Hamburg. Turnier in Hamburg als Flaggschiff? Dietloff von Arnim spricht über die Zukunft des deutschen Tennis und eigene Ambitionen.

Ein paar ruhige Tage über Weihnachten – darauf freut Dietloff von Arnim sich sehr. Schließlich liegt ein bewegtes und in Teilen auch bewegendes Jahr hinter dem Präsidenten des Deutschen Tennis-Bundes (DTB), der in Düsseldorf lebt, aber auch regelmäßig am DTB-Hauptsitz am Hamburger Rothenbaum zu Gast war.

Über den Zustand des deutschen Tennis, dessen Zukunft und seine Ambitionen, Weltverbandspräsident zu werden, spricht der 62-Jährige im Bilanzinterview mit dieser Zeitung.

Hamburger Abendblatt: Herr von Arnim, welcher war Ihr schönster Tennismoment im Jahr 2022, und auf welchen hätten Sie gut verzichten können?

Dietloff von Arnim: Ich habe das Gefühl, die Daviscup-Zwischenrunde am Hamburger Rothenbaum auszutragen, sehr genossen. Ich habe mich sehr für und mit Tatjana Maria und Jule Niemeier über deren Erfolge in Wimbledon gefreut. Aber der schönste Moment war das Viertelfinale bei den French Open zwischen Alexander Zverev und Carlos Alcaraz. Das Niveau, auf dem Sascha dort gespielt hat, fand ich herausragend. Der Moment, auf den ich hätte verzichten können, hängt damit leider eng zusammen: Es ist Zverevs schwere Verletzung im Halbfinale von Paris gegen Rafael Nadal.

Wie sehr er dem deutschen Tennis fehlt, ist kein Geheimnis, ohne ihn gibt es keine Turniersiege. Wo steht aus Ihrer Sicht das deutsche Leistungstennis aktuell?

von Arnim: Zunächst einmal wünsche ich Sascha weiterhin gute Genesung. Ich bin sicher, dass er wieder auf das Niveau von vor seiner Knöchelverletzung zurückkehren wird. Wir müssen aber nicht drumherum reden: Hinter ihm fehlt uns bei den Herren ganz klar die Breite, da sind wir im Erwachsenenbereich nicht gut genug aufgestellt. Bei den Junioren sieht es schon besser aus. Das Gleiche gilt für die Damen, nur dass wir da aktuell auch in der Spitze leider niemanden haben. Und das kann nicht unser Anspruch sein.

Vor allem verwundert, dass der größte Tennisverband der Welt in der Breite so schwach vertreten ist. Bei Damen und Herren sind nur drei Deutsche unter den Top 100. Das war viele Jahre anders. Was ist der Grund dafür und wie löst man dieses Problem?

von Arnim: Sie haben recht, früher kannte man deutsche Spielerinnen und Spieler, die zwischen 100 und 200 der Welt standen, kaum, heute ist das der Normalzustand. Einer der Gründe dafür ist sicherlich, dass die Konkurrenz in allen Ländern massiv zugenommen hat und dass in anderen Nationen deutlich mehr in die Förderung investiert werden kann. Was wir tun müssen, um die Breite deutlich zu stärken? Anders und besser fördern. Gezielter, intensiver, früher einsetzend. Wir müssen Eltern, Vereine und Schulen noch mehr einbinden, Talente früher erkennen und binden. Wir haben diese Talente ja, das hat sich in den Teamwettbewerben in den Altersgruppen gezeigt, da sind wir oft weit gekommen, da tut sich eine Menge. Aber die müssen auch durchhalten, um oben anzukommen.

Carlos Alcaraz, Anett Kontaveit and Karen Khachanov (v.l.) zeigten in Hamburg ihr Können.
Carlos Alcaraz, Anett Kontaveit and Karen Khachanov (v.l.) zeigten in Hamburg ihr Können. © Hamburg European Open/ Alexander Scheuber

Ist der DTB im Trainerbereich gut aufgestellt? Auch da hört man oft Kritik daran, dass zum Beispiel bei den Damen zwischen der Generation von Angie Kerber und Andrea Petkovic und den nun nachrückenden Talenten um Eva Lys eine ganze Generation weggebrochen ist.

von Arnim: Auch da müssen wir uns stetig hinterfragen und vielleicht noch mehr aufs Leistungsprinzip setzen. Wir müssen regelmäßig mit dem Trainerteam sprechen, müssen verstehen, was sie tun und warum, und Anreize setzen, damit sich auch in dem Bereich alle weiterentwickeln wollen und auch können. Ich höre auch oft, dass die Jugend heute zu bequem sei, zu viele Möglichkeiten habe und sich nicht mehr so quälen möge. Aber das ist ja nicht nur in Deutschland so, und dennoch sind andere erfolgreicher.

Ein wichtiges Element, um einheimische Spielerinnen und Spieler zu unterstützen, sind Heimturniere. Auf ATP- und WTA-Level hat sich in Deutschland da in den vergangenen Jahren viel getan. Aber wie ist es da, wo der Übergang vom Jugend- in den Profibereich gelingen soll? Reicht das Engagement des DTB auf dieser Ebene aus?

von Arnim: Da können wir sicherlich noch mehr tun. Gerade im Winter müssen wir mehr Turniere in Deutschland ausrichten, um unseren Talenten mehr zu bieten. Wir müssen zudem weiter daran arbeiten, dass bei den deutschen Turnieren auf der ATP- und WTA-Tour die Wildcards ausschließlich an Deutsche gehen. Das ist ein weiteres wichtiges Element.

Wofür braucht es noch deutsche Meisterschaften der Erwachsenen, wenn – wie in Biberach an der Riß – eine 17-Jährige das Finale gewinnt, die sich gegen 14- und 15-Jährige durchgeschlagen hat?

von Arnim: Wir haben noch bis 2023 mit Biberach die Vereinbarung, die deutschen Meisterschaften durchzuführen. Danach müssen wir uns Gedanken machen und das passende Konzept erarbeiten.

Schauen wir mal auf den Rothenbaum, wo der DTB die Lizenz für das Herrenturnier besitzt. 2023 findet es zum letzten Mal unter der Ägide der Familie Reichel als kombiniertes Event mit den Damen statt, 2024 übernimmt als Ausrichter die Agentur Tennium. Diese Entscheidung, die der DTB im Frühjahr getroffen und im Herbst verkündet hat, haben noch nicht alle verstanden. Erklären Sie sie bitte noch einmal.

von Arnim: Es gehört zu unserer Pflicht, dass wir rechtzeitig vor Ablauf der Vertragsbindung an den Ausrichter prüfen, ob es andere, für den Verband möglicherweise bessere Angebote gibt. Das war nun der Fall. Der DTB erlöst von 2024 an eine erheblich höhere Lizenzsumme, und das Finanzielle ist nun einmal ein erhebliches Argument. Aber wir haben nicht nur auf das finanzielle Angebot geachtet. Genauso wichtig ist für uns, dass das Turnier weiterentwickelt wird.

Das haben die Reichels doch getan. Das Turnier verliert durch den Wechsel das Alleinstellungsmerkmal eines kombinierten Turniers, das 2022 erstmals gespielt wurde und augenscheinlich gut funktioniert hat.

von Arnim: Kombinierte Events sind prima, wenn sie wirtschaftlich funktionieren. Aber wir haben für unser Herrenturnier, und nur dafür besitzt der DTB die Lizenz (die Damenlizenz gehört der Familie Reichel, d. Red.), bessere Entwicklungschancen gesehen, wenn wir es neu vergeben. Auch da hatte Tennium das beste Angebot.

Sie hoffen immer noch darauf, dass die ATP eine neue Lizenz für ein Turnier der 1000er-Serie ausschreibt, auf die sich Deutschland gern bewerben würde. Wie stehen dort die Chancen?

von Arnim: Bislang gibt es keinen neuen Stand, wir warten auf eine Entscheidung.

Wenn diese positiv ausfiele, dann schließen Sie aus, dass der DTB sich mit einem anderen Standort bewirbt?

von Arnim: Ja. Es gibt in Deutschland keine andere Option als Hamburg.

Wenn Sie zehn Jahre in die Zukunft denken: Was wäre Ihr Wunsch für den Rothenbaum in 2032, und was halten Sie für ein realistisches Szenario?

von Arnim: Mein Wunsch wäre ganz eindeutig, dass wir in Hamburg ein 1000er-Turnier ausrichten. Wie realistisch das ist, vermag ich nicht einzuschätzen. Wenn es nicht möglich ist, dann wird 2032 das 500er-Turnier der Herren am Rothenbaum weiterhin das Flaggschiff unserer Turnierlandschaft sein, im schönsten Tennisstadion der Welt.

Dort haben Sie im September mit dem DTB die Zwischenrunde des Daviscups ausgerichtet. Sportlich erfolgreich, wirtschaftlich angesichts des schwachen Zuschauerzuspruchs nicht. Wird es 2023 eine Wiederholung geben?

von Arnim: Wir hatten im September wirklich Pech mit dem außergewöhnlich kalten und regnerischen Wetter. Dazu kam, dass die Gestaltung der Eintrittspreise nicht ideal war, um es vornehm auszudrücken. Darauf hatte der DTB jedoch keinen Einfluss, eine Agentur (Emotion, d. Red.) hat das wirtschaftliche Risiko komplett übernommen. Aller Voraussicht nach wird Deutschland 2023 kein Spielort der Zwischenrunde sein. Aber für 2024 kann das wieder ein Thema werden. In Hamburg würde das jedoch schwierig werden. Das Risiko einer Freiluftveranstaltung ist zu groß, die Barclays Arena als einzig mögliche Halle hat schon jetzt keine Termine mehr frei. Aber der Weltverband ITF als Veranstalter des Daviscups hat großes Interesse am Standort Deutschland.

Und Sie haben großes Interesse am Weltverband, Sie planen im September als Herausforderer für ITF-Präsident David Haggerty anzutreten. Was reizt Sie daran?

von Arnim: Ich bin von mehreren Nationen gefragt worden, ob ich mir das nicht vorstellen könne, denn es gibt durchaus einige, die der Meinung sind, dass sich die ITF verändern und weiterentwickeln muss. Ich habe als langjähriger Turnierveranstalter und Präsident des weltgrößten nationalen Tennisverbands wichtige Erfahrungen gesammelt. Mich reizt daran, weltweit für das Tennis etwas bewegen zu können.´

Wo sehen Sie denn die größten Handlungsbedarfe?

von Arnim: Es gibt viele Stellschrauben, an denen man in der ITF drehen kann. Aber konkret werde ich mich dazu zu gegebener Zeit äußern.

Wenn Sie gewählt würden, dürften Sie im November nicht zur Wiederwahl im DTB antreten. Dabei gibt es wegen der diversen Weltkrisen auch hier große Herausforderungen, nicht nur die im Leistungssport bereits benannten. Wie sehen Sie den DTB im Breitensportbereich aktuell aufgestellt?

von Arnim: Dass Tennis in der Corona-Pandemie Mitgliederzuwächse vermelden konnte, ist bekannt. Wir sehen weiterhin täglich, wie beliebt unser Sport über alle Altersklassen hinweg und bei beiden Geschlechtern ist. Es gibt viele Maßnahmen zur Mitgliederbindung. Nun stehen viele unserer rund 9000 Vereine, vor allem in größeren und Großstädten, vor der Herausforderung, keine ausreichenden Platzkapazitäten anbieten zu können. Da kann ich nur an die Politik appellieren, diese Themen bei Neubauvorhaben mitzudenken. Wir unterstützen unsere Vereine bei diesen und auch allen Anforderungen, die insbesondere die Energiekrise an sie stellt. Noch längst nicht alle nutzen diese Unterstützung, da geht also noch mehr. Aber im Breitensport sehe ich den DTB sehr gut aufgestellt.