Hamburg. Hannelore Ratzeburg gilt als Vorkämpferin ihres Sports. Nun erhebt sie schwere Vorwürfe gegen den Hamburger Fußball-Verband.
Bundesverdienstkreuzträgerin und DFB-Ehrenmitglied Hannelore Ratzeburg (73) hat ihr Leben dem Kampf um die Anerkennung und die Entwicklung des Frauen- und Mädchenfußballs gewidmet. 1971 gründete sie die erste Frauenfußballabteilung in Hamburg in ihrem Heimatverein West-Eimsbüttel. Im vergangenen Jahr zog sie sich von allen Ehrenämtern zurück. Doch nun mischt sich die große Dame des Hamburger Fußballs ein – und bezieht Stellung gegen den Verband.
Abendblatt: Frau Ratzeburg, das Präsidium des Hamburger Fußball-Verbandes (HFV) will den Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball im Rahmen einer Strukturreform abschaffen. Wir sehr trifft Sie das als Gründungsmitglied?
Hannelore Ratzeburg: Es trifft mich sehr. Der Ausschuss wurde 1973 gegründet. Damals galt vielen Menschen Frauenfußball als Modeerscheinung. Was wir uns alles anhören mussten auf dem Weg zur Gleichberechtigung, kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Nun soll der Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball nach 50 Jahren gekippt werden, in dem sich Frauen und Männer ehrenamtlich für die Bedürfnisse, die Sichtbarkeit, die Gleichstellung und die Akzeptanz der Frauen und Mädchen im Fußball eingesetzt und eine Menge erreicht haben.
Aus den aktuell existierenden drei Ausschüssen sollen zwei werden. Einer für Erwachsene, einer für die Jugend, beide paritätisch besetzt. Liest sich wie Gleichberechtigung in einer schlankeren Struktur.
Das ist nicht so. Ich habe viele Jahrzehnte Erfahrung in vielen Ausschüssen gesammelt. Es spielen viel mehr Männer und Jungen Fußball als Frauen und Mädchen. Die Belange der Männer und Jungen würden folglich in den geplanten beiden Ausschüssen den größten Raum einnehmen. Das zeigen auch die bisherigen Überlegungen zur inhaltlichen Arbeit. Der Vorsitzende, es soll schon einen Kandidaten geben, wird ein Mann sein. Eine tatsächliche paritätische Besetzung halte ich für unwahrscheinlich. Doch selbst unabhängig davon gibt es gewichtige Gründe gegen diese Reform.
Welche wären das?
Der Ausschuss für Frauen- und Mädchenfußball verfügt über einen eigenen Etat. Dieser Etat käme nun den beiden Gesamtausschüssen zugute. Also müssten die Vertreterinnen des Frauen- und Mädchenfußballs dort darum bitten, Geld für ihre Initiativen zu erhalten. Sie würden zu Bittstellerinnen degradiert. Auch die Organisation des Spielbetriebs und die jeweiligen Belange unterscheiden sich.
Es besteht die Gefahr, dass die Frauen und Mädchen einfach den im Männer- und Jungenbereich geltenden Regelungen unterworfen werden. Die Fachversammlung für Frauen- und Mädchenfußball würde wegfallen. Was mit den Ausspracheabenden für die Vereine werden würde, die Frauen- und Mädchenfußball anbieten, ist unklar. Eine eigene Stimme mit einer Vertreterin im Präsidium hätte der Frauen- und Mädchenfußball auch nicht mehr.
Hätte ein solcher Schritt auch bundesweite Bedeutung?
Auf jeden Fall. Er steht gegen die bundesweite Entwicklung. Hamburg war viele Jahrzehnte lang Vorreiter im Frauen- und Mädchenfußball. Wir haben dort mehr Mannschaften als im doppelt so großen Berlin, wo bis vor vier Jahren die Frauen und Mädchen den Männern und Jungen beigeordnet waren. Dort steigen übrigens seit der Übernahme des Hamburger Modells die Zahlen. All unsere Mühen aus Jahrzehnten sollen jetzt zerschlagen werden. Obwohl 2021 ein gänzlich anderes DFB-Leitbild verabschiedet wurde, in dem Frauen- und Mädchenfußball klar als eigener zu fördernder Bereich definiert ist.
Im Juli 2022 ging diese DFB-Broschüre auch dem HFV-Präsidium zu. Sie wurde beim Verband wohl nicht einmal gelesen. Die geplante Reform ist ein Verstoß gegen das DFB-Leitbild. Wissen Sie, welche Reaktion ich vom HFV-Präsidium erhalten habe, als ich schriftlich auf den 50. Geburtstag des Ausschusses für Frauen- und Mädchenfußball hingewiesen habe? Gar keine! Der Auftrag des DFB, der auch Gelder an alle Landesverbände ausschüttet, ist klar: Fußball für alle. Das steht auch in der Satzung des HFV. Der HFV bekommt von der Stadt auch Sportfördermittel, um diesen Anspruch umzusetzen. Das tut er aber nicht.
Welche Motive vermuten Sie dahinter?
Ich weiß es nicht. HFV-Präsident Christian Okun spricht von zu beseitigenden Doppelstrukturen, ohne diese konkret zu benennen. Eine Ist- und eine Zielanalyse für die Neustrukturierung existiert laut seinen Angaben, aber nicht schriftlich. So funktioniert eine Strukturreform nicht. Es ist kein Vertrauen zu spüren, keine Wertschätzung. Es wäre doch demokratisch, wenn die Betroffenen aus den Vereinen miteinbezogen würden. So wirkt es wie eine Anordnung des Präsidiums. Bei den vielen ehrenamtlichen Vertreterinnen und Vertretern im Frauen- und Mädchenbereich herrscht das Gefühl: Wir werden plattgemacht.
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Abgestimmt werden soll die Strukturreform per Satzungsänderung auf dem HFV-Verbandstag am 1. Juni. Was werden Sie bis dahin tun?
Den Ausschuss und die Menschen, deren Herzblut am Frauen- und Mädchenfußball hängt, unterstützen.
Werden Sie als HFV-Ehrenmitglied auf dem Verbandstag am 1. Juni das Wort ergreifen?
Ich bin kein Gremienmitglied mehr und besitze kein Rederecht.
Und wenn Ihnen das Rederecht im Zuge einer demokratischen Debatte eingeräumt würde?
Dann werde ich sprechen und um die Solidarität der Vereine werben. Denn diese Strukturreform ist ein klarer Rückschritt für die Gleichberechtigung aller Fußballerinnen in Hamburg.