Hamburg. Ragnar Törber, Zweiter Vorsitzender des Hamburger Oberligaclubs, über die Zukunft am Diebsteich und den Konflikt mit Teutonia 05.
Rund eine Milliarde Euro wird der Hamburger Senat von 2014 bis 2027 in die Modernisierung, Sanierung und den Neubau städtischer Sportanlagen investiert haben. Eines der wichtigsten Projekte ist dabei die Umgestaltung des Geländes am künftigen Fernbahnhof Diebsteich. Hier soll bis 2027 ein Sportpark entstehen mit vier Kunstrasenplätzen, acht Tenniscourts, vier Beachvolleyballfeldern und einer Streetballanlage. Dies ist so weit unstrittig. Um die Dimensionen des geplanten Fußballstadions, für das Regionalliga-Absteiger Altona 93 als Betreiber fest vorgesehen ist, sind dagegen heftige Diskussionen entbrannt.
Der ursprüngliche Entwurf sieht eine Arena für 4909 Sitzplätze vor, der Bezirk Altona und der Hamburger Fußball-Verband fordern nun ein größeres Stadion für bis zu 10.000 Zuschauerinnen und Zuschauer, eine auch für die Dritte Fußball-Liga taugliche Spielstätte, die etwa Altonas ambitionierter Nachbar FC Teutonia 05 (derzeit Regionalliga Nord) bei entsprechender Ligazugehörigkeit nutzen könnte. In der Ausschreibung der Machbarkeitsstudie soll nun diese Möglichkeit mitbedacht werden. Für Altona 93 ein weiter unvorstellbares Szenarium.
Altona 93: Ragnar Törber wollte "Standpunkt klarmachen"
„Damit wir das neue Stadion wirtschaftlich betreiben können, ist schon eine Kapazität von 5000 Plätzen eine logistisch-organisatorische Herausforderung, für die wir uns personell und strukturell aufstellen werden“, sagt Ragnar Törber, seit Oktober 2021 Altonas Zweiter Vorsitzender. Der 47 Jahre alte Architekt äußerst sich im Abendblatt erstmals ausführlich zu den Auseinandersetzungen.
„Mit Teutonia werden wir nicht an einem gemeinsamen Standort spielen. Das gilt selbst dann, wenn die Hölle zufriert“, hatte Törber vor Altonas verlorenem Lotto-Pokal-Finale gegen Teutonia (1:2) gesagt und damit sogar die zahlreichen politischen Unterstützer des Clubs im Rathaus irritiert. „Vielleicht waren meine Worte etwas zu drastisch, ich musste jedoch unseren Standpunkt klarmachen“, sagt Törber heute. „Als Betreiber müssen wir die Kontrolle über alle Abläufe behalten wie heute an der AJK (Adolf-Jäger-Kampfbahn, die Red). Dies war immer die Hauptvoraussetzung für alle Gespräche mit der Stadt. Wir müssen sie steuern können. Ein höherklassiger Verein hätte laut Spielordnung des Deutschen Fußball-Bundes aber immer das erste Zugriffsrecht auf die Termine. Das kann für uns nicht infrage kommen, wir suchen uns unsere Partner aus.“
Altona 93 verkaufte Adolf-Jäger-Kampfbahn
Um die Diskussionen zu verstehen, muss man Folgendes wissen: 2007 verkaufte Altona 93 die traditionsreiche Adolf-Jäger-Kampfbahn an der Griegstraße für 11,25 Millionen Euro an den Altonaer Spar- und Bau-Verein und die Behrendt Grundstücke KG. 320 Wohnungen sollen hier entstehen. Im Kaufvertrag verpflichtet sich der Verein, das Gelände bis zum 31. Dezember 2026 zu räumen. Als Kompensation wurde Altona vom Bezirk und der Stadt eine neue Heimat versprochen, ebenjene an der Waidmannstraße. In einem Letter of Intent, einer Absichtserklärung vom 25. Mai 2020, sagten die Fachbehörden Altona 93 die Funktion des Betreibers und Hauptnutzers der Stadionflächen zu. An dieses Versprechen fühlt sich die Stadt gebunden.
Der Verkauf der Adolf-Jäger-Kampfbahn erfolgte vor 15 Jahren aus einer Not heraus. Der Verein hatte keine Sozialabgaben abgeführt, die Insolvenz drohte. Von den 11,25 Millionen sind 9,65 Millionen Euro übriggeblieben, die als Teilfinanzierung des Stadionbaus vorgesehen sind. Die Kosten für den Stadionkomplex inklusive Tiefgarage, Gewerbeflächen und Mantelbebauung taxierte der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) Anfang des Jahres auf 159,6 Millionen Euro. Inzwischen hat sich der Preis für Baustahl verdoppelt.
„Wir sehen uns als Ausbildungsverein"
„Der Kaufvertrag war kein Glanzstück“, sagt Törber. Das Gelände sei heute das Dreifache wert, der Club habe es versäumt, Wertsteigerungsklauseln aufzunehmen. Aus dieser Unterlassung Forderungen abzuleiten, sei aber unbillig, meint Törber. „Erschaffen wir nicht bis Ende 2026 gemeinsam mit der Stadt eine neue Heimat, ist das Fortbestehen unseres Traditionsclubs passé.“
Rund 1600 Mitglieder zählt Altona 93 aktuell, 1400 davon sind Jugendliche. „Wir sehen uns als Ausbildungsverein, verstärken dort unser Engagement. Die Jugend ist unsere Zukunft. Vor allem für sie brauchen wir das neue Stadion.“ Mittelfristig will sich der Stadtteilclub in der Regionalliga Nord etablieren, sieht dort auch ein höheres Publikumspotenzial. Vor Corona kamen 1300 Zuschauende zu den Spielen in die „AJK“ (Kapazität: 8000). „Wir wollen langsam, aber nachhaltig wachsen, unsere Werte nicht aufgeben. Wir stehen für Nahbarkeit, Fußball zum Anfassen, für ein Miteinander, und wenn Sie so wollen: für Rasen, Bier und Bratwurst. Wir kämpfen für das Überleben eines liebenswerten Stücks Fußballromantik.“
HSV-Frauen und Nachwuchs des FC St. Pauli wären willkommen
Die Realität hat dennoch Platz in Törbers Vorstellungen. „Wir sperren uns nicht, andere Vereine in das Stadion zu lassen. Im Gegenteil: Wir wollen sie. Jeden Tag werden wir dort stattfinden, aber es wird gegebenenfalls eine freie Spielzeit am Sonntag geben. Wir wollen Leben in der Bude haben und in das Viertel tragen, auch Jugendolympiaden, Flohmarkt und Kulturveranstaltungen sind von uns geplant. Wir vernetzen uns seit einigen Jahren, führen Gespräche mit dem HSV und dem FC St. Pauli.“
Die Fußballfrauen des HSV wären ein willkommener Gast, auch die Nachwuchsteams des FC St. Pauli. Selbst für Footballer wäre Platz, falls für den Rasen Lösungen gefunden werden. Nur für Teutonia eben nicht, auch weil der Club – trotz anerkannt guter Jugendarbeit – für andere Werte und eine andere Fußball-Philosophie stände.
Areal wäre größer als Binnenalster
Teutonia 05, das dritte Hamburger Fußballkraft werden will, hatte sich bereits vor Längerem an den Senat mit dem Wunsch gewandt, er möge eine größere Fläche, anfangs 19 Hektar, zuletzt zwölf, für ein Fußballstadion samt Trainingsgelände zur Verfügung stellen. Investoren seien bereit, dieses Projekt mit rund 40 Millionen Euro zu finanzieren.
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Eine Fläche dieses Ausmaßes innerhalb Hamburgs zu finden, erscheint jedoch mehr als ambitioniert. Zum Vergleich: Das gewünschte Areal wäre größer als die Binnenalster mit etwa 18 Hektar. Innen- und Sportsenator Andy Grote (SPD) führt ein weiteres Argument an: „Bei allem Verständnis, wir können nicht Profistadien auf Vorrat bauen oder bauen lassen, bei denen völlig unklar ist, wie sie auf Dauer wirtschaftlich betrieben werden können – und ob am Ende nicht der Steuerzahler auf den Kosten sitzen bleibt.“
Altona 93: Okun plädiert auf neue Bewertung der Situation
Deshalb plädiert Christian Okun, der Präsident des Hamburger Fußball-Verbandes, dafür, den Diebsteich umfänglicher zu nutzen: „Die Diskussionen der vergangenen Wochen haben gezeigt, dass die Sportstadt Hamburg ein mittelgroßes Stadion braucht, welches von verschiedenen Sportarten genutzt werden kann. Nicht nur der Fußball, auch American Football und Rugby brauchen eine angemessene Sportstätte. Bei aller Rücksicht auf die Zusagen der Stadt an Altona 93, es ist eine neue Situation entstanden, die neu bewertet werden muss.“ Törber sieht das anders.