Hamburg. Der leitende Landestrainer gilt als Vater des Erfolgs des Hamburger Bundesligateams, das an diesem Sonntag erneut Meister werden kann.
Die Mission Titelverteidigung beginnt am Sonnabendvormittag. Mit Kleinbussen reisen die Mitglieder des Hamburger Judo-Teams (HJT) nach Leipzig. In der sächsischen Metropole steht am Sonntag die Final-Four-Endrunde um die deutsche Mannschaftsmeisterschaft an. Gewinnen die Hamburger ihr Halbfinale (11 Uhr) gegen den Südzweiten TSV Abensberg, dann haben sie im Finale um 15 Uhr gegen den Sieger des Duells KSV Esslingen gegen UJKC Potsdam die Chance, zum fünften Mal seit 2016 den wichtigsten nationalen Titel zu holen.
Dass das gelingen kann, daran hat Slavko Tekic keinerlei Zweifel, auch wenn ihm mit Dominic Ressel (28), der in Tokio Olympiabronze im Mixed-Teamwettbewerb gewann, in der Klasse bis 81 Kilogramm ein wichtiger Leistungsträger wegen einer Schulteroperation fehlt. „Es wird hart, aber wir sind stark genug, als Mannschaft wieder über uns hinauszuwachsen“, sagt der Mann, der zweifelsohne als Vater des Erfolgs der vergangenen Jahre bezeichnet werden kann.
Judo: Tekic sorgte für den Meistertitel
Der 51 Jahre alte Serbe ist mehr als nur der Cheftrainer im HJT. Er ist der Architekt des Gesamtkonstrukts, der die Fäden zusammenführt und dafür sorgt, dass aus einer Ansammlung von Individualsportlern das wird, was man unter dem Begriff Mannschaft versteht. Der Teamgeist hat das HJT 2016 bis 2018 und 2020 zum Meister gemacht – und Tekic zu einem stolzen Mann.
„Für mich ist es die schönste Belohnung zu sehen, dass die Arbeit der vergangenen Jahre Früchte trägt“, sagt der frühere jugoslawische Auswahlkämpfer. Wer den kräftigen 1,85-Meter-Mann mit dem Spitzbubengrinsen näher kennenlernt, der versteht, warum er von seinen Aktiven als Vaterfigur geschätzt wird. Worte wie Feierabend oder Urlaub gehören nicht zu seinem Vokabular, von morgens früh um 8 Uhr bis abends um 22 Uhr steht er in seinen Eigenschaften als leitender Landestrainer des Hamburger Verbands und Chefcoach im TH Eilbeck auf der Matte, unterbrochen nur von der Mittagspause, die er mit seiner Ehefrau und der gemeinsamen Tochter Jelena (7) in der Wohnung am Friedrich-Ebert-Damm verbringt.
Sascha Costa: "Tekic kämpft wie ein Löwe"
Die Wochenenden sind für den Sport ebenso verplant wie der Urlaub, den er regelmäßig dazu nutzt, seine Aktiven zu „Erholungs-Trainingscamps“ einzuladen. Erreichbar ist er für die, die ihn brauchen, rund um die Uhr. „Slavko ist für jeden seiner Sportler wie ein zweiter Vater. Wer zu seinem Kreis gehört, der kann sich sicher sein, dass er alles für einen tun würde“, sagt Patrick Strutz, ehemaliger Bundesligakämpfer und heute HJT-Sportdirektor und Abteilungsleiter im TH Eilbeck.
Der frühere Nationalmannschaftskämpfer Sascha Costa, der heute im Eimsbütteler TV die Judosparte leitet, sagt: „Seine Wärme und sein Familiensinn sind das, was ihn als Mensch auszeichnet. Seine Judoka sind seine erweiterte Familie, für jedes Mitglied kämpft er wie ein Löwe.“
Slavko Tekic: „Judo ist mein Leben"
Slavko Tekic freut sich über derlei Wertschätzung, Besonderes kann er in seinem Handeln aber nicht entdecken. „Wenn man ein glückliches Leben führen will, sollte man tun, was man liebt. Judo ist mein Leben, dafür habe ich viel geopfert, aber nie das Gefühl, dass ich mich vom Judo erholen müsste“, sagt er.
Nur eine Woche im Jahr gönne er sich, in der der Sport nicht im Mittelpunkt steht: Wenn er seine Familie besucht in Backi Jarak, dem 3000-Einwohner-Dorf nahe Novi Sad, wo er aufgewachsen ist und als Sechsjähriger mit Ringen angefangen hat, ehe er zwei Jahre später in die Judoabteilung wechselte. „Dann bin ich nur für die Verwandtschaft da“, sagt er. Mutter und Schwester bewirtschaften noch immer den Bauernhof der Familie; der Vater, der auch Automechaniker war, ist im vergangenen Jahr gestorben.
Slavko Tekic kam 1996 erstmals nach Hamburg
Die anderen 51 Wochen des Jahres gehört Slavko Tekic aber seinem Sport. 1996 war er, damals noch Sportstudent, erstmals nach Hamburg gekommen, um für den SC Concordia in der Zweiten Liga zu kämpfen. Zwei Jahre später erhielt er, sein Trainerdiplom in der Tasche, das Angebot, für den Hamburger Verband zu arbeiten.
„Für mich war das der Hauptgewinn, denn in Serbien war Krieg und an gut bezahlte Arbeit kaum zu denken“, sagt er. Mit den Söhnen Nikola (heute 27) und David (26) zog er nach Hamburg – und kann sich kaum vorstellen, hier noch einmal wegzugehen. Zu wichtig ist ihm die Arbeit mit denen, die ihm vertrauen; von den Grundschulkindern bei Eilbeck bis zu seinen HJT-Topkämpfern.
„Mein Erfolgsrezept lautet Geben und Nehmen"
Dass seine Erfolge im Nischensport verborgen bleiben und die Anerkennung von außerhalb – bis auf die Auszeichnung zu Hamburgs Trainer des Jahres 2009 – oftmals fehlt, daran hat er sich gewöhnt. „Mein Erfolgsrezept lautet Geben und Nehmen. Ich gebe all meine Energie und bekomme durch die vielen schönen Momente ganz viel davon zurück“, sagt er. Ruhig schlafen könne er dann, „wenn ich das Gefühl habe, anderen Menschen dabei geholfen zu haben, auf einen guten Weg zu kommen.“
Umso härter trifft den Menschenfreund Tekic das persönliche Schicksal, das seine Familie und er seit Monaten ertragen müssen. Sein Sohn David, früher ein hoffnungsvoller Nationalkämpfer, sitzt wegen eines Drogendelikts im Gefängnis. Er soll als Verbindungsmann Drogengeschäfte vermittelt und dafür Geld kassiert haben, das Urteil soll am 2. Dezember gesprochen werden. Weil eine vorangegangene Strafe wegen versuchten Totschlags nicht voll verbüßt war, drohen ihm mehrere Jahre Haft.
Sohn im Gefängnis – Tekic sehr betroffen
„Davon ist die ganze Familie betroffen. Für seine Opfer ist es hart, aber für uns genauso wie für ihn“, sagt der Vater, der seinen Sohn alle zwei Wochen für 30 Minuten besuchen darf. Slavko Tekic kann nicht verstehen, wie sein Sohn in kriminelle Kreise abdriften konnte.
„Auch ich hatte, als ich nach Hamburg kam, Angebote aus solchen Kreisen. Aber ich habe alles abgelehnt, weil es falsch ist. Dass David das nicht getan hat, tut mir sehr weh, und ich kann es nicht verstehen“, sagt er. Dennoch sei es nie eine Option gewesen, den Gefallenen noch weiter fallen zu lassen. „Er ist mein Sohn, ich liebe ihn. Wir sind uns weiterhin nah, schreiben uns viele Briefe.“
Flucht in die Arbeit
Umso betroffener macht es ihn, dass manche Weggefährten ihm nun, da sein Sohn im Gefängnis sitzt, argwöhnisch begegnen. „Ich habe das Gefühl, dass meine Familie und ich mit anderen Augen betrachtet werden. Das ist schwer zu verkraften, denn meine schwerste Strafe im Leben habe ich bekommen, als ich zu schnell gefahren bin, 25 Euro hat das gekostet“, sagt er.
Vor diesem Hintergrund müsse er einräumen, dass seine Arbeitswut in den vergangenen Monaten durchaus auch als Flucht aus dem Teufelskreis der Gedanken zu werten sei. „Was mit David ist, kann ich nie vergessen. Aber wenn ich in die Judohalle komme, bleibt alles andere draußen“, sagt er.
Im Vordergrund steht die Entwicklung seines Teams
Die beste Therapie für den Mann, der von seinen Athleten stets fordert, nach Niederlagen immer wieder aufzustehen und für die eigenen Träume zu kämpfen, könnte deshalb an diesem Sonntag ein erneuter Titelgewinn sein. Wobei es nicht in erster Linie Titel sind, die für ihn zählen. Im Vordergrund steht immer die individuelle Entwicklung seiner Schützlinge, die für ihn nicht am Mattenrand endet.
Auch interessant
Auch interessant
Auch interessant
„Mich macht es glücklich zu sehen, wenn meine Sportler auch menschlich einen guten Weg gehen“, sagt er. Viele, die er trainieren durfte, seien sportlich keine Überflieger gewesen. „Aber wenn sie beruflich erfolgreich sind und mir dann ihre Kinder ins Training schicken, weil sie wollen, dass die einen ähnlichen Weg einschlagen, macht mich das stolz“, sagt er.
Slavko Tekic geht für seine Athleten durchs Feuer
Es ist diese Einstellung, die Slavko Tekic zu dem gemacht hat, der er ist. Zu einem Trainer, dessen Athleten genauso für ihn durchs Feuer gehen wie er für sie. Und zu einem Menschen, dessen Verdienste für den Judosport in Hamburg mit Geld nicht aufzuwiegen sind. Aber das war auch nie sein Anspruch. Ihm reichen die Zuneigung seiner erweiterten Familie – und ein paar Titel pro Jahr.