Hamburg. Der Segler entschied sich für Hamburg als Heimathafen. Hier lebt er mit seiner Familie und schöpft Kraft für neue Abenteuer.
Es ist Boris Herrmanns letzter Tag zu Hause in Hamburg, bevor er mit seiner Familie für mehrere Monate in die Bretagne übersiedelt. Dort findet am 19. Juli in Lorient der mit Spannung erwartete Stapellauf seiner neuen Rennyacht statt. Eineinhalb Jahre war der 41-jährige Vendée-Globe-Star ohne eigenes Rennboot. In dieser Zeit hat er seine laufende Fünf-Jahres-Kampagne (2021 bis 2025) neu ausgerichtet, den Bootsneubau im französischen Vannes vorangetrieben und sein Team ausgebaut.
Mehr als 30 fest angestellte Mitarbeiter aus elf Nationen, weitere freie Mitarbeiter und sieben große Partner treiben Team Malizia an. Die erste große Bewährungsprobe für die neue Rennyacht ist der Transatlantik-Klassiker Route du Rhum ab 6. November. Zwei Weltumseglungen sind mit der Teilnahme am Mannschaftsmarathon The Ocean Race ab 15. Januar 2023 und dem Start in seine zweite Solo-Weltumseglung 2024/2025 bei der Vendée Globe geplant.
Boris Herrmann kann Comeback kaum noch erwarten
Mit der Ruhe vor den Stürmen ist es nun vorbei. Boris Herrmann kann sein Comeback selbst kaum mehr erwarten: „Heute fühlt es sich an wie Stunde null. Es muss wieder losgehen. Ich fühle mich voller positiver Energie.“ Er sitzt am Holztisch vor seinem Stammcafé Yokohama in der gleichnamigen kleinen Straße in der Hamburger HafenCity. Das charmante Lokal von Luise und Florian Kunth ist sein zweites Wohnzimmer, denn Deutschlands bekanntester Segler wohnt mit Ehefrau Birte Lorenzen-Herrmann, Tochter Malou und Familienhund Lilli in der HafenCity und mag das Bilderbuch-Quartier Am Lohsepark.
„Das hier ist unser Dorfplatz“, sagt Herrmann glücklich, während er am Cappuccino nippt und ein Pain au Chocolat genießt. Gegenüber liegt inmitten der modernen Betonwelt ein gepflegter grüner Park, in dem Kinder spielen, Menschen zum Ausspannen Hängematten in die Bäume hängen und Begegnungen miteinander schätzen.
„Lilli ist mein Traumhund“
Um Herrmanns schwarze Sneaker wirbelt Lilli herum. Der lebendige dreijährige Cavalier King Charles Spaniel begleitet den 41-Jährigen fast überall hin. Auch Frankreichs Segellegenden kennen ihn als Boris-Begleiter. „Lilli ist mein Traumhund“, sagt Herrmann. Zu sehen ist das Duo aktuell auf einem überdimensionalen Lamellenbild als Teil der Outdoor-Ausstellung „#Unüberseebar“. Das Künstlerkollektiv Mentalgassi hat 33 Menschen und einen Hund aus der HafenCity porträtiert. Die Impressionen ergeben auf 385 Metern das längste kuratierte Kunstwerk Norddeutschlands, das die riesige Baustelle des Westfield Hamburg-Überseequartiers sehenswert einrahmt.
Beim Spaziergang durch sein Viertel mit Lilli hat der gute Beobachter Boris Herrmann viel zu erzählen. Im Schatten der HafenCity Universität Hamburg zeigt er nach oben und sagt, er habe dort schon oft in der Mensa lecker gegessen. Das habe ihn an seine Jugendzeit erinnert, die er in weiten Teilen zu zweit mit seinem Vater verbrachte: „Ich mag Mensen. Sie erinnern mich an früher.“
Hamburg ist mehr als eine Wahlheimat
Gleich um die Ecke am Sandtorhafen schreitet Herrmann voller Vorfreude noch einen Schritt schneller die Brücke runter zum Traditionsschiffhafen der Stiftung Hamburg Maritim. Hier wird er am 6. September mit seinem neuen 18,20 Meter langen und rund sechs Meter breiten Renngeschoss einlaufen. Es ist das einzige Becken in der HafenCity, wo eine Rennyacht mit 4,50 Metern Tiefgang gefahrlos anlegen kann. Hier wird nach dem Stapellauf in Frankreich die Taufe des Bootes im Heimathafen des Skippers stattfinden.
Hamburg ist dem gebürtigen Oldenburger mehr als eine Wahlheimat. Die Hansestadt ist sein Zuhause, seine Kraftquelle, seine Inspiration. Seine Liebeserklärung: „Hier sagt man Moin, schaut sich in die Augen und trinkt ein Jever oder ein Becks. Ich bin Norddeutscher und verspüre hier Heimatgefühle. Hamburg ist eine aktive Stadt, auch für mich das Tor zur Welt. Und ich mag die Weltgewandtheit hier.“
Boris Herrmann lebte lange als Reisender
Der viermalige Weltumsegler hat zehn Jahre im Ausland und als Reisender gelebt, bevor er hier sesshaft wurde. Die innerlich längst pro Hamburg gefallene Entscheidung verdeutlichte ihm ein Test mit Coach Barbara in Barcelona 2012, nachdem er gerade mit Giovanni Soldini auf dessen „Maserati“ um die Welt gerast war. Die Coach-Anweisung: „Schreib doch mal die Namen der Städte auf, die dir gefallen.“ Boris notierte Paris, Berlin, Kiel und einige mehr.
Nächste Anweisung: „Leg die Blätter auf den Boden und stell dich spontan auf den Zettel mit der Stadt, die dir am meisten sagt.“ Boris betrat Hamburg ohne Zögern. 2013 kam er, um zu bleiben, lebte erst auf St. Pauli und zog später mit seiner Ehefrau in die HafenCity. „Nimmt man meinen Geburtsort Oldenburg und ihren mit Kiel, dann ist auch da wieder Hamburg das Gravitationszentrum, das es für mich auf Fahrten nach Kiel und in den gesamten deutschen Norden immer war. Hamburg ist für Wassersport zwischen Ostsee und Nordsee geografisch ideal positioniert.“
„Hamburg ist eine Stadt mit vielen Seglern"
An der Poggenmühlenbrücke bleibt er mit Blick auf das märchenhaft anmutende Wasserschloss im Hintergrund an einem der klassischen Hamburger Postkartenmotivorte wieder stehen. Lilli bellt aufgeregt. Der leidenschaftliche Kite-, Wing- und Foil-Surfer Herrmann lacht und erzählt: „Hier wollte ich gerne mal für einen Clip unter der Brücke durchsurfen. Der Fehler war, dass das Drehteam offiziell um Erlaubnis gefragt hat.“ Im Bilderbuchlabyrinth der Hamburger Brücken und Kanäle ist Surfen verboten. Das Blitzen in Boris Herrmanns Augen verrät, dass er es eines Tages vielleicht trotzdem tun wird.
Herrmann findet es wichtig, Menschen, Teams und Unternehmen verorten zu können. Auch deshalb hat er Hamburg als Standort für sein Team Malizia gewählt, das er 2016 mit seinem Segelfreund Pierre Casiraghi gegründet hat. Seine Überzeugung: „Hamburg ist eine Stadt mit vielen Seglern, vielen Medien und weltoffenen Unternehmen. Eine gute Heimatbasis, wo ein Handschlag was zählt und der Umgang miteinander respektvoll und freundlich ist.“ Inzwischen hat er für sich, seine Familie und Freunde, die aus dem Ausland zu Besuch kommen, viele Lieblingsecken für Ausflüge entdeckt. Dazu zählt das schwimmende Café Entenwerder 1 der segelaffigen Friese-Familie, das mit seinem „goldenen Turm“ auf einem Ponton nahe den Elbbrücken weithin zu sehen ist. „Hier an der Billwerder Bucht kann man halbe oder ganze Tage in einem kreativ-schiffigen Ambiente verbringen“, schwärmt Herrmann. Wer kann, der fährt mit dem Boot hin.
Boris Herrmann ist Stammgast im Neustadt-Café Johanna
Auch die Alster lockt den Segler regelmäßig ins Hamburger Stadtherz. Wir fahren mit dem Fahrrad hin, schauen vielleicht beim Norddeutschen Regatta Verein vorbei oder trinken was im Alster-Cliff.“ Mit Tochter Malou baut Boris Sandburgen an der Elbe mit Aussicht auf die dicken Pötte, die vorbeiziehen. Sie steuern die Strandperle oder den Blankeneser Segel-Club an. Die kühle Erfrischung danach gibt’s auf dem Fähranleger Op’n Bulln.
Ein Team-Büro unterhält Herrmann am Venusberg, nur ein paar Schritte entfernt von Michel und Michelwiese. Dort ist er Stammgast im Neustadt-Café Johanna. „Auch hier habe ich wieder mitten in der Stadt dieses gute dörfliche Gefühl“, sagt er. Das Motto von Besitzerin Sarah teilt er beim Lunch liebend gerne: „Seid nett zu euren Mitmenschen, und es kommt zu euch zurück.“ Eine ähnliche Stimmung verspürt der Abenteurer mit hohem Nachhaltigkeitsanspruch bei Besuchen des charmanten Café Tide in Ottensen.
Die letzten Ferien vor dem Segelprojekt
Das Angebot von Frank Walbeck und seinem Team ist dort einzigartig: köstlicher Kaffee, erlesene Feinkost und Treibholz, das der Besitzer von entlegensten Küsten der Welt und manchmal auch direkt vom Elbstrand mitbringt und verkauft. Hier ist sogar die prächtige Kaffeemaschine ein 62 Jahre altes Original. Die urige nordische Treibholz-Ästhetik spricht Boris Herrmann an, der als Mini-Matrose im elterlichen Boot das Wattenmeer eroberte und auf Sandbänken in der Nordsee spielte.
Über eine Einladung von Freunden hat Boris Herrmann gerade noch einmal Überseeferien mit der Familie erlebt – die letzte Erholungspause, bevor ihn das Segelprojekt in den kommenden Monaten wieder mit Haut und Haaren verschlingen wird. „Das war wunderschön. Damit kann man mal sein Fernweh killen, aber ich weiß jetzt schon, dass wir die nächsten Sommerferien im deutschen Norden verbringen werden. Hier bei uns mit Boot oder Board unterwegs zu sein, das ist doch ein unschlagbarer Traum.“
„Ich kann vom Schreibtisch aus weit schauen"
Als ebenso traumhaft schön empfindet der Vielbeschäftigte die Aussichten aus den Fenstern der Familienwohnung: „Ich kann vom Schreibtisch aus weit schauen. Beispielsweise sehe ich die Backsteinbauten der Deichtorhallen, wo wir auch gerne hingehen. Meine Frau, die das wissenschaftliche Kinder- und Jugend-Lehrprogramm My Ocean Challenge für Team Malizia mit mir entwickelt hat, ist Kunstlehrerin. Wir haben gemeinsam Spaß daran, Ausstellungen in den Deichtorhallen zu entdecken.“
Auch bei der Entstehung seines neuen Renngeschosses, verrät Herrmann, haben Künstler mitgewirkt. Details will er nicht vor dem 19. Juli preisgeben. Nur so viel: Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen spielen bei der neuen Segeloptik der Imoca Rennyacht eine noch größere Rolle als zuvor. Auch der Spinnaker-Entwurf einer britischen Künstlerin, der aktuell unter Geheimhaltung in der Nähe von Hamburg entsteht, dürfte Aufsehen erregen.
Herrmann spricht mehrere Fremdsprachen
Kurz vor dem Stapellauf der neuen Yacht ist Herrmann inzwischen in der Bretagne angekommen. Er wohnt mit seiner Familie und Teammitgliedern in einem Haus in Larmor-Plage unweit des Yachthafens von Kernevel. Da sind es nur ein paar Schritte zum Atlantischen Ozean und keine 15 Minuten Fahrradfahrt zur Teamhalle in der Seesegelwiege Lorient, dem wichtigsten Zentrum des internationalen Hochsee-Regattasports. In Larmor-Plage liebt Boris Herrmann die Crêperie Boo’t A Boo in der Rue de la Marine. Hier gehen die Vendée-Globe-Helden ein und aus und haben Besitzerin Amélie zu Spezialkreationen im Namen prominenter Skipper inspiriert. Auf der Karte steht auch ein Boris-Herrmann-Crêpe, der mit Speck, Champignons und Eifüllung dem ersten deutschen Vendée-Globe-Teilnehmer gewidmet ist.
Herrmann spricht fließend Französisch wie Deutsch und Englisch. Der Sohn eines Deutschlehrers hat viel Sprachtalent und taucht entsprechend aufnahmestark in die Welten ein, in denen er gerade agiert. Das hat den Norddeutschen früh zu einem natürlichen Einsteiger und Mitspieler in der eingeschworenen bretonischen Seesegelszene werden lassen. „Auch sind sich die bretonische und die norddeutsche Gradlinigkeit und Entschlossenheit ja nicht ganz unähnlich“, sinniert er, als er noch an der Elbe sitzt und schon an die französischen Gewässer denkt, in die sein Neubau in diesen Tagen erstmals eintauchen wird.
Das neue Boot ist einzigartig
An das neue Boot sind nicht nur seine Hoffnungen und Träume geknüpft. Sein Team, seine Partner, Millionen Fans können es kaum erwarten, dass er endlich wieder in Regatten durchstartet. Er wird es mit einem Boot tun, das „so noch nie gebaut wurde“. Es wirke, so Herrmann, „ein Stück weit wie eine Banane, wie ein von Kinderhand gezeichnetes Boot“. „Es ist größer und fetter als die alte Seaexplorer, erklärt der Skipper. Wie andere bekannte Rennställe hat sich Team Malizia bei Konstruktion und Bau auch von Sicherheitsaspekten leiten lassen.
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Die Havarie von Segelkamerad Kevin Escoffier bei der vergangenen Vendée Globe hat auch die Besten schockiert und zum Umdenken inspiriert. Escoffiers Imoca-Yacht „PRB“ war entzweigebrochen. Der Franzose musste in stürmischen Bedingungen in eine Rettungsinsel umsteigen. Die beängstigend lange nächtliche Suchaktion am Rande des Südpolarmeeres, an der auch Boris Herrmann beteiligt war, hatte die Segelwelt in Atem gehalten, bis Landsmann Jean Le Cam den Havarierten fand und beide später von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beglückwünscht wurden. Escoffiers Schicksal soll sich nicht wiederholen.
Boris Herrmann: Neues Boot wie "ein Geländewagen"
„Das neue Boot ist eher wie ein Geländewagen und weniger Formel-1-Wagen, der über eine flache Piste rast“, sagt Herrmann. Ein wenig erinnert das „Skelett“ der Yacht ihren künftigen Steuermann auch ans traditionelle hanseatische Handwerk, wie er beim Spaziergang in der HafenCity anklingen lässt. Da schaut Boris Herrmann beim Durchgang unter einer der Brücken hoch in die Stahlträger und sagt: „Das sieht ein bisschen so aus wie das Spantengerüst unseres neuen Bootes.“