Hamburg. Auch Hamburger Proficlubs wie der HSV verfolgen den Hype interessiert. Dabei warten aber auch Unsicherheiten und Gefahren.
Erinnern Sie sich noch an die Momente, als Sie oder ihre Kinder mit etwas Kleingeld an der Supermarktkasse standen, um ein paar Panini-Fußballsticker zu kaufen? An das aufgeregte Kribbeln beim Aufreißen der kleinen Tütchen? An das Panini-Heft zur WM 2006, als dieser verdammte Sticker von Tim Borowski noch fehlte, Jens Nowotny aber gefühlt in jedem Tütchen auftauchte?
An die Genugtuung, wenn das kleine Klebefoto des damaligen Profis von Werder Bremen endlich den deutschen Kader im WM-Heft komplettierte? Und an den Stolz, das kleine Heft vor seinen Freunden vervollständigt zu haben?
Non-fungible Tokens: Fansea ist NFT-Plattform
„Wir Menschen sind Jäger und Sammler“, weiß Alexander Schlicher. Der gebürtige Frankfurter ist Geschäftsführer von Fansea, einem Unternehmen, das das Prinzip Panini verstanden hat. Da Panini-Sticker im Jahr 2022 ungefähr so zeitgemäß sind wie Wählscheibentelefone, setzt Fansea auf die digitale Welt. Schlichers Unternehmen ist eine sogenannte „NFT“-Plattform. Non-fungible Tokens („nicht ersetzbare Wertmarken“) dienen in der digitalen Welt als Zertifikat oder Beweis für die Originalität eines bestimmten Gegenstands.
Ein Foto kann am Smartphone oder Computer grafisch beliebig oft kopiert werden – ist dann aber nur eine Kopie und nicht das Original. Wer beispielsweise digitale Fotos seines Fußballstars sammeln will, ist auf diese Echtheit angewiesen. Den seltenen Borowski-Sticker von 2006 einfach im Arbeitszimmer der Eltern zu kopieren kam damals ja auch nicht infrage.
Dank NFTs keine digitalen Plagiate
NFTs können im digitalen Raum, dem „Metaverse“, Besitz erzeugen. Das Metaverse ist bereits jetzt eine digitale Erweiterung des analogen Lebens, viele Menschen zahlen im Internet beispielsweise mit der Online-Währung Bitcoin. Nicht kopierbare Datensatzblöcke, die sogenannte „Blockchain“, garantieren, dass damit verknüpfte Fotos, Videos oder 3-D-Objekte lediglich von einem Besitzer zum nächsten verschoben, nicht aber kopiert werden können.
„Es geht darum, Werte digital unfälschbar speichern zu können. Dank Blockchain wird es digital keine Plagiate mehr geben. Man hat immer das Original“, erklärt Schlicher, dessen Unternehmen beispielsweise für 45 Euro eine 3-D-Abbildung eines Trikots des AC Mailand anbietet. Als digitales Originalstück. Die Auflage ist auf 75.817 Trikots limitiert, eins für jeden Sitzplatz im Mailänder Giuseppe-Meazza-Stadion, dem San Siro.
"Aktuell herrscht noch viel Unsicherheit"
Zukünftig, sagt Schlicher, sollten massentaugliche NFTs im Bereich zwischen fünf und zehn Euro liegen. „Für den normalen Fan sollte sich der Wert der NFTs aus der Wichtigkeit des Objekts ableiten und natürlich auch, was man damit machen kann. Es kann rein kunstvoll aussehen und nur digital existieren oder auch beispielsweise in 3-D ausgedruckt werden, um es sich zu Hause ins Regal zu stellen“, sagt er.
Dass die Technologie, die in zwei bis drei Jahren aus dem Sport-Merchandising nicht mehr wegzudenken sein werde, noch am Anfang stehe, bestreitet Schlicher nicht. „NFTs werden in den kommenden Jahren in allen Profiligen zum Standardrepertoire dazugehören. Aktuell herrscht noch viel Unsicherheit, weil man die Technologie nicht versteht und die Regulierung der Behörden noch zu unklar ist“, sagt der zweifache Familienvater. 20 Jahre lang arbeitete Schlicher als Unternehmer in der Finanzbranche, seit wenigen Jahren beschäftigt er sich mit NFTs. Kein Wunder – vorher gab es diese Technologie auch noch nicht.
Thema NFTs wirft viele Fragen auf
„2020 haben mich beim Thema NFTs noch viele angeschaut, als würde ich vom Mond kommen und eine fremde Sprache sprechen. Mittlerweile haben sehr viele Entscheider im Sport verstanden, dass man damit Geld verdienen und Fans glücklich machen kann“, sagt der 45-Jährige. Einfach gesagt: Während Fußballfans früher Panini-Sticker ihrer Lieblingsspieler sammelten, werden sie diese in Zukunft auf ihrem Smartphone oder Computer speichern. Immer abrufbar und in größerer Detailschärfe. Und vielleicht nicht als einfaches Porträtfoto, sondern als exklusives Video, 3-D-Fußballschuh oder Abbildung eines getragenen Trikots. Die Fans wird das in Zukunft interessieren, sagt Schlicher.
Dass das Thema NFTs erklärungsbedürftig ist, überrascht angesichts der technologischen Komplexität nicht. Tatsächlich stellen sich ganz banale Fragen. Wie funktioniert das? Warum soll ich Geld für ein Video meines Lieblingsspielers ausgeben? Und: Was soll das Ganze überhaupt?
Panini-Sticker können nicht mehr mithalten
„Jeder Fan klebt seinem Star an den Lippen, originale Schuhe oder Trikots haben Sternenstaub. Die gibt es in der analogen Welt aber nur einmal und sind schwer mit Fans zu teilen, vor allem wenn es sich um ganz besondere Objekte handelt“, weiß Schlicher. Der originale Fußballschuh von WM-Torschütze Mario Götze aus dem Jahr 2014 zum Beispiel. Fans könnten ihn sich als originalgetreues 3-D-Objekt zukünftig mit einem Projektor an die Wohnzimmerwand werfen.
„Man ist plötzlich als Fan in der Lage, extrem nah heranzukommen, sieht jeden Grashalm oder Schmutzfleck am getragenen Objekt aus einem Spiel“, erklärt Schlicher. So entstünden digitale und einzigartige Merchandising-Artikel. Eindimensionale Panini-Sticker könnten da nicht mithalten. Die Kernzielgruppe für solche NFTs sei zwischen 15 und 30 Jahre alt, technologie-, sport- und innovationsaffin, erklärt Schlicher.
Metaverse erweitert die analoge Welt
Wenn das „echte Leben“ die analoge Welt ist, stellt das Metaverse eine digitale Erweiterung dessen dar. Dass beide Welten zunehmend miteinander verschmelzen, ist vielfach zu beobachten. Fußballstar Kevin-Price Boateng etwa heiratete am 11. Juni seine Verlobte Valentina Fradegrada. Nicht etwa in Berlin oder Mailand, sondern im Metaverse, rein digital. Einladungen zur Hochzeit vergab Boateng mittels NFTs. Fans konnten so für 50 Euro digital und interaktiv an der Hochzeit ihres Stars teilnehmen.
„Überall, wo man ein Produkt findet, das die Emotionen der Fans bedient, hat man eine gute Chance, so ein nerdiges Technologie-Thema massentauglich zu machen“, sagt Schlicher. „Natürlich ist das echte Erlebnis anders. Ich weiß aber nicht, ob es wirklich auch immer besser ist. Digital kann man seine Fans zum Beispiel erreichen, wenn sie nicht in der gleichen Stadt leben.“ Digital heiße nicht, dass es nicht echt sein kann. Geld beim Online-Banking etwa sei genauso echt wie der klassische Geldschein.
Viele NFT-Käufer wollen angeben
Abgesehen von der Ästhetik und Exklusivität gehe es vielen Käufern von NFTs auch darum, mit ihren digitalen Objekten anzugeben. Ob das Objekt im Fußballmuseum oder als digitales 3-D-Objekt existiert, spielt dabei keine Rolle. Exklusiv ist exklusiv. „Das sogenannte Flexen innerhalb der NFT-Community ist ein Riesenthema“, gibt Schlicher zu. Zugegeben – bei Panini-Heftchen war es früher nicht anders. Wer den Panini-Sticker von Borowski hatte, war der Coolste auf dem Pausenhof.
Eine Gruppe, die zurzeit noch den Markt bestimmt, sind Spekulanten. „Vielen NFT-Käufern geht es momentan noch eher ums Zocken, also darum, ein NFT später teurer wieder zu verkaufen und Geld zu verdienen“, sagt Schlicher. Dies erkläre auch, warum eine Karte von Stürmerstar Erling Haaland beim Fußball-Managerspiel „Sorare“ für knapp 690.000 Euro den Besitzer wechselte. Der Käufer wolle Haaland vermutlich nicht bei dem Online-Spiel einsetzen, sondern spekuliere lediglich auf eine Wertsteigerung.
Hype kann auch zu Verlusten führen
Die finanzielle Wucht von NFTs ist derweil unbestritten. Bei der jüngsten Lizenzrechtevergabe für Sticker und Trading Cards inklusive NFTs steigerte die Deutsche Fußball Liga (DFL) ihren Gewinn um 280 Prozent. Die Steigerung – ab dem Rechtezyklus 2023/24 kann die DFL mit Einnahmen von über 170 Millionen Euro rechnen – liegt vor allem am Hype der NFTs.
Dass dieser Hype auch schnell zu Verlusten führen kann, zeigt das Produkt „FootballStars“. Für den digitalen Token warben im vergangenen Sommer etliche Stars von Inter Mailand und der kroatischen Fußball-Nationalmannschaft. Viele Fans ließen sich von ihnen überzeugen – und kauften massenhaft. Nach anfänglichem Auf und Ab brach der Kurs innerhalb weniger Monate ein, heute hat der FootballStars-Token nur noch zwei Prozent seines ursprünglichen Wertes. Die Website von FootballStars ist wie das investierte Geld der Fans: einfach verschwunden.
Gesetz hat Hacker noch nicht im Visier
Abgesehen von stark schwankenden, durch Investoren getriebenen Kursen, stellt die Strafverfolgung ein Problem dar. Was passiert, wenn ein Hacker mein NFT-Objekt digital stiehlt? Zwar versichern die Plattformen nachdrücklich, dass die Technologie sicher vor Hackern sei. Das Gesetz kennt auf diese Frage dennoch keine Antwort. Die Strafverfolgungsbehörden entwickeln sich längst nicht so schnell wie NFTs.
Wer die Wörter Blockchain und NFTs im Gesetzbuch sucht, wird nicht fündig. Oder sind es gar keine Straftaten, weil der Hacker ja nur nach den Regeln der Blockchain handelt? Wer den Code knackt, hat recht? Neben der fehlenden Rechtssicherheit steht auch der hohe Stromverbrauch in der Kritik, die rechnungsstarken Blockchain-Server verbrauchen hohe Mengen an Energie.
NFT: Auch HSV und St. Pauli interessiert
Trotz aller Kritik interessieren sich auch die Hamburger Proficlubs für das Thema. Der HSV und der FC St. Pauli beschäftigen sich nach Abendblatt-Informationen mit der Option, eigene NFTs zu vertreiben, die nicht vom 170-Millionen-Paket der DFL betroffen sind. Dies könnten etwa Museumsstücke als exklusive 3-D-Objekte sein, die Fans erwerben können. Einen Schritt weiter sind bereits die Hamburg Sea Devils und die European League of Football (ELF). „Wir droppen kontinuierlich neue NFT-Kollektionen in unserem NFT Club, um damit unsere Kernzielgruppe zu bedienen.
Darüber hinaus werden wir aber auch an unserer sehr erfolgreichen Strategie festhalten, auf anderen Blockchains und Crypto-Marktplätzen wie zum Beispiel Binance Partner-Drops umzusetzen“, sagt ELF-Geschäftsführer Zeljko Karajica auf Abendblatt-Nachfrage. Zukünftig plant die Liga, NFTs mit beispielsweise Eintrittskarten für Spiele oder handsignierten Trikots zu verknüpfen. „Wir stehen als European League of Football für Innovation. Außerdem haben wir eine junge, urbane und technikaffine Zielgruppe, welche digitale Produkte wie NFTs selbstverständlich nutzt und sogar von modernen Sportarten fordert. Wir werden diesen Bereich auf jeden Fall kontinuierlich weiterentwickeln“, sagt Karajica.
NBA gilt als Vorreiter bei NFTs
Auch die Veolia Towers Hamburg und die Basketball-Bundesliga (BBL) haben das Thema für sich entdeckt. Die Towers führten bereits erste Gespräche mit Anbietern, um beispielsweise digitale Sammelobjekte zu vertreiben. „Allgemein finden wir das Thema NFT, generell digitale Neuerungen, spannend und beobachten die Entwicklungen aufmerksam“, heißt es vom Wilhelmsburger Bundesligaclub. Auch die BBL spielt mit dem Gedanken von Trading Cards und Managementspielen. „Wir orientieren uns hier natürlich an den Vorreitern, die schon ein paar Schritte weiter sind als wir. Da das Thema aber natürlich noch recht jung ist, hilft es uns natürlich sehr, wenn wir von den Erfahrungen anderer Ligen und Verbände profitieren können“, sagt Marvin Macherey, Senior Manager Vermarktung bei der BBL. Weltweit gilt die US-Eliteliga NBA als Vorreiter bei NFTs.
In der Handball-Bundesliga (HBL) überlegt man, bereits in der kommenden Saison NFT-basierte Videos zu verbreiten. „Unser Ziel muss es sein, die Lizenzrechte für eine digitale Trading-Card-Kollektion mit digitalen Spielerabbildungen zu vergeben. Hier denken wir in ähnlichen Kategorien wie die DFL“, sagt HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann auf Abendblatt-Nachfrage. Weitere Treiber für das Thema könnten die Heim-Europameisterschaft 2024 und die Heim-Weltmeisterschaft 2027 sein. Als erster Handballverein der Welt veröffentlichte die SG Flensburg-Handewitt im vergangenen Jahr digitale Sammelkarten auf Basis der Blockchain-Technologie.
Bleiben NFTs preislich attraktiv?
„Wir wollen die Erlebniswelt für unsere Zielgruppe um ein weiteres digitales Angebot erweitern. Hier erwarte ich beim Sammeln, Tauschen und Spielen durchaus starkes Interesse bei unseren Fans. Natürlich macht das alles nur dann wirklich Spaß, wenn wir ein preislich attraktives Angebot machen. Wichtig ist auch die zusätzliche Sichtbarkeit, die wir hier zusätzlich für den Handball erreichen“, sagt Bohmann. „Wir glauben, dass Handball auch auf diesem Geschäftsfeld bestehen kann und dass der Markt genug Potenzial hat, um sich eine zusätzliche Erlösquelle erschließen zu können.“
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Zurzeit, das gibt Fansea-Geschäftsführer Schlicher zu, sei noch unter ein Prozent der Sportfans in Deutschland bereit, Geld für NFTs auszugeben. Die Nachfrage steige jedoch rapide an. Am 30. Juli veröffentlichte Fansea eine neue NFT-Serie mit der Deutschen Sporthilfe, in der Sportgeräte oder Bekleidungsstücke als 3-D-Modelle dargestellt werden. „NFTs sind aus dem Sport-Merchandising nicht mehr wegzudenken“, sagt Schlicher. „Es geht meines Erachtens nicht darum, dass es ,nicht echt‘ ist, nur weil es digital ist.“ Der Panini-Sticker von Tim Borowski 2006 war auch nicht der „echte“ Tim Borowski. Sondern ein Foto auf einem kleinen Stück Papier.