München. Olympiasiegerin Kira Walkenhorst spielt in München mit Beachvolleyball-Neuling Louisa Lippmann. Sie sollten nicht unterschätzt werden.
Wer wissen will, wie groß ihr Ehrgeiz ist, der muss auf die Zeit vor den Olympischen Sommerspielen 2016 zurückschauen. Kira Walkenhorst stand damals vor der Wahl, ihr chronisch lädiertes Knie operieren und dafür ihren Start in Rio de Janeiro an der Seite von Laura Ludwig sausen zu lassen. Oder die Jagd nach dem Olympiasieg aufzunehmen und dafür zu riskieren, nie mehr schmerzfrei laufen zu können. Das Ergebnis ist bekannt: Das Hamburger Duo gewann an der Copacabana die Goldmedaille und schrieb Beachvolleyball-Geschichte.
Sechs Jahre später sitzt die gebürtige Essenerin am Bundesstützpunkt im Hamburger Stadtteil Dulsberg und sagt, angesprochen auf ihre Zielsetzung für die Heim-EM, die am Montag im Rahmen der European Championships in München begann: „Wir haben uns kein Ziel gesetzt und können völlig unbelastet ohne Erwartungen an den Start gehen.“
Beachvolleyball: Walkenhorst trifft auf Lippmann
Aus dem Mund dieser schmerzresistenten Eisenfrau, die 2017 mit ihrer Goldpartnerin Ludwig (36/HSV) auch den WM-Titel holte, klingt eine solche Aussage in etwa so, als würde der FC Bayern vor der ersten Runde im DFB-Pokal sagen, man dürfe beim Drittligisten Viktoria Köln ein Weiterkommen nun wirklich nicht erwarten.
Dennoch muss man der 31-Jährigen ihre Worte abnehmen. Nicht nur, weil sie seit 2018 Mama von Drillingen ist, die ihre Frau Maria (geborene Kleefisch) zur Welt brachte. Nicht nur, weil sie Anfang 2019 ihre internationale Karriere, gebeutelt von immer wiederkehrenden Blessuren, beendet hatte und seitdem nur noch auf der nationalen Tour aktiv war. Sondern vor allem, weil sie in München mit einer Partnerin antritt, die keinerlei internationale Turniererfahrung im Sand mitbringt und mit der sie noch kein Match bestritten hat.
Alle Augen werden auf das Duo gerichtet sein
Dass dennoch alle Augen auf sie gerichtet sein werden, liegt an der Prominenz beider Protagonistinnen. Walkenhorsts Partnerin ist Louisa Lippmann, fünfmalige Volleyballerin des Jahres in Deutschland, die in diesem Sommer den Wechsel in den Sand gewagt hatte und seit Anfang Juni am Hamburger Stützpunkt trainiert. Die 27 Jahre alte Herforderin hat, da sie mitten in der Saison eingestiegen war, keine feste Spielpartnerin, auf der deutschen Tour sammelte sie erste Praxis an der Seite der Hamburger Nachwuchsspielerin Lea Kunst (20).
Als im Frühjahr allerdings die Wildcards für die EM vergeben wurden, hatte Jürgen Wagner, im Deutschen Volleyball-Verband (DVV) als Head of Beachvolleyball tätig, die Idee, Walkenhorst und Lippmann, die er persönlich betreut, als Kombination vorzuschlagen.
Walkenhorst und Lippmann sollen harmonieren
Was auf den ersten Blick angesichts dessen, dass sowohl Kira Walkenhorst (1,85 Meter) als auch Louisa Lippmann (1,90 Meter) als Blockspielerinnen agieren, nicht ganz schlüssig wirkt, soll nun in München dennoch harmonieren. Viel Zeit, gemeinsam zu trainieren, hatten die beiden zwar nicht. Um sich mit den Stärken der Partnerin vertraut zu machen, reichten einige Tage aber.
„Louisa kann mit ihrem Aufschlag sehr viel Druck machen, und wenn sie im Angriff den Ball vor sich hat, entwickelt sie eine ungeheure Geschwindigkeit“, sagt Kira Walkenhorst. Louisa Lippmann entgegnet: „Ich sehe es als eine große Ehre an, dass Kira das mit mir macht. Es ist übelst krass zu sehen, welche Lösungen sie findet. Ich kann von ihr enorm viel lernen.“
„Es gibt weiterhin Höhen und Tiefen"
Eine Lernende ist die beste deutsche Hallenspielerin der vergangenen Jahre seit Wochen, die Entscheidung für den kompletten Neuanfang hat sie indes nie bereut. „Es gibt weiterhin Höhen und Tiefen, aber es macht mir riesigen Spaß, auch wenn der Grat zum Frust zwischen eigener Erwartungshaltung und tatsächlicher Leistungsfähigkeit immer noch schmal ist“, sagt sie. In Elementen wie Annahme und Zuspiel, die sie in der Halle nicht brauchte, fehlt ihr noch Erfahrung. Auch deshalb sagt Kira Walkenhorst: „Wir spielen in München nicht ergebnis-, sondern entwicklungsorientiert. Die Medaillen müssen für Deutschland andere holen.“
Die EM wird pro Geschlecht zunächst in acht Vierergruppen gespielt. Der Modus „Modified Poolplay“ besagt, dass Verlierer und Gewinner der ersten Gruppenspiele im zweiten Match gegeneinander antreten. Die Verlierer der Verliererduelle sind ausgeschieden, die Sieger erreichen ebenso wie die Verlierer der Gewinnerduelle die Zwischenrunde, die Sieger der Gewinnerduelle stehen direkt im Achtelfinale.
Konstellation ist einmalig
Für Deutschland, das mit fünf Frauen- und vier Männerduos antritt, eröffneten am späten Montagnachmittag die in Hamburg trainierenden WM-Dritten Cinja Tillmann (31)/Svenja Müller (21) die Titelkämpfe mit einem 2:0 (21:14, 21:15)-Sieg gegen die Französinnen Clémence Vieira (22)/Aline Chamereau (26).
Alles andere als ein Aus nach der Gruppenphase wäre für das Duo Lippmann/Walkenhorst, das an diesem Dienstag (14 Uhr) sein Auftaktmatch gegen die Schweizer Titelverteidigerinnen Nina Brunner (26)/Tanja Hüberli (29) bestreitet, eine Überraschung. Sie werden in dieser Konstellation wahrscheinlich nie mehr spielen.
Beachvolleyball: Duo sollte nicht unterschätzt werden
Lippmann setzt ihre Hoffnungen auf die Qualifikation für die Sommerspiele 2024 in Paris in Laura Ludwig, die aktuell noch in der Babypause ist, aber im Herbst wieder trainieren will. Walkenhorst, erstmals seit Jahren komplett schmerzfrei, möchte nach den deutschen Meisterschaften in Timmendorf Anfang September entscheiden, ob sie noch einmal Olympia in den Fokus nimmt oder nur noch auf der deutschen Tour spielt.
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Andererseits wäre es ein grober Fehler, den Ehrgeiz zu unterschätzen, der diese beiden Athletinnen antreibt. „Die Vorfreude ist riesig“, sagt Kira Walkenhorst. Und wenn die Bälle erst einmal fliegen, dann ist mit ihr immer zu rechnen.
Am Montagabend (nach Redaktionsschluss) trafen Chantal Laboureur (32/Stuttgart)/Sarah Schulz (22/Düsseldorf) auf das österreichische Schwesternpaar Dorina und Ronja Klinger. Bei den Männern eröffnen aus deutscher Sicht die Hamburger Nils Ehlers (28)/Clemens Wickler (27) vom Eimsbütteler TV die Gruppenphase an diesem Dienstag (16 Uhr) gegen Kristoffer Abell/Jacob Brinck (Dänemark).