Hamburg. TuS Dassendorf dreht die Partie vor Rekordkulisse in der Nachspielzeit. Altona 93 beantragt die Lizenz für die Regionalliga Nord.
Altonas stellvertretender Vorsitzender Ragnar Törber benötigte vor dem Spitzenspiel des Tabellenführers Altona 93 gegen Verfolger TuS Dassendorf nur wenige Sekunden für eine klare Aussage. „Na klar, wir melden definitiv für die Regionalliga Nord“, sagte Törber – und beseitigte damit kurz vor seinem Urlaub sowieso kaum vorhandene Zweifel am Anspruch von Altona 93. Die Viertklassigkeit soll es sein. Da vermutlich kein anderer Oberligist eine Meldung einreichen wird, dürfte Altona 93 die Teilnahme an den Aufstiegsspielen zur Regionalliga Nord sicher sein.
Altona 93 gibt die Partie in der Nachspielzeit aus der Hand
Ob der AFC diese auch als Meister bestreiten wird, ist eine andere Frage. 93 Spielminuten sah es so aus, als gäbe es daran ebenso wenig Zweifel wie an der Meldung Altonas. Doch so wie Törber nur wenige Sekunden benötigte, um für Klarheit zu sorgen, so brauchte ihrerseits die TuS Dassendorf nur die letzten zwei Minuten der Nachspielzeit, um die Kräfteverhältnisse auf dem Anzeigetafel umzukehren und sich im Titelkampf der Oberliga Hamburg zurückzumelden. Einen 2:3-Rückstand drehte die TuS durch Treffer von Martin Harnik (90.+3) und Kerim Carolus (90.+5) in einen insgesamt glücklichen 4:3-Erfolg.
Glücklich deshalb, weil Dassendorf in Hälfte eins kaum stattfand. Altona schoss dagegen drei Tore. Einen super Freistoß von Gianluca Przondziono aus 16 Metern halblinks in den Winkel zum 1:0 (8.), einen schönen Kopfballtreffer per Lupfer von Angreifer Pacsal El-Nemr unter tatkräftiger Mithilfe des unmotiviert aus seinem Tor geeilten Dassendorfer Keepers Sebastian Kalk (26.) – und zwischendrin ein unglückliches Eigentor von Gideon Baur nach dem einzig schönen Dassendorfer Spielzug in den ersten 45 Minuten (11.).
Ex-Profi Martin Harnik trifft doppelt für Dassendorf
In Hälfte zwei verschuldete Altonas Moritz Grosche einen völlig unnötigen Foulelfmeter an Ashton Götz, den Ex-HSV-Profi Martin Harnik zum 2:2 verwandelte (65.). Das verdiente 3:2 durch Lenny Glissmann nach einem herrlichen Spielzug zum 3:2 (85.) hätte Altona bei Abpfiff sieben Punkte Vorsprung bei einem ausgetragenen Spiel weniger gebracht – und den Titelkampf der Oberliga Hamburg wohl entschieden. Doch die in Halbzeit zwei verbesserten Dassendorfer, die gleichwohl weniger Torchancen als Altona herausspielten, zeigten sich in der Schlussphase nach zwei Angriffen über links mit Beteiligung von Flankengeber Götz eiskalt. Harnik staubte zum Ausgleich ab, Kerim Carolus traf per Kopf zum Sieg.
„Das müssen wir wegstecken, und daraus müssen wir lernen“, sagte Altonas Trainer Andreas Bergmann nach der Partie. „Wir haben insgesamt eine gute Leistung gezeigt. Am Schluss waren wir aber zu wild, haben zu viele kleine Fehler gemacht.“ So nutzte Selim Ajkic eine Topchance, als er alleine auf Dassendorfs Keeper Kalk zulief, nicht zum 4:2 (90.+1).
Altona 93 verliert zum ersten Mal nach 30 ungeschlagenen Liga-Pflichtspielen
Altonas Team schloss Angriffe zu rasch ab, anstatt die Uhr runterzuspielen. Vor dem 3:3 wurde ein schnell ausgeführter Freistoß nicht verhindert, Bälle wurden nicht resolut genug geklärt. Das junge, spielerisch überlegene Altona 93 stieß auf die Abgezocktheit Dassendorfs – und erlitt das erste Mal nach 30 Liga-Pflichtspielen in Serie ohne Niederlage Schiffbruch.
„Trotzdem war es ein echtes Spitzenspiel und für die Zuschauer zumindest spannend“, konnte Bergmann dem Spektakel noch einen weiteren positiven Aspekt abgewinnen. Die 2193 Fans, durch die Altona 93 einen Saisonzuschauerrekord an der Adolf-Jäger-Kampfbahn aufstellte, waren tatsächlich auf ihre Kosten gekommen – auch wenn der Großteil von ihnen traurig nach Hause ging.
Bei Dassendorfs Trainer Thomas Selliger fließen Freudentränen
Freudentränen flossen dagegen auf der anderen Seite. Dassendorfs Trainer Thomas Seeliger, einst selbst bei Altona 93 als Spieler und Trainer aktiv, bekam nach dem Last-minute-Erfolg feuchte Augen. „Das war ein besonders emotionaler Sieg für uns. Nach so einem Rückstand so zurückzukommen, das ist schon ein geiles Gefühl“, sagte Seeliger. „In der ersten Halbzeit hatten wir keinen Biss. Aber in der zweiten Hälfte haben wir uns gewehrt.“ Mitgefühl mit Altona zeigte Seeliger ebenfalls. „Gerecht oder ungerecht gibt es im Fußball nicht“, sagte Seeliger einfühlsam – und deutete damit an, wie leicht sein Team diese Partie hätte verlieren können.
Von einem „Sieg der Effektivität“ sprach Matchwinner Kerim Carolus. Die Lage, in der Altona 93 jetzt steckt, brachte er treffend auf den Punkt. „Wir wussten, es wird schwierig bis unmöglich für uns, noch Meister zu werden, wenn wir das Ding heute hier nicht ziehen. Altona spielt eine super Saison, aber ein Titelkampf wird viel über den Kopf entschieden. Vielleicht haben wir es daher heute noch einmal richtig spannend gemacht.“
Altonas Mannschaft steht nun eine Reifeprüfung bevor
Altona 93 ist jetzt jedenfalls erst mal nur noch einen Zähler vor Dassendorf. Für die Mannschaft von Coach Andreas Bergmann steht nun eine Reifeprüfung an. Verarbeitet sie dieses Schock-Erlebnis in der Schlussphase reif und erwachsen? Bleibt sie das spielerisch dominierende Team der Oberliga Hamburg, das weiterhin unaufhaltsam Richtung Titel strebt? Oder fangen die Spieler an nachzudenken und lassen sich den Titel noch wegschnappen?
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„Das war heute eine dramatische Wendung gegen uns. Aber es gibt diese Spiele, da soll das so sein“, sagte Bergmann – und gab gleich die Devise des Abhakens der Niederlage gegen Dassendorf für den restlichen Titelkampf in der Oberliga Hamburg aus. Bergmann: „Wir schütteln jetzt kurz unsere Köpfe. Und dann geht es weiter.“