Herzogenaurach. Stuttgarts Linksverteidiger ist der Senkrechtstarter beim DFB. Ein Gespräch über seine erstaunliche Entwicklung und seine Berlin-Liebe.
Im Adidas-Hauptquartier in Herzogenaurach wird an jeder Ecke deutlich, wie der Konzern sein Geld verdient. Die Räume etwa sind nach Sportstätten benannt, einer trägt den Namen „Pool“. Die Wände sind blau gestrichen, ganz oben hängt ein Brett, auf dem gerade ein Athlet den Absprung wagt. Maxi Mittelstädt, 27, bleibt im Interview an dieser Stelle lieber auf dem Boden. Der deutsche Nationalspieler spricht über seinen steilen Aufstieg zum Stamm-Linksverteidiger im DFB-Team, seine persönliche Verbindung zu Major Tom und den Traum vom Finale in seiner Heimatstadt Berlin.
Herr Mittelstädt, wir haben Ihnen einen kleinen Text mitgebracht: „Effektivität bestimmt das Handeln. Man verlässt sich blind auf den anderen. Jeder weiß genau, was von ihm abhängt.“ Kommen Ihnen diese Sätze bekannt vor?
Maximilian Mittelstädt: (überlegt lange) Das könnte von unserem Training mit dem SEK stammen. Da ging es auch darum, sich blind aufeinander verlassen zu können.
Nicht ganz. Die Passage stammt aus der ersten Strophe von Peter Schillings „Major Tom“.
Jetzt klingelt es. Klar, das passt auch zu uns. Wenn man sich blind aufeinander verlassen kann, ist das für unser Spiel und die EM sehr hilfreich
DFB-Team: Maxi Mittelstädt über den Hype um „Major Tom“
Was haben Sie mit dem Lied verbunden, bevor es nach Ihrem ersten Länderspiel-Tor im März gegen die Niederlande im Stadion gespielt und zur neuen Torhymne wurde?
Natürlich habe ich das Lied vorher schon oft gehört. Vor allem meine Eltern verbinden eine Menge damit und haben früher dazu getanzt. Dass dieses Lied nun mit mir in Verbindung gebracht wird, ist auch für sie surreal. Daraus ist nun eine schöne Anekdote entstanden, die ich sicher noch ein paar Mal in Zukunft erzählen werde.
Haben Sie auch selbst dazu getanzt?
Sicherlich. Als ich noch in der Jugend bei meinem Heimatverein SC Staaken gespielt hatte, bin ich oft mit meinen Eltern ins Klubheim zu den Schlagerpartys gegangen. Da lief das Lied bestimmt das eine oder andere Mal.
In welchen Berliner Clubs haben Sie später getanzt?
Ich bin nicht oft feiern gegangen. Aber wenn, dann waren wir mit der Mannschaft meistens im Bricks. Oder im 808. Ab und an auch mal im Avenue.
DFB-Team: Maxi Mittelstädt über seine Heimat Berlin
Waren Sie schon mal im Berghain?
Nein, bislang nicht. Natürlich wäre es interessant, den Club mal von innen zu sehen, er ist ja schon sehr bekannt. Es hat mich aber bislang nicht gereizt, mal einen Versuch zu starten. Um dort reinzukommen, hilft mir sicher auch mein Status als Nationalspieler nicht (lacht).
Sie sind gebürtiger Berliner und haben für Sports Illustrated einen Reiseführer über Ihre Stadt geschrieben. Wo ist es am schönsten?
Ich habe früher viel Zeit auf dem Glockenturm am Olympiastadion verbracht. Das war von Spandau aus, wo ich aufgewachsen bin, schnell zu erreichen. Da konnte man immer mal Konzerte mithören. Meine Eltern waren gerne auf Depeche-Mode-Konzerten. Berlin hat viele schöne Seiten. Jeder Bezirk ist wie eine eigene Stadt und hat seinen eigenen Charme.
Berlin steht wie nur wenige Städte auf der Welt für ein Zusammenleben verschiedener Kulturen. Genau wie die Nationalmannschaft. Wundert es Sie, dass dieses Thema immer wieder öffentlich diskutiert wird?
Für mich ist das gar kein Thema. Wie Sie schon sagen: Berlin ist voller verschiedener Kulturen. Auch ich bin in einem mulikulturellen Umfeld aufgewachsen. In meinem Freundeskreis gab es kaum jemanden, dessen Wurzeln ausschließlich in Deutschland liegen. Meine besten Freunde kommen alle aus anderen Ländern. In Berlin wächst man ganz selbstverständlich mit verschiedenen Kulturen und Religionen auf.
DFB-Team: Maxi Mittelstädt über eine Begegnung mit Sandro Wagner
Wie lange Sie in Berlin waren, verdeutlicht die Tatsache, dass Sie bei Hertha noch mit Ihrem heutigen DFB-Co-Trainer Sandro Wagner zusammengespielt haben. 2015 war das.
Ja, Wahnsinn, wie lange das schon her ist. Ich kam gerade zu den Profis hoch und Sandro hatte sein letztes Jahr bei Hertha. Als ich gegen Leverkusen unter Jos Luhukay das erste Mal im Kader stand, hat er mich mal zu Hause in Falkensee abgesetzt. Es war ein Abendspiel und meine Eltern mussten am nächsten Morgen früh arbeiten. Also hat Sandro mir angeboten, mich zu fahren. Mein kleiner Bruder hat damals bei uns vor der Haustür gewartet, um ein Foto mit ihm zu machen. Beim nächsten Spiel hat Sandro ihm dann sogar sein Trikot geschenkt. Er ist ein cooler Typ.
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Im vergangenen Sommer sind Sie zum VfB Stuttgart gewechselt. War es nach so vielen Jahren in Berlin auch für Sie persönlich wichtig, mal rauszukommen?
Wenn man auf das Jahr zurückblickt, war es auf jeden Fall die richtige Entscheidung. Im Fußball kannst du nie sagen, wie es sich entwickelt. Natürlich hätte es auch in die andere Richtung ausschlagen können. Dann hätte ich mir vermutlich gedacht: Wärest du lieber zu Hause geblieben und hättest Familie und Freunde an deiner Seite. Für mich aber war es das Beste, was mir passieren konnte, mal rauszukommen. Das hat mir extrem gutgetan.
Dabei verlief Ihr Start in Stuttgart alles andere als optimal. Sie haben sich im Trainingslager verletzt und sind praktisch für die gesamte Vorbereitung ausgefallen.
Das war ärgerlich. Trotzdem habe ich vom ersten Moment an in Stuttgart unheimliches Vertrauen gespürt. Nach zwei Trainingseinheiten stand ich am ersten Spieltag gleich im Kader. Dann hat es sich in Stuttgart stetig gesteigert, bis ich schließlich alle Spiele gemacht habe.
DFB-Team: Maxi Mittelstädt über seinen Aufstieg beim VfB Stuttgart
Jetzt sind Sie Vizemeister, werden im kommenden Jahr in der Champions League auflaufen und sind Stammspieler in der Nationalmannschaft. Was sagt Ihr größter Fan, Oma Angelika dazu?
(lacht) Sie ist manchmal auch noch ein bisschen fassungslos und freut sich natürlich für mich. Sie schafft es aber nicht mehr, die Spiele im Stadion anzuschauen, das wird zu viel für sie. Aber sie ist weiterhin voll dabei.
Würde sie für das EM-Finale eine Ausnahme machen?
An der Karte würde es nicht scheitern. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie da eine Ausnahme macht. Ein Finale im Olympiastadion wäre für meine gesamte Familie ein Traum, vor allem vor dem Hintergrund, dass ich da vor einem Jahr noch mit Hertha gespielt habe.
Ihr junger Bruder Frederik, 23, spielt bei Delay Sports Berlin in der Kreisliga. Schafft er auch noch eine Spätstarterkarriere wie Sie?
Das wird eher schwierig. Er ist zwar auch talentiert, aber ihm fehlt der Ehrgeiz. Er ist Torwart, hat sich gut entwickelt. Er hat neulich in der Infinity League von Dazn als Torwart zwei Tore gemacht. Vielleicht wäre aus ihm auch etwas geworden, wenn er meine Disziplin an den Tag gelegt hätte.
Sie wären auch fast Torwart geworden.
Das stimmt. Früher stand ich gerne im Tor. Aufgrund meiner Größe ist es aber besser, dass ich Linksverteidiger geworden bin.
DFB-Team: Maxi Mittelstädt über die Linksverteidiger-Problematik
Auch für Deutschland ist es gut, dass Sie jetzt das jahrelange Problem auf der Linksverteidigerposition lösen konnten. Haben Sie eigentlich eine Erklärung, warum das DFB-Team aktuell aus so vielen Spätstartern besteht?
Ich glaube, dass so gut wie jeder Spieler in der Karriere mal einen Knick hat. Bei mir lief es lange Zeit gut, wir haben mit Hertha in der Europa League gespielt. Dann kam die Phase mit dem Investor, wo es drunter und drüber ging mit gefühlt acht Trainern in zwei Jahren. Da hattest du gar keine Möglichkeit, dich zu entwickeln. Wer weiß, wie ich mich entwickelt hätte, wenn ich früher einen Trainer wie Sebastian Hoeneß gehabt und über einen längeren Zeitraum das Vertrauen bekommen hätte.
Sie haben Anfang des Jahres mit der „FAZ“ gewettet, dass Sie in einer grauen Jogginghose trainieren werden, wenn Sie mit dem VfB den Europapokal erreichen.
Oh ja. Dann muss ich die wohl mal herauskramen. Mein Torwartvorbild war damals Gabor Kiraly, als Spieler Marcelinho. Ich hatte sogar eine lebensechte Figur von ihm in meinem Zimmer stehen – und von Kiraly natürlich die graue Schlabberhose. Er hatte eine eigene Kollektion rausgebracht, die habe ich noch zu Hause. Vielleicht trage ich sie zum ersten Training der neuen Saison (lächelt).
Sie haben noch immer eine Wohnung in Charlottenburg. Halten Sie die für die Nacht nach dem EM-Finale frei?
Meine Möbel sind noch da, damit ich mein eigenes Zuhause habe, wenn ich mal wieder nach Berlin komme. Wenn wir wirklich Europameister werden, werde ich aber vermutlich gar nicht schlafen (lacht).
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