Hamburg. Vor der französischen Küste gibt es nur einen Startplatz pro Nation und Disziplin. Wieso die NRV-Chancen dennoch gut stehen.
Seit gestern kämpfen Deutschlands beste Olympiasegler bei der Semaine Olympique in Hyères um die Fahrkarten zu den Saisonhöhepunkten im vorolympischen Jahr. Der französische Regattaklassiker markiert den Showdown der nationalen Ausscheidung für die Pre-Olympics und die Weltmeisterschaft. Im Ringen um nur jeweils einen Startplatz pro Nation und Disziplin haben Hamburgs Top-Segler gute Aussichten.
Das gilt vor allem für die amtierenden 470er-Mixed-Weltmeister Luise Wanser und Philipp Autenrieth vom Norddeutschen Regatta Verein (NRV). Sie liegen nach Teil eins der zweiteiligen Ausscheidung knapp vor der starken nationalen Konkurrenz. Die ersten Punkte hatten sich die Olympiasechste Wanser und ihr 32 Jahre alter Vorschoter beim Spanien-Klassiker Trofeo Princesa Sofía in der Bucht von Palma de Mallorca gesichert. Dort waren sie Anfang April auf Platz zwei gerast.
Segeln: Endabrechnung am 29. April entscheidet
Die Team- und Vereinskameraden Malte und Anastasiya Winkel (beide 29/Kiel) wurden Vierte, Simon Diesch (28/Baden-Württemberg) und Anna Markfort (29/Berlin) Sechste. Das Team, das nach der französischen Regatta am 29. April in der Endabrechnung die Bugspitze vorne hat, darf im Juli vor Marseille olympische Testluft schnuppern.
Die breite Spitze in der neu-olympischen 470er-Mixed-Disziplin ist Segen und Fluch zugleich. Einerseits sorgt das interne Kräftemessen für ein hohes Leistungsniveau auf Kurs Olympia 2024. Andererseits steht am Ende die brutale Entscheidung: Nur eine Crew kann sich für Olympia qualifizieren. „Es ist echt gut, dass wir alle zusammen trainieren. Wir fühlen uns privilegiert und glauben an die gemeinsame Arbeit“, sagt Luise Wanser über die stärkste 470er-Mixed-Trainingsgruppe der Segelwelt.
Vor ein paar Jahren gab es noch keinen Mixed-Wettbewerb
Ihre Mitglieder kennen sich lange und gut. Bevor aus zwei olympischen Segeldisziplinen eine wurde, waren in der Zweihand-Jolle bis zu Olympia in Japan reine Frauen- und reine Männer-Crews gefordert. Luise Wanser war mit Anastasiya Winkel als Sechste 2021 in Enoshima knapp an einer olympischen Medaille vorbeigesegelt. Eine überharte Doppel-Disqualifikation wegen einer zu schweren Trapezweste hatte die Shootingstars ausgebremst.
Wansers neuer Vorschoter Autenrieth segelte früher mit Steuermann Diesch, der jetzt Markfort im Boot hat. Anastasiya Winkel hat mit ihrem Steuer- und Ehemann Malte Winkel ein Team formiert. „Alle haben ihre Stärken und Schwächen“, sagt Luise Wanser, deren Crew im Winter mehr Wasserstunden eingefahren hat als alle anderen. Nur kurz hatten sie nach dem WM-Triumph in Israel pausiert, bevor eine Trainingseinheit im Olympiarevier folgte. Ab Dezember ackerten Wanser/Autenrieth drei Monate vor Lanzarote (Spanien).
Wanser hat ein klares Ziel für Olympia 2024
Die Weltmeisterin macht keinen Hehl aus ihren Ambitionen für das kommende Jahr. „Ich will die Olympia-Medaille unbedingt“, sagt sie. Die Juristin hat dank starker Unterstützung ihres Vorschoters ihren Bachelor in der Tasche und ist für Olympia in Frankreich doppelt motiviert. Fünf Jahre lebte sie als Kind mit ihrer Familie in Paris, hat dort die Vor- und Grundschule absolviert. Ihr Ziel ist klar: „Ich möchte nicht noch einmal Sechste bei Olympia werden. Wir arbeiten nicht darauf hin, bei den Spielen ins Medaillenrenne zu kommen, sondern zu gewinnen.“
Nicht ausgeschlossen ist, dass die deutschen 470er-Mixed-Crews in dieser Woche in Frankreich mehr die nationale Konkurrenz als Topergebnis im Visier haben. Bestes Team waren nach den ersten beiden Rennen Diesch/Markfort (10.) vor Winkel/Winkel (13.). Wanser/Autenrieth verpatzten den Auftakt mit Platz 29.
Stark eingestiegen ist Laser-Weltmeister Philipp Buhl (33/Sonthofen) mit einem Tagessieg. Auch für ihn geht es im Mittelmeer um das Ticket für die Pre-Olympics. Nach Teil eins der Ausscheidung liegt Deutschlands bester olympischer Solo-Akteur allerdings überraschend hinter seinem NRV-Vereinskameraden Nik Willim (26). Buhl muss sich strecken, will er in diesem Jahr das Olympiarevier testen und einen guten Grundstein für seinen dritten Olympia-Start 2024 legen. Zur Herausforderung durch seinen „Gesellen“ Willim sagte Buhl: „Wenn man nicht in der Komfortzone cruisen, sondern eine Medaille gewinnen will, ist das gut so.“
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Nicht am Start sind in Frankreich die Akteure in der neuen olympischen Windsurfdisziplin iQFoil. Bei ihnen ist die Europameisterschaft Anfang Mai Teil zwei der Ausscheidung. Der amtierende iQFoil-Weltmeister Sebastian Kördel (32) vom NRV hat seine Güte in diesem Jahr mit Platz zwei beim Weltcup vor Palma schon unter Beweis gestellt. Der Lebensgefährte von Luise Wansers Schwester Helena ist auf Kurs Olympia-Premiere in Deutschland bislang eine Klasse für sich.