Hamburg. Die zweimaligen Olympiadritten vom NRV sprechen über den Hype um den Hamburger Segler, ihre Pläne für 2024 – und einen Traum.
Dass Bronze Gold wert sein kann, wissen nun auch Erik Heil (32) und Thomas Plößel (33). Der Norddeutsche Regatta Verein (NRV), für den die beiden Segler starten, wird von der Hamburger Sparkasse unterstützt. Und weil Heil/Plößel bei den Olympischen Spielen in Tokio mit ihrem dritten Platz in der 49er-Konkurrenz eine herausragende Leistung zeigten, überreichte Haspa-Chef Harald Vogelsang den beiden Topathleten als Anerkennung je einen Zehntel Krügerrand, eine in Gold geprägte Anlagemünze (Wert rund 200 Euro).
„Ich hatte mich tatsächlich schon mit dieser Anlageform beschäftigt. Total cool, dass ich jetzt wirklich so eine besitze“, sagte Vorschoter Plößel, der die Ehrung am Donnerstagmittag in Hamburg stellvertretend auch für seinen Teamkameraden entgegennahm. Erik Heil hat im Ostseebad Strande mit seiner Freundin einen Pferdehof übernommen, auf dem er auch Ferienwohnungen vermietet und der ihn in diesen Tagen zeitlich in Beschlag nimmt. Für die Tokio-Nachlese mit dem Abendblatt schaltete sich der Steuermann aber per Zoom zu.
Herr Heil, Herr Plößel, waren Sie seit dem 3. August, als Sie in Enoshima Bronze gewannen, schon wieder auf dem Wasser?
Erik Heil: Nein, dazu war überhaupt keine Zeit. Ich war zwei Tage nach der Rückkehr schon mit meinem neuen Projekt, unserem Hof, beschäftigt. Für den Kopf war das ganz gut, so hatte ich gar keine Chance, mich lange mit dem Verarbeiten zu beschäftigen. Aber gemeinsam segeln werden Thomas und ich wohl erst wieder Anfang September bei der Kieler Woche.
Herr Plößel, haben Sie sich bewusst Zeit nehmen können, den Erfolg zu verarbeiten und auch zu genießen?
Thomas Plößel: Tatsächlich habe ich das versucht. Wenn du vier oder, wie in dieser Corona-Phase, sogar fünf Jahre richtig hart auf ein Ziel hinarbeitest und sich dieser Druck letztlich in einem Medaillenrennen entlädt, dann sind das Emotionen, die man kaum beschreiben kann. Manchmal dauert es Tage, davon runterzukommen. Ich habe nach Tokio ganz viele Termine wahrgenommen, Familie und Freunde besucht und die Emotionen rausgelassen. Das tat gut. Nach Rio waren wir allerdings noch platter, da sind wir über Nacht nach Hause geflogen, hatten morgens den Empfang in Frankfurt und sind abends in Kiel mit Freunden in einer Bar gewesen, wo wir uns bis vier Uhr morgens zünftig gefeiert haben. Das war diesmal etwas ruhiger, wobei wir auch tolle Partys hatten.
Sie haben nach dem Wettkampf gesagt, dass diese Bronzemedaille einen höheren Stellenwert hat als die, die Sie 2016 in Rio gewonnen haben, weil es schwieriger gewesen sei, sie zu holen. Wie meinten Sie das?
Plößel: Der emotionale Faktor hat diesmal eine größere Rolle gespielt, weil wir im letzten Rennen Bronze gewonnen haben und nicht, wie in Rio, Silber verloren. Ansonsten war es so, dass die Topteams alle so eng beieinander waren, dass von Platz eins bis sieben für uns bis zum Schluss noch alles möglich war. Das war mental herausfordernder und deshalb schwieriger.
Heil: Grundsätzlich würde ich allerdings dazu tendieren, dass die erste Medaille schwieriger zu gewinnen ist. Der mentale Druck ist bei den ersten Spielen höher, weil du nie weißt, ob deine Kampagne zielführend ist. Wenn du schon mal eine Medaille geholt hast, bist du gelassener, das hat sich in Japan ausgezahlt. Im Segeln sagt man, dass die Regatta immer so gut war wie das letzte Rennen. Insofern fühlt sich diese Medaille besser an als die in Rio. Aber dort hatten wir die noch bessere Kampagne, deshalb war ich in Brasilien emotional ergriffener.
Während der Deutsche Olympische Sportbund insgesamt einen deutlichen Einbruch in der Medaillenausbeute und das schwächste Abschneiden der Teamsportarten seit 1996 beklagen muss, lief es für den Deutschen Segler-Verband (DSV) mit einmal Silber und zweimal Bronze bestens. Was war der Grund dafür?
Heil: Da müssen wir die Arbeit des Verbandes hervorheben, der sich sehr gut entwickelt hat. Die Infrastruktur war legendär. Wir hatten sieben Aktive und zehn Betreuer am Start und haben alle gemeinsam im Hafen von Enoshima die Boote tunen und als Team auftreten können, weil die Trainer auf ihren Platz im olympischen Hotel verzichtet hatten, sodass wir mehr Leute im Hafen haben durften. Wir hatten unsere eigenen Techniker, Regelexperten, Bootsbauer, alles sehr motivierte Leute, immer um uns herum. Das hat sehr geholfen.
Plößel: Es wurde ja viel geschimpft über den Verband in den vergangenen Jahren, aber in diesem Jahr war es perfekt. Man muss zudem sagen, dass die Gruppendynamik sehr gut war. Wenn ein Team Erfolg hat, kann das die anderen mitreißen. Das ist bei uns der Fall gewesen.
Hat es Ihnen in die Karten gespielt, dass Sie in Ihrem Sport gewohnt sind, dass Zuschauer keine Rolle spielen, weil Sie auf dem Wasser davon nichts mitbekommen? Viele andere Athletinnen und Athleten haben beklagt, dass das Publikum gefehlt hat und sie deshalb keine Höchstleistung abrufen konnten.
Heil: Ich denke tatsächlich, dass der positive Ansporn, den Zuschauer geben können, vielen gefehlt hat. Aber die Rahmenbedingungen waren letztlich für alle gleich. Das gilt ja auch für den Fakt, dass man das Hotel nur zum Training und Wettkampf verlassen durfte. Damit klarzukommen war nicht einfach.
Wie haben Sie das gelöst?
Plößel: Erik hat viel Tischtennis gespielt, im Kraftraum unseres Hotels stand eine Platte. Ich habe eher mit den Leuten gequatscht, die dabei waren, und mich von unseren Physios behandeln lassen. So viel mehr Freizeit hatten wir aber gar nicht.
Heil: Das stimmt, wir haben die Abendstunden, wenn die Sonne unterging und man in T-Shirt und Shorts nicht mehr schwitzte, dazu genutzt, um im Hafen am Boot zu arbeiten. Das war unsere Primetime, die wir genossen haben.
Die Qualität der Wettkämpfe schien in allen Sportarten durchweg hoch. Haben Sie auch gespürt, dass der Fokus angesichts fehlender Ablenkungen mehr auf dem Sport lag als sonst üblich?
Plößel: Ich glaube, das kommt beim Segeln nicht so sehr zum Tragen wie in anderen Sportarten, wir sind ja oft in Außenrevieren auf uns gestellt. Was stimmt, ist, dass die Qualität der Wettkämpfe hoch war. Wir hatten am Ende auch das nötige Glück, wir hätten leicht hinter unseren spanischen Trainingspartnern Iago Lopez Marra und Diego Botin le Chever landen können. Dann würden wir jetzt nicht über irgendwelche Medaillenpartys reden.
Segler Heil/Plößel: Boris Herrmanns Erfolg hilft
Segeln war im Corona-Jahr dank des publikumswirksamen Auftritts von Boris Herrmann bei der Vendée Globe sehr präsent. Inwiefern hat Ihnen Herrmanns Erfolg geholfen? Oder stört es Sie, dass Laien Sie mit ihm in einen Topf werfen, obwohl Sie völlig unterschiedliche Disziplinen betreiben?
Plößel: Nein, das ist schon in Ordnung. Ich denke, dass es uns hilft, denn Leute, die ihn gut finden, folgen uns auch. Ob durch seinen Erfolg die Aufmerksamkeit für uns größer war als in Rio, kann ich gar nicht abschätzen. Ich denke, es war ähnlich.
Heil: Wir hatten in Rio noch das Sailing Team Germany, das eine großartige Medienarbeit geleistet hat. Boris‘ Erfolge haben vielleicht einiges davon kompensiert. Wir hatten in unserem Team auch Medienfachleute aus seinem Team dabei, die Aufmerksamkeit und Reichweite generiert haben. Das Netzwerk an Menschen, die Segeln generell gut finden, ist gewachsen. Aber es ist immer noch ein zartes Pflänzchen.
Von außen betrachtet wirkt Segeln wie ein Sport, der sehr gute Sponsoren hat und deutlich besser gestellt ist als viele andere Sportarten. Trügt das?
Heil: Zum Teil schon. Im Segeln werden eben auch große Summen bewegt, weil die technische Ausrüstung teuer ist. Was der NRV für uns leistet, ist überragend, auch für die Unterstützung unserer Sponsoren sind wir sehr dankbar. Aber man kämpft immer um die Förderung. Wir sind mit einem Defizit aus unserer Olympiakampagne gekommen und müssen uns nun privat bemühen, weitere Menschen oder Unternehmen zu finden, die uns auf unserem Weg unterstützen.
Wie soll dieser Weg aussehen? Bis zu den nächsten Olympischen Spielen in Paris sind es nur drei Jahre. Im dritten Anlauf Gold zu holen, ist das Ihr neuer Ansporn?
Plößel: Der 49er ist einfach ein geiles Boot, der übt einen enormen Reiz aus, weil diese Klasse ein Sammelbecken der Topleute ist. Sich mit denen zu messen ist eine tolle Herausforderung. Aber die Voraussetzungen müssen stimmen. Der DSV hat durch die Erfolge in Japan sicherlich mehr Möglichkeiten. Wenn alles passt, könnte es eine dritte Chance für uns geben.
Und wenn nicht, was reizt Sie noch? Am Freitag waren Sie in Aarhus, um sich beim SailGP, einer Regattaserie mit neun Stationen nach Vorbild der Formel 1, umzuschauen. Ist das ein Thema?
Heil: Wir versuchen auf jeden Fall, das Projekt SailGP voranzutreiben. Interesse an einem deutschen Team ist da. Das wäre ein geiles Projekt. Aber dafür brauchen wir Sponsoren, die eine siebenstellige Summe ermöglichen. Dafür ist der NRV nicht aufgestellt.
Wenn wir bei „Wünsch dir was“ wären, was würden Sie am liebsten machen?
Plößel: Der Reiz beim SailGP ist, dass dort die Besten aus allen Klassen zusammenkommen. Außerdem sind die F50-Katamarane das Schnellste, was man segeln kann, mit Geschwindigkeiten von fast 100 km/h. Das wäre schon etwas ganz Besonderes. Aber dafür müsste ein großes deutsches Unternehmen einsteigen, um das zu ermöglichen.
Wann müssen Sie entscheiden, welchen Weg Sie wählen?
Heil: Ein Jahr können wir uns Zeit geben, aber auch nur, weil wir uns seit 20 Jahren kennen und sehr schnell wieder zusammenfinden, wenn wir uns umstellen müssen. Olympia braucht zwei Jahre Vorbereitungszeit. Wir werden nun schauen, was möglich ist, und dann das tun, was uns am besten erscheint.
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