Hamburg. Vize-Weltmeister aus Hamburg hört mit 24 Jahren auf. Tholes ETV-Partner Clemens Wickler hat schon einen neuen Mitspieler gefunden.
Es fehlten lediglich Sakko und Krawatte, dann hätte das, was Julius Thole am Montagmittag zu sagen hatte, als staatstragende Rede durchgehen können. In behutsam gewählten Worten verkündete der 24 Jahre alte Vizeweltmeister vom Eimsbütteler TV eine Nachricht, die den deutschen Beachvolleyball in seinen Grundfesten erschüttert und die vor wenigen Wochen wirklich alle, die den Trendsport im Sand verfolgen, für „Fake News“ gehalten hätten.
„Diese Entscheidung ist eine der wichtigsten in meinem Leben, und sie ist mir extrem schwergefallen. Aber ich habe mich dazu entschlossen, meine Leistungssportkarriere zu beenden“, sagte der 2,06 Meter große Angriffsspezialist in einer virtuellen Pressekonferenz.
Um sofort jeglichen Spekulationen Einhalt zu gebieten, betonte Thole, dass sein Entschluss keinerlei gesundheitliche Gründe habe. Zwar hatte er in den vergangenen Jahren bisweilen mit Blessuren zu kämpfen, galt angesichts seines Körperbaus als anfällig für Bänder- und Gelenkverletzungen. „Aber gesundheitlich ist alles bestens“, sagte er. Die Ursache für seinen überraschenden Rückzug liege ausschließlich in seiner persönlichen Zukunftsplanung. Julius Thole möchte seinem Jurastudium, das er in den vergangenen Jahren hatte schleifen lassen müssen, Vorrang geben.
Thole begründet Karrierende mit Studium
Nach den Olympischen Spielen in Tokio, bei denen er mit seinem Abwehrpartner Clemens Wickler (26) im August das Viertelfinale erreicht hatte, sei ein Denkprozess in Gang geraten, an dessen Ende die nun verkündete Entscheidung stand. „Ich habe große Lust darauf, tiefer in mein Studium einzutauchen. Da Jura sehr zeitintensiv ist, ich zudem auch damit liebäugele, ein Auslandssemester zu machen oder auch eine neue Sprache zu lernen, fühle ich mich nicht in der Lage, mein Leben weiterhin zu 100 Prozent auf den Hochleistungssport auszurichten“, sagte er.
Das indes sei nötig, um die geforderte Leistung bringen zu können. „Aus Respekt vor Clemens, der für die Olympischen Spiele 2024 in Paris planen muss, wollte ich deshalb meine Entscheidung zeitnah treffen“, sagte er.
Es ist eine Entscheidung, die typisch ist für den Ganz-oder-gar-nicht-Menschen Thole, der stets großen Wert darauf gelegt hat, sich einer Sache nicht mit halbem Herzen zu verschreiben. Schul- und eine fundierte berufliche Ausbildung haben in der Familie höchste Priorität. Mit seinem Vater Bernhard, einst selbst als Volleyballer aktiv, hatte Julius zu Beginn seiner Karriere die Verabredung getroffen, es im Hochleistungssport zu probieren, das Studium aber nicht zu vernachlässigen.
Thole verzichtet auf mögliches Olympia-Gold
Sein Schritt, nun voll auf die Karte Rechtswissenschaften zu setzen, erscheint vor diesem Hintergrund deshalb konsequent, auch wenn zu befürchten steht, dass er seinen Leistungszenit am Strand noch nicht erreicht hat und er die Aussicht auf Olympiagold und damit verbundene materielle und ideelle Meriten aufgibt. Angst davor, den Rückzug zu früh angetreten zu haben, hat er keine. „Ich glaube, dass es die richtige Entscheidung für mich ist, jedenfalls fühlt es sich so an. Wenn ich in einem halben Jahr spüre, dass es der Fehler meines Lebens war, kann ich immer noch neu überlegen“, sagte er.
Aus Sportkreisen erntete der zweimalige deutsche Meister Respekt und Verständnis für seine Entscheidung, die er Ende der vergangenen Woche den wichtigsten Wegbegleitern mitgeteilt hatte. „Es hat mich auch unvorbereitet getroffen, aber Julius hat es mir sehr einleuchtend erklärt. Wenn sich seine Schwerpunkte verschieben und er fühlt, dass er den Sport nicht mehr zu 100 Prozent leben kann, ist es konsequent“, sagte Wickler.
Niclas Hildebrand, Sportdirektor der Beachsparte im Deutschen Volleyball-Verband (DVV), sagte: „Es gibt viele Spitzenathleten, die den richtigen Zeitpunkt für den Rücktritt verpassen. Bei Julius kommt er gefühlt zu früh, aber ich respektiere seinen Schritt und habe ihm herzlich für das gedankt, was er für unseren Verband geleistet hat.“
Thole hört auf – Wickler hat schon neuen Partner
Auf Hildebrand kommt nun die Aufgabe zu, gemeinsam mit dem neuen Bundestrainerteam, das in der kommenden Woche am Hamburger Stützpunkt zusammenkommt und vorgestellt werden soll, die Teams zu finden, mit denen in drei Jahren in Frankreich um olympische Medaillen gebaggert werden kann. Klar ist, dass Wickler künftig mit Nils Ehlers (27/HSV) zusammenspielen wird, der in der Tokio-Qualifikation mit seinem bisherigen Partner Lars Flüggen (31) gescheitert war. Flüggen hatte danach seine Karriere beendet.
Betreut wird das Team künftig von Jürgen Wagner (65), Head of Beachvolleyball im DVV, und dem neuen Stützpunkttrainer Thomas Kaczmarek (35), der auf Martin Olejnak (51) folgt, der nach Österreich wechselt.
Ehlers hatte ursprünglich geplant, mit dem für Düsseldorf spielenden Freiburger Sven Winter (23) ans Netz zu gehen, das Duo war bereits für das World-Tour-Turnier in Itapema (Brasilien/10. bis 14. November) gemeldet.
„Es war ein hartes Gespräch mit Sven, aber diese Chance, mit Clemens zu spielen, konnte ich mir nicht entgehen lassen. Wir kennen uns aus vielen gemeinsamen Trainingseinheiten, ich bin sicher, dass wir erfolgreich sein können“, sagte Ehlers, der Thole sogar um vier Zentimeter überragt, als hervorragender Blockspieler gilt und sich zuletzt auch in der Abwehr verbessert hatte. Sorgen bereitet lediglich der Knorpelschaden im Knie, der ihn belastet. „Aber das Ziel ist klar: 2024 in Paris wollen wir um die Medaillen mitspielen“, sagte Wickler.
Verband fehlt zweites Beach-Duo
Das Problem des DVV ist nun, aktuell kein zweites Männerteam auf World-Tour-Niveau vorweisen zu können. Winter wird in Brasilien mit dem aus Berlin nach Hamburg gewechselten Philipp Huster (19) antreten, der eigentlich für 2028 aufgebaut werden sollte. Ob daraus eine Dauerlösung wird, bleibt abzuwarten. Ein weiterer Blockspieler ist Robin Sowa (22), der aktuell mit Lukas Pfretzschner (21/beide HSV) spielt, zuletzt aber angesichts seiner Trainingsleistungen beim DVV ein wenig in Ungnade gefallen war.
„Wir schauen uns auch im Hallenvolleyball um, ob wir einen Quereinsteiger finden. Ein, zwei Kandidaten gibt es. Wir müssen uns aber darauf einstellen, in Paris erneut nur ein Männerteam an den Start bringen zu können“, sagte Niclas Hildebrand.
Wie geht es weiter für Thole?
Julius Thole wird die nächsten Olympischen Spiele von außen verfolgen; in welcher Rolle, das weiß er noch nicht. „Ich möchte dem Beachvolleyball erhalten bleiben und etwas zurückgeben von dem, was ich bekommen habe. Die Unterstützung vom Verband, der Stadt, unseren Sponsoren und unserem großartigen Team werde ich nie vergessen“, sagte er. Ob er sich künftig wieder dem Hallenvolleyball zuwende, mehr Tennis spiele oder einen anderen Sport ausprobiere, sei unklar. „Ich brauche ein paar Wochen Ruhe, um meine Zukunft zu planen“, sagte er, „aber ich freue mich sehr auf ein freier gestaltbares Leben.“
Auch wenn es schade ist, dass der 2019 in Hamburg gewonnene Vizeweltmeistertitel der größte sportliche Erfolg seines Lebens bleibt: Julius Thole wird mit seiner neuen Karriere mit Sicherheit Gescheites anzufangen wissen.