Hamburg. Die Vorbereitung auf 42 Kilometer Laufen ist langwierig und zerrt an den Kräften. Eine Nasen-OP und ein verbrühter Fuß helfen da nicht.
Langsam öffnen sich meine Augen. Rechts von mir steht ein piepender Computer, meine Füße berühren die kalte Stange des Betts, das offensichtlich nicht für zwei Meter große Menschen gemacht ist. Ich erkenne andere Patienten, die vermutlich auch gerade im Delirium zwischen Narkose und Bewusstsein transzendieren. Meine Gedanken kreisen … Wo geht‘s hier eigentlich zum Strand? Kurz darauf schiebt mich ein kräftiger Pfleger mit tätowierten Unterarmen nicht ans Meer, sondern in Zimmer 37 der HNO-Station in der Asklepios Klinik Heidberg.
Im vergangenen Sommer hat der Kopf eines guten Freundes meine Nasenscheidewand in eine S-Form gebogen. Seitdem war die Belüftung stark eingeschränkt, eine OP unausweichlich. Nach vielen Arztbesuchen stand der Termin Anfang des Jahres fest: Am 7. März sollte es so weit sein. Sieben Wochen vor dem Hamburg Marathon, für den ich seit einem halben Jahr trainiere. Ein riskantes Unterfangen.
An diesem Sonntag ist der Hamburg-Marathon
Vor der OP frage ich meine HNO-Ärztin vorsichtig nach ihrer Meinung. „Drei bis sechs Wochen kein Sport“, antwortet sie knapp. Ich erzähle ihr, dass zwischen der OP und dem Start 52 Tage liegen. „Nun gut, Sie sollten nur Dinge machen, die nicht anstrengend sind. Ansonsten kann es zu Blutungen kommen“, erklärt sie geduldig. „Ist eine Marathonvorbereitung denn anstrengend?“
Ich verkneife mir eine ehrliche Antwort, bedanke mich und fahre nach Hause. In der U-Bahn konsultiere ich den imaginären und allwissenden Quacksalber Dr. Google. Dort ist dann bei einer vergleichbaren Operation nur noch von „zehn bis 14 Tagen Sportpause“ die Rede. Mehr wollte ich nicht wissen. Bestärkt in meinem Vorhaben packe ich mein Handy wieder in die Hosentasche.
Tatsächlich verläuft die Heilung wie erhofft. Nach drei Wochen stehe ich zum ersten Mal wieder in Laufschuhen. Mitte April gibt mir ein 31 Kilometer langer Lauf durch die halbe Stadt mit meinem Verein „Hamburg Running“ die nötige Sicherheit, dass ich es auch bei meinem vierten Marathon schon irgendwie ins Ziel schaffen würde. Vielleicht nicht in Bestzeit, aber ich fühle mich trotz der OP gut vorbereitet. Das sollte sich wenige Tage später ändern.
Niemals kochendes Wasser in Festivalbecher!
Es ist Freitagabend, neun Tage vor dem Start. Ich absolviere einen der letzten Läufe. Danach scrolle ich auf der Suche nach einem Abendessen durch meinen Instagram-Feed. Meine Wahl fällt auf Reisnudeln mit grünem Spargel und Scampi – laut der Influencerin meines Vertrauens eine Sache von einer halben Stunde. Perfekt.
Die Reisnudeln soll ich in der Pfanne anbraten und dann mit einem halben Liter Gemüsebrühe ablöschen. Mein Messbecher ist im Geschirrspüler und ich habe keine Lust, ihn abzuwaschen. Also nehme ich einen alten Becher vom Deichbrand-Festival. Eine fatale Faulheit.
Kochende Gemüsebrühe landet auf meinem Fuß
Ich mache eine schmerzhafte Erfahrung: Einfache Festivalbecher aus Plastik sind ganz offensichtlich nicht für kochendes Wasser gedacht. Als ich die Reisnudeln so lässig mit Gemüsebrühe ablöschen möchte, wie ich es in dem Instagram-Video gesehen habe, gibt der Becher nach. Eine Spontanmutation des Plastiks. Und so gieße ich den ersten Schwung der köchelnden Brühe nicht in die Pfanne, sondern über meinen rechten Fuß.
Im ersten Moment bleibt mir vom stechenden Schmerz kurz der Atem weg. Doch dann rieche ich die angebrannten Reisnudeln, die ja immer noch niemand abgelöscht hat. Also kippe ich den Rest hastig in die Pfanne, ein bisschen Weißwein, Zitronensaft, Salz und Pfeffer dazu, Deckel drauf. Der Fuß pocht. Ich ziehe die Socke vorsichtig ab – und mit ihr auch Teile meiner Haut von meinem Fußrücken. Ich blicke auf meinen feuerroten Fuß und ahne, dass dieser Anblick suboptimal für einen Marathon sein könnte.
„Auf gar keinen Fall“ – die Apothekerin hat eine klare Meinung
Drei Tage später gehe ich auf Anraten meiner Freundin zur Apotheke und berichte von meinem Missgeschick. Ich präsentiere ein Foto meines Fußes, was dafür sorgt, dass die Apothekerin hastig ihre Kollegin herbeiruft und beide sich anschließend besorgt über mein Handy beugen. Wann das passiert sei, ob ich gekühlt hätte und warum ich jetzt erst hier sei, wollen sie wissen.
Wieder frage ich vorsichtig nach. Einen Marathon laufen? Am Sonntag? Eine der beiden wendet ihren Blick von meinem Handy ab und schaut mich mit gerunzelter Stirn an: „Auf gar keinen Fall.“ Danach fallen noch Worte wie „Blutvergiftung“, „Entzündung“ und „Arzt“, aber die dringen nicht mehr zu mir durch. Dass ich am Sonntag an den Start gehen werde, steht für mich außer Frage.
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Glücklicherweise ist mein Fuß bis zum heutigen Tage nicht abgefallen und auch die Wunde ist einigermaßen verheilt. Auch wenn es schmerzhaft wird, werde ich am Sonntag an den Start gehen und die tolle Stimmung entlang der Strecke genießen. Dann werden meine Füße brennen – ob mit oder ohne Gemüsebrühe.