte Gjasula zum Präsidenten

Klaus Gjasula war überhaupt nicht überrascht. Der Mittelfeldabräumer weiß genau, wie sehr das Land hinter der Nationalmannschaft steht. Als sich Albanien im vergangenen November als Gruppenerster zum zweiten Mal nach 2016 für eine EM qualifizierte, stand die Nation bereits Kopf. „Das war brutal“, sagt der 34-Jährige. „Wir fuhren direkt vom Flughafen in den Präsidentenpalast.“ Jeder habe seinen besten Anzug angezogen und dann Präsident Bajram Begaj die Hand geschüttelt.

Dass auch ihr Klaus im feinen Zwirn dabei war, hat Mama und Papa Gjasula natürlich besonders stolz gemacht. Noch stolzer waren die beiden nur, als sie vor wenigen Wochen den Anruf ihres Sohnes erhielten, dass er auch tatsächlich bei der Europameisterschaft dabei ist. „Für mich ist das eine Heim-EM“, sagt Gjasula, der in Tirana geboren, aber in Freiburg aufgewachsen ist.

1990 kamen die Gjasulas über Italien und die Schweiz nach Freiburg

Die ungewöhnliche Geschichte seiner Familie hat Gjasula schon häufiger erzählt. Er heißt Klaus, sein Bruder Jürgen. Der kuriose Grund: Seine Oma war großer Fan der Schwarzwaldklinik im Allgemeinen und von Professor Brinkmann im Speziellen. Beziehungsweise vom Schauspieler Klaus-Jürgen Wussow. Die logische Folge: ein albanischer Klaus, ein albanischer Jürgen.

Seine Eltern seien dann 1990 aus Albanien mit dem Zug über Italien und die Schweiz Richtung Norden gefahren, berichtete Gjasula einmal dem Magazin „11Freunde“. „Die erste Station in Deutschland war Freiburg. Da fragte mein Vater meine Mutter: ‚Sollen wir hier aussteigen?‘ Und sie meinte nur: ‚Sieht nett aus, lass uns raus.‘ So sind wir in dieser Stadt gelandet.“

Gjasula wuchs „im Getto von Freiburg“ auf

In Freiburg-Weingarten ließen sich die Gjasulas nieder „Das Viertel galt damals als Getto von Freiburg. Krotzinger Straße, mieser Ruf, viele Hochhäuser, viele Nationen“, so Gjasula. „Dort war es nicht sonderlich idyllisch, sondern eher tough. Aber: Ich hatte schon als Junge nur Fußball im Kopf. Direkt hinter unserem Block war ein Bolzplatz, da haben sich alle aus der Gegend getroffen, dort habe ich weite Teile meiner Jugend verbracht.“

Noch heute wohnen seine Eltern in Freiburg. Mama Gjasula arbeitet noch immer im Supermarkt an der Kasse und berichtet Kunden immer wieder sehr stolz davon, was ihr Klaus in den vergangenen Jahren alles erreicht hat. Von Freiburg-Weingarten bis in die großen EM-Arenen, das schafft nur ihr Klaus.

Auch wenn Gjasula heute an die Krotzinger Straße und seinen ungewöhnlichen Karriereweg zurückdenken muss, wird ihm warm ums Herz. Mit 28 Jahren spielte er erstmals in der Zweiten Liga, mit 29 Jahren in der Bundesliga, mit knapp 30 Jahren in der Nationalmannschaft und mit 34 Jahren bei einem großen Turnier. Ein echter Spätstarter, der nun noch lange nicht genug hat.

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„Meine Karriere hat erst spät begonnen“, sagt Gjasula, der sich noch immer fit fühlt. „Ich habe noch Hunger auf mehr. Ich habe in meiner kurzen Zeit als Profi sehr viel erlebt: zwei Aufstiege, zwei Abstiege, zwei vierte Plätze. WM- und EM-Quali. In meinen sechs Jahren als Profi habe ich mehr erlebt als andere in zwölf Jahren. Ich will so lange wie möglich spielen. Auf mich wartet nicht nur ein Jahr, sondern mehrere Jahre.“

Sein Vertrag in Darmstadt ist zwar ausgelaufen, aber die Gespräche über eine Vertragsverlängerung laufen. Doch jetzt ist erst einmal die Europameisterschaft. „Für mich ist diese EM mein Karrierehöhepunkt“, sagt Gjasula vor dem Duell gegen Kroatien, das nach der Auftaktniederlage beider bereits über Wohl und Wehe mit Spanien und Italien in der Todesgruppe B bei dieser EM entscheiden könnte.

Ex-HSV-Profi Gjasula will bei EM überraschen

„Wir sind der große Außenseiter in der Gruppe. Aber wir haben keinen Druck, wir wollen positiv überraschen“, sagt Gjasula, ehe er sich zum Training verabschiedet. Ach ja, nur noch eine Sache: „Wir haben brutal geile Fans. Mir ist wichtig, dass die Zuschauer uns positiv in Erinnerung haben.“

Mindestens so positiv, wie Oma Gjasula Professor Brinkmann in Erinnerung hat.