Sydney/Brisbane. Frankreichs Eugenie Le Sommer fehlt in ihrer großen Karriere noch ein Titel im Nationalteam. Samstag WM-Viertelfinale gegen Australien.

Wohl in kaum einer anderen australischen Metropole gibt es gerade so viele Baustellen wie in Brisbane. Hier, wo der Winter sich deutlich wärmer und sonniger als in Sydney oder Melbourne gestaltet, werden in einem ähnlichen Zeitraum wie die Frauen-Weltmeisterschaft im Fußball auch die Olympischen Sommerspiele 2032 ausgetragen. Dafür wird bereits kräftigt gebuddelt und gebaut. In den Arealen um den Brisbane River müssen Fußgänger ständig Umwege nehmen. Eingepfercht hinter Schnellstraßen liegt unweit auch das Brisbane Stadium, auf das jetzt ein ganzer Kontinent blickt. Gefüllt mit 50.000 Menschen, die im WM-Viertelfinale zwischen Australien und Frankreich (Samstag, 9 Uhr deutscher Zeit/ZDF) ihre Matildas zum Sieg brüllen wollen.

Ticker, Zahlen, Tabellen: Alle Live-Daten zur Fußball-WMDoch Frankreichs Nationaltrainer Hervé Renard hält dagegen, indem er einfach an die WM 2019 erinnert. Damals spürten die französischen Spielerinnen als Gastgeber riesige Last auf ihren Schultern, als es im Pariser Prinzenpark ins Viertelfinale ging. Am Ende flossen nach der 1:3-Niederlage gegen die USA viele, viele Tränen. „Es kann auch sehr enttäuschend enden“, erinnert Renard. „Wir hoffen, dass wir Australien genau das antun können, was Frankreich als Gastgeberland durchgemacht hat.“

Frankreichs ewige Nummer neun

Es sind Worte, die bei Eugénie Le Sommer auf fruchtbaren Boden fallen. Die Torjägerin wurde nach dem Aus bei der Heim-WM recht bald von ihrer damaligen Nationaltrainerin Corinne Diacre aussortiert, obwohl eigentlich alle Zahlen für die Goalgetterin von Olympique Lyon sprachen. Sagenhafte 215 Tore hat sie für ihren Arbeitgeber erzielt und schon achtmal die Champions League gewonnen. Le Sommer hatte an ihrer Nicht-Berücksichtigung lange zu knabbern, aber als der Verband nach dem öffentlichen Aufbegehren mehrerer Führungsspielerinnen um Kapitänin Wendie Renard endlich die unbeliebte Diacre entließ, ging die Tür für sie wieder auf.

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Die Reaktivierung der 34-Jährigen war eine der ersten Amtshandlungen des zuvor für die Männer-Nationalmannschaft von Saudi-Arabien tätigen Fußballlehrers Renard. „Wir können ihre Erfahrung und ihre Spielintelligenz gut gebrauchen“, sagte der 54-Jährige, wohl wissend, dass ihm mit Marie-Antoinette Katoto (Kreuzbandriss) eine weitere Topangreiferin weggebrochen war. Und er wusste: „ELS_9“, Eugénie Le Sommer, die ewige Nummer neun, gilt als empathische Persönlichkeit, der eigentlich überall die Herzen zufliegen. Stets freundlich, zugänglich und positiv gestimmt.

Angriffsduo mit Diani bei Frankreich

Als seine Rückkehrerin im Frühjahr beim Freundschaftsspiel gegen Kolumbien (5:2) zum Comeback prompt einen Doppelpack schnürte, fiel sie ihrem Coach um den Hals. Auch bei der WM hält die Verbindung: Die nur 1,61 Meter große Angreiferin köpfte im Gruppenspiel gegen Brasilien (2:1) das 1:0, traf im Achtelfinale gegen Marokko (4:0) zweimal. Ihre acht WM-Tore sind ebenso Rekord für die L’Equipe Tricolore wie ihre 92 Länderspieltreffer.

Zusammen mit der sechs Jahre jüngeren Kadidiatou Diani bildet sie eines der spannendsten Angriffsduos des Turniers. Le Sommer mit ihrer Erfahrung und ihrem Instinkt im Strafraum, Diani mit ihrem Tempo und ihrer Technik drumherum. Kommende Saison werden beide gemeinsam in Lyon antreten, wo auch die bei der WM so enttäuschende deutsche Nationalspielerin Sara Däbritz unter Vertrag steht.

Frankreich zu oft an sich selbst gescheitert

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Däbritz wurde immerhin schon Europameisterin und Olympiasiegerin – Le Sommer hat auf dieser Ebene gar nichts vorzuweisen. Es ist jetzt ihre letzte Chance, den Makel zu tilgen. „Ich habe mit dem Klub alles gewonnen, was möglich war. Aber ich habe noch keine Titel mit der Nationalmannschaft. Dabei haben wir das Potenzial“, sagt die Mittelstürmerin und hofft, dass „jetzt der richtige Zeitpunkt ist“.

Zu oft hat sie miterlebt, wie eine hochbegabte Generation auch an sich selbst scheiterte. Vor allem bei der WM 2015, als die Französinnen im Viertelfinale gegen die deutschen Fußballerinen auf dem Kunstrasen in Montreal das klar bessere Team stellten, aber im Elfmeterschießen verloren. Bei der WM 2011 in Deutschland, als Le Sommer in allen sechs Spielen zum Einsatz kam, waren die US-Girls im Halbfinale in Mönchengladbach zu stark. Und neben einer Reihe verpasster Chancen bei EM-Endrunden ereignete sich vor vier Jahren eben das WM-Trauma in der Heimat. Nun soll sich einfach Geschichte in umgekehrten Rollen wiederholen.