Essen. Maschinenschlosser, Nationalspieler, internationaler Star: Zum Tode Andreas Brehmes, dem Siegtorschützen der Fußball-WM 1990
Es gibt ein Bild von Andreas Brehme, den aber alle nur Andi nannten, das sich vor allen anderen ins Bewusstsein schiebt. Es ist nicht der Moment des entscheidenden Elfmeters, des Siegtores beim WM-Finale 1990 in Rom. Es sind seine Haare, die leicht lockige Matte, die dem Spieler beim Spurt hinterher wehen. Andi Brehme ist der Archetyp des deutschen Fußballprofis der Achtzigerjahre, jener Generation, die Ball und Gegner in erster Linie kraftvoll bearbeitete. Zugleich prägte diese Generation einen Modetrend und das dazugehörige Wort. Auch Brehme drängte mit vorne kurzem Scheitel und hinten langer Matte, eben jenem Vokuhila-Schnitt, Richtung Tor.
Überragender Spieler im deutschen Weltmeisterteam
Dass Franz Beckenbauer nach dem gewonnenen WM-Finale noch auf dem Platz euphorisch aufgeputscht den Sieg seines Teams, dessen Überlegenheit, vor allem damit erklärte, dass die deutsche Mannschaft „konditionell super drauf“ gewesen sei, sagt viel über die Fußballphilosophie jener Jahre, wird aber ausgerechnet dem beidfüßig begabten Brehme, einem der überragenden Spieler im deutschen Team bei der WM, nicht gerecht.
Der Elfmeter in der 85. Minute des Spieles gegen Argentinien ist die zweite, die sogar wichtigste Erinnerung, die das Gedächtnis der Deutschen hervorkramt. Vom Strafpunkt aus schießt Andreas Brehme den Ball stramm und flach ins linke Eck – und das ausgerechnet gegen den, wie ARD-Reporter Gerd Rubenbauer vorher hektisch ins Mikrofon fieberte, „Elfmeter-Töter Goycochea“. Ein Tor von immenser Bedeutung: Dieser Titel ist wie der Triumph bei der Nachkriegs-WM 1954 besonders symbolträchtig.
Ein Norddeutscher in der Pfalz
Im Sommer 1990 feierte erstmals ein formal zwar noch nicht wiedervereintes, aber sich in jenen Tagen kurz sehr einig fühlendes Deutschland den Titelgewinn. Bei der Ankunft in Frankfurt nach einer durchfeierten Nacht erzählte Andreas Brehme, vom jungen Reporter Jörg Wontorra auf das Spiel angesprochen, viel über sich selbst: „Für mich war das egal. Ich wollte nicht der Größte von Deutschland werden. Ich hätte mich genauso gefreut, wenn Thomas Berthold oder ein anderer das Tor gemacht hätte.“
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Die dritte Erinnerung an Brehme ist ein trojanisches Pferd, assoziiert man den Linksverteidiger allen großen Erfolgen mit dem FC Bayern zum Trotz doch immer mit Kaiserslautern, denkt man sich ihn wegen des kantigen Schädels und erkennbaren Lebensfreude als Pfälzer. Sobald der Profi den Mund aufmachte, war seine Hamburger Herkunft nicht mehr zu verleugnen. Das galt ganz besonders in den 90ern, zumindest sprachlich blieb er trotz eines Lebens zwischen München und Mailand bis zum Schluss Norddeutscher.
Wenn Hamburg sich als Tor zur Welt versteht, dürfte das damalige Arbeiterviertel Barmbek bestenfalls als Spalt zwischen den Türflügeln gelten. Von seinem ersten Verein, dem SV Barmbek-Uhlenhorst, eroberte Brehme aus Fußballersicht dennoch die Welt. Brehme ging nach Saarbrücken, wurde beim 1. FC Kaiserslautern Nationalspieler und arbeitete sich dann nach Süden vor: Von 1986 bis 1988 spielte er beim FC Bayern und anschließend – auch während der WM 1990 – als Legionär unter anderem mit Lothar Matthäus und Jürgen Klinsmann bis 1992 bei Inter Mailand.
Die Liste seiner Erfolge ist lang: Meister mit Kaiserslautern und dem FC Bayern, Meister und Uefa-Cup-Sieger mit Inter, mit der Nationalmannschaft in 86 Länderspielen Vize-Weltmeister 1986 und Vize-Europameister 1992.
Der 1. FC Kaiserslautern ist und bleibt aber sein Verein. Hier wurde er zu Beginn der Karriere groß, hier erlebte er nach einem Intermezzo bei Real Saragossa ab 1993 zum Ende seiner Karriere Abstieg und Auferstehung. 1996 weinte er an der Brust des Leverkuseners Mitweltmeister Rudi Völler öffentlich bittere Tränen nach dem Abstieg, 1998 feierten er und die Roten Teufel unter Trainer Otto Rehhagel mit dem Meistertitel als Aufsteiger die größte Comeback-Geschichte der Bundesliga.
Andreas Brehme: Angenehm bodenständige Fußball-Legende
Wie das bei großen Sportlern häufiger ist, wollte dem Hamburger nach der Karriere nicht alles gelingen. Er wurde Trainer, hinterließ aber weder in Kaiserslautern noch später bei der SpVgg Unterhaching nachhaltige Spuren. Und sonst? Der gelernte Maschinenschlosser beteiligte sich an einem Sicherheitsdienst, verkaufte Fußballrasen, war TV-Experte und Zeitungskolumnist. Was man halt so macht, wenn man früh unsterblich wird und danach kein rechtes Ziel erkennbar ist.
Bei seinen öffentlichen Auftritten, insbesondere wenn er in anekdotenreich in Erinnerungen schwelgte, wirkte der Fußball-Star angenehm bodenständig. Unvergessen seine kurze wie treffende Analyse einst zu einem Spiel: „Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß.“ Anrührend aber seine Würdigung des verstorbenen Franz Beckenbauers: „Als kleiner Junge hatte ich, wie vermutlich jeder Junge in Deutschland, über meinem Bett ein Franz-Beckenbauer-Poster hängen. Später wurde er mein Boss, ich durfte mit ihm arbeiten. Am Ende wurden wir enge Freunde. Ich habe deshalb dem Franz sehr viel zu verdanken.“
Sein Idol und deutscher Teamchef bei der WM 1990 in Italien hat er nur um wenige Wochen überlebt.
Andreas Brehme starb in der Nacht zum Dienstag 63-jährig an einem Herzinfarkt. Sehr berührend fasste die Trauer um den Weltmeister wohl Walter Zenga, einst Torwart und Mitspieler bei Inter Mailand, zusammen: „Ciao amico mio, das hättest du mir nicht antun dürfen, das hättest du uns allen nicht antun dürfen.“