Hamburg. Derbylegende Hauke Schmidt erinnert sich an seinen ersten Start im Jahr 1956 und sagt, was das Hamburger Pferdefestival auszeichnet.
Der Triumphator vom Freitag darf am Sonntag entspannen. Nachdem André Thieme (48/Plau am See) mit Contadur vor erneut mehr als 20.000 Fans die zweite Qualifikation für das Deutsche Springderby gewonnen hatte, schickte er den 15-Jährigen endgültig in den Ruhestand.
„Ich habe ja ein bisschen Erfahrung mit dem Derby“, erklärte der amtierende Europameister, der 2007, 2008 und 2011 jeweils mit Nacorde in Klein Flottbek triumphiert hatte. Am Mittwoch in der ersten Qualifikation hatte Contadur, der eigentlich schon die zweite Karriere als Deckhengst begonnen hatte und für Hamburg noch einmal reaktiviert worden war, am Buschoxer verweigert.
„Ich möchte ihm nicht zumuten, dass er dort erneut Angst bekommt“, sagte Thieme. Stattdessen wird er mit seinem neunjährigen Nachwuchspferd Paule an den Start gehen, das am Freitag mit einem Fehler auf Rang 16 sprang.
Thieme gewinnt zweite Qualifikation
Thieme gewann den Preis der Deutschen Kreditbank AG mit sechs Zehntelsekunden Vorsprung auf Shane Breen (48) mit Scarteen. Der Ire wird im Derby allerdings ebenfalls umsatteln, zum Einsatz kommt sein derbyerfahrener Holsteiner Can Ya Makan, mit dem er nach einem Fehler Rang zwölf belegte.
Die letztjährige Derbysiegerin Cassandra Orschel (30) aus Hamburg schaffte es mit Dacara mit zehn Fehlerpunkten nur auf Rang 33. Immerhin gingen aber drei der neun Nullfehlerritte auf das Konto von Reiterinnen, die im 52 Teilnehmende starken Qualifikationsfeld nicht einmal ein Fünftel stellten.
Wenn an diesem Sonntag (14 Uhr/NDR bis 16 Uhr, danach übernimmt die ARD) der erste Ritt über den 1230 Meter langen Parcours gestartet wird, der mit seinen 17 Hindernissen und 24 Sprüngen weiterhin als der weltweit berüchtigtste im Springreiten gilt, wird auch Hauke Schmidt ganz genau hinschauen.
Schmidt startete 1956 erstmals im Derby
Der ehemalige Bundestrainer ist einer der ältesten noch lebenden Derbystarter. 1956 erlebte der aus Schleswig stammende Pferdesport-Allrounder, der sich als internationaler Berater und Parcourschef bei großen internationalen Turnieren einen Namen machte, seinen ersten Derbyritt.
Bis heute reist der Mann, der am 1. April seinen 85. Geburtstag feierte, in Begleitung seiner Ehefrau Marie-Luise zur Derbywoche nach Klein Flottbek an – und das, obwohl er seit 60 Jahren in Baden-Württemberg lebt, wo er kürzlich von Metzingen nach Überlingen an den Bodensee übersiedelte. „Das Derby ist zeitlos faszinierend“, sagt Hauke Schmidt, während er den Blick über den großen Derbyplatz schweifen lässt, „für mich ist es weiterhin das schönste Turnier der Welt.“
Die Emotionen, die ihn auf seinem ersten Derby begleiteten, hat er nie vergessen. „Ich war als Jugendlicher oft als Zuschauer nach Hamburg gekommen, und als Junior hatte ich auf dem Derbyplatz einige kleinere Prüfungen absolviert, was ein Vorteil war, weil ich dadurch den Platz schon ein wenig kannte“, sagt er. Dennoch war das Gefühl, als er auf Leander in den Parcours einritt, ein ganz besonderes.
Als 18-Jähriger war er stolz auf seinen Derbystart
„Als so junger Spund von 18 Jahren das Derby zu reiten, das hat sich doch ziemlich speziell angefühlt. Ich war schon ein bisschen stolz, musste aber gleichzeitig aufpassen, nicht zu überdrehen, weil mein Halbblüter Leander ein durchaus temperamentvolles Pferd war, das viel Gas geben konnte“, erinnert er sich.
Der Stellenwert des Hamburger Traditionsevents sei damals ein deutlich höherer gewesen, weil es weltweit nicht ansatzweise so viel Konkurrenz gab wie heute. „Zu der Zeit waren Aachen und Hamburg die Jahreshöhepunkte, aber nicht nur für uns deutsche Reiter, sondern auch international“, sagt er. Folglich sei es bedeutend schwieriger gewesen, die Qualifikation für das Hauptspringen zu schaffen.
„Die internationale Konkurrenz war viel größer. Es kamen vor allem aus Südamerikas großen Reitnationen wie Brasilien, Chile oder Argentinien mehr Reiter, aber auch aus Großbritannien oder dem europäischen Ausland“, sagt er.
Pferde wurden im Planwagen transportiert
Die meisten Pferde wurden zu jener Zeit per Sondertransport mit der Deutschen Bahn nach Hamburg gebracht. Hauke Schmidt allerdings, der aus Schleswig anreiste, musste 1956 seine Derbypferde mit einem Planwagen nach Hamburg transportieren, auf dessen Ladefläche er inmitten seiner Tiere mitreiste, um diese während der Fahrt zu beruhigen.
Die Anlage mit der Haupttribüne und den beiden kleinen Teilnehmer- und Pressetribünen existierte schon damals, neu sind das große VIP.-Zelt und das Ausstellerdorf. „Mir gefällt das Drumherum sehr gut. Vor allem aber mag ich an Klein Flottbek, dass der Charakter des Derbys erhalten geblieben ist.
Das Ambiente macht das Turnier besonders, und dass noch immer auf Naturrasen geritten wird, finde ich vor allem für die Pferde schön. Das gibt es bei den großen Turnieren in aller Welt ja immer seltener“, sagt er.
Schmidt: Derby früher schwieriger
Auch wenn der 1920 vom Hamburger Kaufmann und Springreiter Eduard F. Pulvermann (1944 nach jahrelanger Haft im KZ an den Folgen gestorben) entworfene Parcours noch heute als extrem schwierig gilt: Hauke Schmidt ist überzeugt davon, dass die Hindernisse 1956 noch härter zu bewältigen waren.
„Allein die Irischen Wälle, das dritte Hindernis, waren damals noch einen Meter höher. Da sind schon viele Reiter ausgeschieden. Aber es ist bis heute ein wirklich anspruchsvoller und schöner Parcours geblieben“, sagt er.
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Mit Rang elf bei seiner Premiere 1956 war Hauke Schmidt durchaus zufrieden. „Heute findet man doch kaum noch Reiter, die mit 18 beim Derby starten“, sagt er. In Hamburg bei seinen zehn Teilnahmen bis zum Ende seiner aktiven Karriere 1985 nicht ganz oben auf dem Siegerpodest gestanden zu haben, ficht ihn nicht an. „Ich habe jeden Start genossen“, sagt er. Genau wie den jährlich wiederkehrenden Trip nach Klein Flottbek. „Ich hoffe sehr, dass dieses Turnier noch lange erfolgreich bleibt.“
Studie soll Wert des Derbys beziffern
Um das sicherzustellen, hat Derbychef Volker Wulff Professor Henning Zülch, Lehrstuhlinhaber für Rechnungswesen und Controlling an der Leipzig Graduate School of Management, mit dem Erstellen einer Studie beauftragt, die den wirtschaftlichen Wert des Derbys für die Stadt Hamburg beziffern soll.
Studenten der Universität hatten eine ähnliche Studie 2022 beim ebenfalls von Wulff veranstalteten Event „Partner Pferd“ in Leipzig durchgeführt – mit dem Ergebnis, dass der Pferdesport sich und seine Eigenschaften wie Diversität, Tradition, Nahbarkeit und soziale Nachhaltigkeit tendenziell unter Wert verkauft.
„Wir als Veranstalter sind in der Pflicht, das zu verändern, dafür brauchen wir diese Studie als Argument“, sagt Wulff. Der Studienzeitraum erstreckt sich von März bis Ende Juni 2024. Auf die Ergebnisse ist der Derbychef fast genauso gespannt wie auf den Sieger oder die Siegerin am Sonntag.