Hamburg. Der Ex-Beachvolleyballer spricht erstmals über Reaktionen auf seinen Rücktritt, die Entscheidungsfindung und seine Zukunftspläne.
Gedünstetes Rotbarschfilet auf Gemüse und Jasminreis, dazu einen Smoothie und Ingwertee – die Auswahl, die Julius Thole im vietnamesischen Restaurant Do Quan an der Dehnhaide trifft, ist noch immer leistungssportgerecht. Seit dem 25. Oktober ist der 24 Jahre alte Beachvolleyball-Vizeweltmeister von 2019 allerdings kein Leistungssportler mehr. Mit seinem frühen Karriereende überraschte der gebürtige Hamburger alle. Im Abendblatt spricht er nun erstmals seit der Verkündung über seine Beweggründe und sein neues Leben.
Hamburger Abendblatt: Herr Thole, als der heutige HSV-Funktionär Marcell Jansen seine Fußballkarriere 2015 im Alter von 29 Jahren beendete, sagte Rudi Völler, wer so etwas täte, habe den Fußball nie geliebt. Dann müssen Sie den Beachvolleyball ja schrecklich gehasst haben.
Julius Thole: Wenn man Rudi Völlers Aussage zum Maßstab nimmt, dann ist das wohl so, ja.
Wie oft haben Sie sich seit der Entscheidung gefragt, ob Sie diese nicht bereuen werden?
Thole: Noch gar nicht. Für mich war der wichtigste Punkt in meiner Entscheidungsfindung genau dieser: dass ich nicht aufhören wollte mit dem Gefühl, irgendwann denken zu müssen, dass ich es besser nicht getan hätte. Deshalb habe ich mir so lange Zeit gegeben, bis ich an dem Punkt angelangt war, an dem ich wusste: Die Entscheidung ist richtig.
Wie spürt man das?
Thole: Irgendwann kamen keine neuen Erkenntnisse mehr, ich habe angefangen, mich im Kreis zu drehen. Da war mir klar, was ich tun musste.
Karriereende: Auch Olympia änderte Thole Entschluss nicht
In Tokio, wo Sie im August vergangenen Jahres Ihre ersten Olympischen Spiele erlebten und mit Ihrem Partner Clemens Wickler das Viertelfinale erreichten, wussten Sie da bereits, dass Schluss sein würde?
Thole: Überhaupt nicht. In Tokio gab es gar keinen Raum für andere Gedanken. Und auch die EM in Wien kurz nach Tokio und die deutschen Meisterschaften in Timmendorfer Strand Anfang September wollte ich unbedingt spielen. Erst nach Timmendorf habe ich begonnen, mir Gedanken darüber zu machen, wie mein Leben in Zukunft aussehen sollte.
Normalerweise sind junge Athleten nach ihrem ersten Olympiastart so geflasht, dass sie diese Erfahrung unbedingt noch einmal machen wollen. Warum Sie nicht?
Thole: Das weiß ich nicht. Ich fand das Erlebnis und den Wettkampf grandios, mit der WM 2019 in Hamburg war es mit Abstand das größte sportliche Erlebnis, das ich hatte. Aber dieses starke Gefühl, das mir Laura Ludwig noch in der Mensa in Tokio beschrieb, dass sie unbedingt wieder zu Olympia will, das hatte ich nicht.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass man nach einem solchen Höhepunkt wie Olympia in ein Loch fällt, zumal Sie angesichts der Verschiebung der Spiele um ein Jahr eine enorm lange Vorbereitung hatten. Fürchten Sie nicht, Ihre Entscheidung aus diesem Gefühl heraus verfrüht getroffen zu haben?
Thole: Diese Überlegungen waren Teil meines Entscheidungsprozesses. Natürlich waren wir vollkommen kaputt, zumal Clemens und ich in der Vorbereitung ja beide länger ausgefallen waren und es dadurch ein enormer Kraftakt war, überhaupt nach Tokio zu kommen. Aber bei mir hat sich nach und nach die Erkenntnis durchgesetzt, dass ich mich nicht mehr in diesem intensiven Trainingsalltag gesehen habe, der notwendig ist, um auf Weltspitzenniveau mitzuhalten. Ich verspürte diesen eindeutigen Drang, etwas anderes zu machen.
Haben Sie diesen Entscheidungsprozess allein durchgestanden? Oder wer half Ihnen?
Thole: Ich habe mein engstes privates Umfeld und wenige Vertraute aus dem Sport und anderen Bereichen einbezogen. Mir war aber klar, dass ich die Entscheidung letztlich autark fällen musste.
Gab es in diesem Kreis jemanden, der Ihnen vom Karriereende abgeraten hat?
Thole: Nein, alle konnten mich verstehen, und das hat mich überrascht. Alle sagten zwar, dass sie das Potenzial sähen, das noch in Clemens und mir als Team steckt, aber dass ich eben ein neugieriger Mensch sei, der sich in entsprechender Tiefe mit neuen Themenfeldern beschäftigen will, und meine Entscheidung deshalb nachvollziehbar sei.
Gerade weil Sie ein Mensch sind, der Dinge in ihrer gesamten Bandbreite ergründen möchte, verwundert es, dass Sie diesen Prozess im Leistungssport nun frühzeitig abgebrochen haben. Wurmt es Sie, nicht zu wissen, wie weit Sie es hätten bringen können?
Thole: Es ist doch der Reiz am Leistungssport, dass man niemals genau weiß, was man noch erreichen kann. Ich finde es unglaublich schön, sagen zu können, dass ich es in einem so professionellen Sport bis in die Weltspitze geschafft habe. Meine Motivation kam nie aus dem Ergebnisdenken, sondern lag darin herauszufinden, wie weit ich kommen kann, und in der Freude am Sport. Ich bin sehr dankbar für das, was wir erreicht haben. Wo es noch hätte hingehen können, ist nicht Teil meiner Überlegungen.
Karriereende: Wickler überraschte Thole
Es gibt auch Stimmen, die behaupten, dass Sie dank Ihrer hohen Intelligenz gespürt haben, dass Sie Ihr Leistungslimit erreicht und deshalb den Schlussstrich gezogen haben.
Thole: Interessant! Tatsächlich glaube ich auch, dass ich unter den Voraussetzungen, unter denen Clemens und ich gearbeitet haben, maximal noch in drei Jahren in Paris gestartet wäre. Unsere Maxime war immer Vollgas, und am Ende war mein stärkstes Argument gegen die Fortsetzung meiner Laufbahn, dass ich nicht mehr bereit war, mit absoluter Hingabe ins Training zu gehen. Und dann wäre es auch nicht mehr so erfolgreich gewesen.
Viele haben nach Ihrer Entscheidung wieder das Klagelied angestimmt, das duale System in Deutschland sei gescheitert, wenn es nicht gelänge, dass jemand wie Sie Studium und Sport vereinen könne. Sie haben sich klar gegen diese These positioniert. Warum?
Thole: Weil ich das duale System sehr schätze und als wichtiges, gut funktionierendes Element betrachte. Ich konnte während meiner Karriere sehr flexibel studieren, deshalb passt mein Fall überhaupt nicht in eine Grundsatzdiskussion über das duale System. Ich habe entschieden, dass sich ein Jurastudium in der Form, wie ich es angehen möchte, nicht mit Leistungssport auf dem Niveau, auf dem ich ihn betreiben möchte, vereinbaren lässt.
Mit Ihrer Entscheidung haben Sie viele überrascht. Gab es nach der Bekanntgabe eine Reaktion, die Sie überraschte?
Thole: Die von Clemens. Für ihn war es ein Schlag, denn er hatte fest mit mir bis Paris geplant. Ich habe ihn sofort nach der Entscheidung informiert, er hat überragend reagiert, weil er mir vermittelt hat, mich zu verstehen und mir nichts zu verübeln. Das hat mich riesig gefreut.
Hatten Sie Gewissensbisse, weil Sie nicht nur Clemens Wickler, sondern auch andere Teammitglieder im Stich gelassen haben?
Thole: Die Konsequenzen, die meine Entscheidung für andere Menschen hatte, tun mir sehr leid. Aber bei so einer Entscheidung ist es wichtig, sie losgelöst von allem anderen zu treffen, denn niemandem wäre gedient, wenn ich aus Rücksicht auf andere weitergemacht hätte, aber nur noch 95 Prozent hätte geben können. Alle, die sich mit Hochleistungssport auskennen, haben das auch verstanden.
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Sie werden vermutlich nie wieder etwas so gut können wie Beachvolleyball spielen. Schmerzt es nicht, das so früh aufzugeben?
Thole: Ein wichtiger Wesenszug meines Charakters ist es, dass ich kein Mensch bin, der zurückschaut. Ich bin sehr dankbar dafür, es im Beachvolleyball so weit gebracht zu haben. Aber die Frage, wo ich hinmöchte im Leben, habe ich für mich nun mit der Fokussierung auf mein Studium beantwortet. Ich finde auch nicht, dass ich eine kurze Karriere hatte. Ich war acht Jahre im Hochleistungssport, ein Drittel meines bisherigen Lebens.
Julius Thole spielt jetzt Badminton
Was werden Sie vermissen?
Thole: Zwei Dinge. Zum einen den Austausch mit meinem sportlichen Umfeld und dessen tolle Qualität. Das fehlt mir. Zum anderen den Wettkampf, dieses Messen mit anderen. Das versuche ich mir zu holen, indem ich regelmäßig mit Freunden Badminton zocke. Badminton ist jetzt mein Rothenbaum. Sport soll ein wichtiger Teil meines Lebens bleiben.
Können Sie sich eine Rückkehr in einen anderen Leistungssport vorstellen? Der ehemalige Ruderer Lars Wichert zum Beispiel hat letztes Jahr den Ironman gewonnen …
Thole: Man soll ja niemals nie sagen. Aber ich gehe aktuell nicht davon aus. Beim Ironman wird man mich nicht sehen, ich kann keine 300 Meter schwimmen.
Brauchen Sie bewusst ein paar Jahre Abstand vom Beachvolleyball?
Thole: Anfangs war ich nicht sicher, ob ich Abstand brauchen würde. Aber mein Verhältnis zu meinem Sport ist richtig cool, ich freue mich darauf, Turniere zu besuchen und die Leute wiederzusehen.
In den vergangenen Jahren war Ihr Leben vorgegeben vom Sportkalender. Fehlt Ihnen diese Struktur? Und wo sehen Sie sich 2024, wenn in Paris um Gold gebaggert wird?
Thole: Man wundert sich, wie durchgetaktet das Leben auch im Studium sein kann. Mein Weg ist für die kommenden Jahre ziemlich genau vorgezeichnet, denn das Studium ist wirklich sehr zeitintensiv. Ich denke, dass ich mich auf Zivilrecht fokussieren werde, mit welchem Ziel, das ist noch offen. 2024 werde ich in der tiefen Examensvorbereitung stecken und sehr viel lernen müssen. Aber wenn Clemens in Paris Gold holt, werde ich sicherlich mit ihm feiern.