Hamburg. Am Sonnabend steigt in der Sporthalle Wandsbek die deutsche Mannschaftsmeisterschaft. Die Favoritenrolle ist klar verteilt.
Noch ist kein Kampf über die Matte gegangen, aber welches sportliche Fazit er ziehen wird an diesem Sonnabendabend, das kann Rainer Ganschow bereits vorwegnehmen. „Es gibt in diesem Jahr in Deutschland nichts Besseres im Judo, das kann ich versprechen“, sagt er. Ganschow, im Hauptberuf Kinderarzt und Direktor der Universitätsklinik in Bonn, ist seit 2002 Präsident des Hamburger Judo-Bundes (HJB). Auf seine Einordnung ist Verlass, und so ist die Vorfreude, die im Hamburger Judo-Team (HJT) allerorts herrscht, mehr als verständlich.
Deutsche Meisterschaft: HJT geht als Favorit an den Start
Als Gastgeber der Endrunde um die deutsche Mannschaftsmeisterschaft geht die Auswahl von Cheftrainer Slavko Tekic in der Sporthalle Wandsbek als Nordmeister im Halbfinale (11 Uhr) gegen den Südzweiten JC Leipzig favorisiert an den Start. Gelingt in den zwei Durchgängen à sieben Kämpfen der erhoffte Erfolg, wartet im Finale um 15 Uhr der Sieger des zweiten Semifinalduells zwischen Titelverteidiger und Rekordmeister TSV Abensberg und der Sport-Union Annen. Die Kämpfe werden live bei Sportdeutschland.TV gestreamt. „Alle gegnerischen Teams sind stark, wir müssen an unser Limit gehen. Aber wir haben die besten Deutschen, und das wird den Ausschlag geben“, sagt Tekic. Weil in zehn der 14 Kämpfe einheimische Judoka eingesetzt werden müssen, ist eine starke deutsche Fraktion in der Bundesliga oft der siegbringende Faktor.
Mit Moritz Plafky (26/Klasse bis 60 Kilogramm), Yerrick Schriever (21/bis 73 kg), Dominic Ressel (29/bis 81 kg) und Dario Kurbjeweit Garcia (28/bis 100 kg) hat Hamburg vier herausragende Nationalkämpfer im Aufgebot. Die größten Stärken jedoch sieht Präsident Ganschow, der auch dem HJT vorsteht, auf zwei anderen Feldern. „Zum einen ist Slavko ein riesiger Faktor. Er beschäftigt sich 24 Stunden am Tag mit Judo, kennt jeden Gegner und stellt die Jungs individuell so ein, wie es kein anderer Trainer in Deutschland kann“, sagt er.
Zum anderen sei die Geschlossenheit der Mannschaft der große Trumpf gegenüber anderen Teams. In den Jahren 2016 bis 2018, als Hamburg mit drei Titeln in Serie erste Spuren auf der Judo-Meisterkarte hinterließ, war noch viel darüber diskutiert worden, ob es notwendig sei, so viele Legionäre aus dem In- und Ausland zu verpflichten, um einem Titel nachzujagen, für den es außer Ruhm und Ehre keinerlei Vergütung gibt. Als zur Saison 2019 der solvente Sponsor Peter Wittmann im Streit schied, fand ein Umdenken im Hamburger Judo statt. „Wir haben uns dann entschieden, mehr auf unsere Eigengewächse zu setzen“, sagt Ganschow.
Kämpfer sind nicht wegen des Geldes in Hamburg
Natürlich ist ein Verzicht auf Führungsfiguren mit Erfahrung nicht vollständig möglich, kein Team kann den erlaubten 40-Mann-Kader nur mit Sportlern aus dem eigenen Dunstkreis bestücken. Aber unter Tekics Leitung – der Serbe ist auch Cheftrainer beim TH Eilbeck und als Talententwickler hoch geschätzt – wurde der Nachwuchs Schritt für Schritt an die Bundesligamannschaft herangeführt. Toptalente wie Losseni Koné (21/über 100 kg) und Lasse Schriever (19/bis 90 kg) sind mittlerweile Leistungsträger.
Dazu kommt, dass die Auswahlkämpfer des HJT allesamt eine Verbindung zum Team haben, die nicht auf Finanziellem gründet. Moritz Plafky und insbesondere Dominic Ressel könnten anderswo deutlich mehr Geld verdienen, Angebote bekommen sie nach jeder Saison. „Aber sie bleiben, weil sie den Zusammenhalt bei uns schätzen“, sagt Rainer Ganschow. Überhaupt gäbe es viele, die sich um einen Platz in Tekics Truppe reißen würden. „Aber wir achten in der Auswahl des Teams darauf, dass der Charakter und die Motivation stimmen.“
Yerrick Schriever (TH Eilbeck) und Dario Kurbjeweit Garcia (Bramfelder SV) stammen aus Hamburger Vereinen, mussten aber ihre Heimatstadt verlassen, da die Mitglieder des Nationalkaders an den Bundesstützpunkten trainieren müssen. Auch deshalb arbeitet Rainer Ganschow daran, mittelfristig einen Bundesstützpunktstatus für Hamburg zu erwirken. „Es wurde zu Recht bemängelt, dass wir dafür aktuell zu wenig hauptamtliche Trainer haben“, sagt er. Als erste Konsequenz wurde zu Jahresbeginn Landestrainer Florian Hahn fest angestellt. „Nun hat Slavko immer einen Vertreter, auf den er sich verlassen kann. Das hat unheimlich viel bewirkt“, sagt der Präsident. Nun verfolge er die Idee, in Kooperation mit den anderen Nordverbänden in Hamburg einen Nachwuchsstützpunkt aufzubauen, der mit dem Erwachsenenstützpunkt in Hannover zusammenarbeiten solle. „Es wird nicht einfach, aber wenn wir solche Ziele nicht hätten, bräuchten wir nicht weiterzumachen.“
Hamburger Judo-Sport ist professioneller geworden
Der wichtigste infrastrukturelle Schritt der vergangenen Jahre war allerdings der Umzug in das neue Landesleistungszentrum am Eulenkamp, das 2019 in Betrieb genommen werden konnte. „Die Verhältnisse vorher in Wandsbek waren nicht mehr tragbar. Mit der neuen Halle haben wir unsere gesamten Abläufe professionalisieren können“, sagt Ganschow, der vor diesem Hintergrund die Unterstützung durch die Stadt und das Sportamt hervorhebt. „Wir sind der Politik sehr dankbar für die Hilfe in den vergangenen Jahren“, sagt er. Auch dass mit der Sporthalle Wandsbek mittlerweile eine feste Heimstätte für die Bundesligakämpfe bereitgestellt werde, sei eine wichtige Fortentwicklung.
Immerhin organisieren sie im HJT die Kampftage in Alleinregie, da braucht es feste Abläufe. Florian Hahn, Landestrainer Daniel Lenk und Sportdirektor Patrick Strutz bilden auch für die Endrunde das Trio, das für den reibungslosen Ablauf verantwortlich ist. Dazu gehören mittlerweile ein Livestream in TV-Qualität, die Bereitstellung von Monitoren und Moderation in der Halle und ein angemessener VIP-Bereich, um die Sponsoren zufriedenzustellen. Auch in diesem Bereich hatte im HJT nach dem großen Knall 2019 ein Umdenken stattgefunden. Weg von einem großen Mäzen, hin zu einem Netzwerk aus kleineren Geldgebern. „Auch 2000 oder 3000 Euro sind für uns gutes Geld, und wir haben damit die Unterstützung auf eine viel breitere Basis gestellt“, sagt Ganschow.
Deutsche Meisterschaft: So hoch ist der Etat des HJT
40.000 Euro Basiskosten fallen für eine Bundesligasaison an, der Gesamtetat für das Final-Four-Turnier liegt noch einmal bei 36.800 Euro. Geld, das in einem Nischensport wie Judo erst einmal erwirtschaftet werden muss. „Wir haben aber zum Glück kein Finanzproblem. Die Lage ist nicht luxuriös, aber auskömmlich“, sagt der Präsident, der dennoch stets auf der Suche nach neuen Partnern ist.
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Was er ihnen bieten kann, das wird am Sonnabend wieder zu besichtigen sein: ehrlichen, fairen Sport in einer angenehmen Atmosphäre – und einer Stadt, in der der japanische Kampfsport im Gegensatz zum Bundestrend steigende Mitgliederzahlen verzeichnet. Aktuell sind in den 62 Hamburger Vereinen rund 4850 Aktive angemeldet. „Einige kleine Clubs haben die Corona-Krise leider nicht überstanden, aber wir haben in vielen Vereinen Zuwächse, die wir nicht erwartet hätten“, sagt Rainer Ganschow. Er wolle sich nun dafür einsetzen, auch den Frauenbereich in Hamburg weiter zu stärken. Mit der Kampfgemeinschaft aus Bramfelder SV und JG Sachsenwald gab es in dieser Saison bereits ein recht erfolgreiches Zweitligateam in der Stadt.
An diesem Sonnabend zählt aber zunächst die Gegenwart. „Wir wollen den fünften Stern, und ich glaube, dass wir stark genug sind, ihn auch zu holen“, sagt Ganschow. Und wenn nicht, dann wird trotzdem gefeiert, schließlich ist der Weg, den sie eingeschlagen haben, ein guter.