Hamburg. Der Trainingsbetrieb am Bundesstützpunkt in Dulsberg ist fast lahmgelegt. Nun verlassen bekannte Nachwuchsspieler die Stadt.
Sie seien „the lucky ones“, die Glücklichen, so hatte es der für sie zuständige Hamburger Landestrainer Ben Caldwell (38) mit seinem wunderbar warmen britischen Akzent gesagt. Und tatsächlich wissen Thuc Phuong Nguyen und Matthias Kicklitz, als sie sich im Leistungszentrum am Gravensteiner Weg in Dulsberg zum Gespräch mit dem Abendblatt einfinden, ihr Privileg durchaus zu schätzen. „Wir sind sehr glücklich, dass wir überhaupt trainieren dürfen“, sagen die beiden, die als Hamburgs aktuell größte Badmintontalente gelten.
Die Corona-Pandemie hat den Nachwuchs-Bundesstützpunkt der schnellsten Ballsportart der Welt in weiten Teilen lahmgelegt. Da in Hamburg aktuell lediglich Mitglieder der Bundes- und Perspektivkader trainieren dürfen, kann nur etwa ein Siebtel der unweit des Olympiastützpunktes in Dulsberg beheimateten rund 70 Badminton-Asse seinem Sport nachgehen. „In der Altersgruppe der Neun- bis 15-Jährigen haben die meisten seit März vergangenen Jahres keinen regulären Trainingsbetrieb mehr gehabt“, sagt Ben Caldwell.
Badminton-Nachwuchs muss nun online trainieren
Selbstverständlich bieten auch der Brite und seine drei ebenfalls hauptamtlich beschäftigten Kolleginnen und Kollegen, von denen zwei ihre Arbeitszeit um 50 Prozent reduziert haben, das längst weit verbreitete Onlinetraining an. Im Sommer, als mit Abstand draußen trainiert werden konnte, waren immerhin auch gruppendynamische Athletik- und Ausdauereinheiten möglich.
„Aber wir sind ein Hallensport, und alles, was technisch und sportartenspezifisch notwendig ist, muss der Nachwuchs nun zu Hause trainieren“, sagt Caldwell, der fürchtet, dass es zwischen drei und sechs Monaten dauern dürfte, die Trainingspause aufzuholen und die Nachwuchskader in Wettkampfform zu bringen, sobald wieder Wettkämpfe möglich sind.
Lücke im Badminton durch Corona wird sich bemerkbar machen
Einleuchten will ihm das strikte Trainingsverbot nicht. „Wir könnten problemlos Abstände einhalten, wenn wir nur Einzel spielen würden, und wir haben ein sehr gutes Hygienekonzept. Wir sind selbstverständlich bereit, unseren Teil zur Bekämpfung der Pandemie beizutragen. Aber es wäre sehr wichtig, wenn wir so bald wie möglich wieder umfassendes Training für alle Kadermitglieder anbieten könnten“, sagt er.
Die langfristigen Auswirkungen der Einschränkungen seien zwar noch nicht zu beziffern. Ben Caldwell befürchtet allerdings, dass sich die Lücke, die Corona im Hamburger Badminton reißt, erst in drei, vier Jahren besonders schmerzlich bemerkbar macht. Dann, wenn die Talente fehlen, die das Abwandern der aktuellen Topspieler kompensieren sollen.
Nguyen und Kicklitz wechseln nach Mühlheim an der Ruhr
So verlassen Nguyen (17) und Kicklitz (18) Hamburg nach dem Abitur in diesem Sommer und wechseln an den Bundesstützpunkt Einzel in Mülheim an der Ruhr. Zudem geht Doppelspezialistin Leona Michalski (18) an den Bundesstützpunkt Doppel/Mixed nach Saarbrücken. „Diese Abgänge zu kompensieren wird eine Herausforderung, die uns für Jahre beschäftigen wird“, sagt Caldwell.
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Für diejenigen, die aktuell trainieren dürfen, habe die Pandemie dagegen nicht nur Nachteile gebracht. Zwar sei der Ausfall fast aller Turniere – vor Kurzem wurden die für Mitte März geplanten German Open in Mülheim ersatzlos gestrichen – ein großer Verlust, weil es für Spielerinnen und Spieler abseits der Top 30 der Welt kaum Gelegenheiten gibt, den eigenen Leistungsstand international abzugleichen.
Toptalente optimistisch, bald wieder zu alter Form zu gelangen
„Aber wir hatten viel Zeit, um an Defiziten zu arbeiten, die wir im normalen Betrieb nie bearbeiten können“, sagt Matthias Kicklitz. Thuc Phuong Nguyen schätzt besonders die Möglichkeit, viel individueller trainieren zu können. „Unsere Trainingsgruppe besteht immer aus denselben vier Personen, neben mir sind das Leona, Matthias und Jonathan Dresp. So können wir sehr intensiv an individuellen Inhalten arbeiten“, sagt sie.
Deshalb sind Hamburgs Toptalente auch überzeugt davon, dass sie, sobald ein geregelter Wettkampfbetrieb wieder möglich ist, keine lange Anlaufzeit benötigen, um die nötige Form zu erreichen. „Und ich glaube, dass wir alle umso motivierter sein werden, wenn es wieder losgeht“, sagt Thuc Phuong Nguyen. Selbstverständlich wolle niemand, dass der Ausnahme- zum Normalzustand wird. Aber sie versuchen, das Beste aus dem Schlechten zu machen.