Hamburg. Der Verband muss nach der Freistellung des Beachvolleyball-Sportdirektors mit einer Kündigung aus Solidarität rechnen. Um wen es geht.

Am Dienstagmittag treffen sich am Bundesstützpunkt am Dulsberger Alten Teichweg zwei der prominentesten deutschen Beachvolleyballerinnen, um für ihren ersten gemeinsamen Auftritt zu proben. Anlass der Verabredung: Louisa Lippmann und Kira Walkenhorst schlagen in der nächsten Woche mit einer Wildcard bei den Europameisterschaften in München auf, die in die European Championships eingebettet sind.

Lippmann (27), fünfmalige „Volleyballerin des Jahres“, die in diesem Sommer von der Halle in den Sand nach Hamburg wechselte, und 2016-Olympiasiegerin Walkenhorst (31/Essen) hätten nach dem erklärten Willen Niclas Hildebrands, des bisherigen Beach-Sportdirektors des Deutschen Volleyball-Verbands (DVV), schon an diesem Mittwoch im Tennisstadion am Hamburger Rothenbaum ans Netz gehen sollen, bei der Qualifikation zum Elite-16-Turnier des Weltverbandes FIVB.

Beachvolleyball: Hildebrand „widerruflich freigestellt“

Die Hauptfelder mit jeweils 16 Duos bei Frauen und Männern baggern und blocken von Donnerstag bis zum (Final-)Sonntag. Die sportlich hochkarätige Veranstaltung mit den Topteams der Szene gehört zur neuen Weltserie und ist mit 300.000 US-Dollar das mit Abstand am höchsten dotierte deutsche Beachvolleyball-Event dieses Jahres.

Dass nun statt Lippmann/Walkenhorst das nicht gerade übermäßig erfolgreiche Nachwuchsduo Leonie Klinke (24/Stuttgart) und Lena Ottens (25/HSV) die Freikarte für die Qualifikation in Hamburg zog, hat zu weiteren Verwerfungen im ohnehin angeschlagenen Verband geführt. Hildebrand (42) wurde nach einem Disput mit DVV-Sportvorstand Julia Frauendorf (30) vor drei Wochen wegen des gestörten Vertrauensverhältnisses „widerruflich freigestellt“, wie es DVV-Präsident René Hecht (60/Berlin) formuliert.

Wagner droht mit der Kündigung

Damit nicht genug des Unwetters am Strand: Jürgen Wagner (66/Dortmund), mit zwei Olympiasiegen (2012 und 2016) der erfolgreichste deutsche Beachcoach, droht jetzt aus Solidarität zu Hildebrand seinen Posten als „Head of Beachvolleyball“ nach der Saison aufzugeben. Er habe „klar formuliert“, sagte Wagner dem „Volleyball-Magazin“, „dass ich meine Aufgaben unter diesen Voraussetzungen nicht mehr konkret darstellen kann“. Eigentlich wollten Hildebrand und Wagner die deutschen Frauen und Männer bis zu den Sommerspielen 2024 in Paris sportfachlich begleiten

. „Das hatten wir mit dem Verband verabredet. Ohne Niclas ist das jedoch nicht mehr durchführbar“, sagte Wagner weiter. Selbst der Status Hamburgs als zen­traler Bundesstützpunkt Beachvolleyball schien wegen der Verbandsquerelen in Gefahr. Dem widersprach nun Hecht am Wochenende im Abendblatt: „Wir stehen weiter ohne Wenn und Aber zu Hamburg.“

"Weltverband kann Beschluss nicht begreifen"

Frank Mackerodt (59) kann die Verbandsentscheidung gegen Lippmann/Walkenhorst nicht nachvollziehen: „Nichts gegen Klinke/Ottens, aber Kira und Louisa hätten uns für die Vermarktung des Turniers sehr geholfen, beide sind Zuschauermagneten. Auch der Weltverband kann diesen Beschluss nicht begreifen.“ Der Hamburger organisiert mit seinem Partner Frank Ehrich (55) die Veranstaltung für die Volleyball World, die neue Agentur der FIVB. Erstmals bei einem Beachvolleyball-Turnier in Hamburg muss von Donnerstag an auf fast allen Plätzen Eintritt bezahlt werden, nur 500 sind täglich kostenfrei.

Für die Wildcards in Hamburg und bei der EM in München durften sich alle deutschen Teams beim DVV bewerben. Während für München allein Lippmann/Walkenhorst eine Zulassung beantragten, stritten in Hamburg fünf Frauenteams um drei Freiplätze für die Ausscheidungsrunde. Wagner und Hildebrand präferierten Lippmann/Walkenhorst, weil sie in beiden Blockspielerinnen das Potenzial sehen, sich – mit dann anderen Partnerinnen – für Paris qualifizieren zu können.

Klinke/Ottens sammelten bereits Punkte

Lippmann wird 2023 mit Rio-Olympiasiegerin Laura Ludwig (36/HSV) auf Welttour gehen. Ludwig arbeitet nach der Geburt ihres zweiten Sohnes seit Kurzem wieder intensiv an ihrer Fitness. Walkenhorst will sich nach ihrem Rücktritt vom Rücktritt auf höchstem Niveau beweisen. Hamburg wäre dafür eine erste anspruchsvolle Gelegenheit gewesen.

Weil Lippmann/Walkenhorst mangels Möglichkeiten bislang keine Weltranglistenpunkte erspielen konnten, plädierte Spielerinnenvertreterin Victoria Bieneck (31) „aus Gründen der Transparenz und Fairness“ für Klinke/Ottens, die bereits einige Zähler ansammelten. DVV-Vorstand Frauendorf schloss sich ihrer Meinung an, beide überstimmten damit Hildebrand.

„Du kannst es nie allen recht machen.“

Der sah sich in seiner fachlichen Verantwortung beschnitten. Der Eklat nahm seinen Lauf, weitere Vorwürfe gegen Hildebrand kamen auf. Auf eine Mailanfrage des Abendblatts zu den Vorgängen teilte Frauendorf mit: „Wir werden keine Fragen zu arbeitsvertraglichen Verhältnissen mit Mitarbeitern beantworten.“ Als Sportdirektor müsse man auch unpopuläre Entscheidungen treffen, hatte Hildebrand einst die Herausforderungen seines Jobs beschrieben, den er vor knapp fünf Jahren antrat. „Du kannst es nie allen recht machen.“

Ziel des Verbandes sei, bei Olympia, Welt- und Europameisterschaften Medaillen zu holen. Davon hängen die finanziellen Zuwendungen des für den Spitzensport zuständigen Bundesinnenministeriums (BMI) maßgeblich ab. Deshalb könne nicht per Gießkanne gefördert werden, vielmehr seien alle Mittel auf die Kandidaten zu konzentrieren, denen eine erfolgreiche Entwicklung zugetraut werde. Darin waren sich Hildebrand/Wagner mit dem DVV-Präsidium einig.

Behrens und Tillmann verklagten den DVV

Der bisherige Erfolg dieses Konzeptes gab allen recht: Julius Thole/Clemens Wickler (Eimsbütteler TV) wurden 2019 in Hamburg Vizeweltmeister, die in Hamburg trainierenden Svenja Müller (ETV) und Cinja Tillmann (Düsseldorf) gewannen 2022 in Rom WM-Bronze, Karla Borger/Julia Sude (Stuttgart) freuten sich 2021 bei der EM in Wien über Platz drei. Zudem belegten Thole/Wickler und Laura Ludwig/Margareta Kozuch (HSV) bei den Sommerspielen 2021 in Tokio Rang fünf. Beachvolleyball ist damit nach Hockey die erfolgreichste Mannschaftssportart Deutschlands – und erhielt zuletzt mehr Fördergelder vom BMI.

Aber es gab auch Missklänge. Kim Behrens (29/Bremen) und Tillmann (31) klagten gegen den DVV auf Schadenersatz, weil Hildebrand für die lukrativen Weltturniere meist nur die vor der Saison bestimmten vier Nationalteams nominierte, Behrens/Tillmann, die 2020 in Jürmala (Lettland) Vizeeuropameisterinnen wurden, dagegen bloß in Ausnahmefällen.

Beachvolleyball: Tillmann und Hildebrand nun versöhnt

Vor dem Landgericht Frankfurt/Main erhielten beide recht. Das Oberlandesgericht aber kassierte im April letztinstanzlich dieses Urteil, gestand dem DVV und damit Hildebrand zu, eigene sportfachliche Entscheidungen treffen zu dürfen, wenn die Gründe dafür transparent blieben.

Tillmann und Hildebrand haben sich inzwischen versöhnt. Eine Aussöhnung Hildebrands mit dem DVV scheint hingegen Stand heute unwahrscheinlich.