Hamburg. Der Hamburger züchtet und trainiert so erfolgreich 60 Tiere, dass er in diesem Jahr sogar ein WM-Schlittenrennen gewinnen konnte.
Ivik ist die Chefin. Der Typ da rund 16 Meter weiter hinten, der ruft zwar, feuert an oder beruhigt, wenn nötig. Und ja, er hat auch das Fressen. Aber wo es langgeht und ob es vorangeht und wie, das bestimmt am Ende sie, die Leithündin, ganz vorne im Gespann aus 14 Tieren. „Ich delegiere die Führungsaufgabe an die Leithunde. Wenn das nicht klappt, wird es gefährlich“, sagt Hendrik Stachnau, der „Musher“, der hinten auf dem Schlitten steht und versucht, seine Hunde durch die verschneite Wildnis zu treiben. „Die Hunde prüfen mich ständig, ob ich sie führen kann. Das Vertrauen muss ich mir erarbeiten.“
Stachnau, 36 Jahre alt, Typ gesunder Naturbursche mit Roger-Federer-Frisur aus dem Jahr 2000, ist Hamburger. Er ist in Othmarschen aufgewachsen und zur Schule gegangen. Er hat seine Basis in der Hansestadt – wenn er nicht in der schwedischen Natur bei seinen Hunden ist. Denn dort gibt es noch verlässlich Schnee, ein halbes Jahr lang. Demnächst geht die Saison wieder los.
"Huskys sind wie Formel-1-Autos, meine Hunde sind wie Traktoren"
Rund 60 Tiere pflegt, betreut, züchtet und trainiert er. Allesamt die „alten“ Schlittenhunderassen Alaskan Malamute und Grönlandhund. „Das sind die rein-rassigen, originalen Hunde, wie sie die Inuit zur Arbeit gezüchtet hatten“, sagt Stachnau. Inzwischen dominieren die Schlittenhunderennen jedoch die Huskys, die in der Zucht immer weiter verfeinert werden. „Die sind wie Formel-1-Autos, meine Hunde sind wie Traktoren. Sie sind widerstandsfähige Überlebenskünstler. Da gibt es kein Kadavergehorsam gegenüber dem Menschen.“
Also muss er überzeugen – und das scheint ganz gut zu gelingen. Die Liste der Erfolge bei großen Schlittenhunderennen ist beachtlich. 2018 und im März 2020 siegte er bei der „Polardistans“-Weltmeisterschaft über 300 Kilometer nonstop für acht reinrassige Hunde in Schweden. 1999 wurde er erstmals deutscher Meister, zahlreiche Spitzenplatzierungen folgten seitdem. 2019 nahm er als Erster mit einem 14 Tiere großen „Team aus Urhunden“ am Yukon Quest teil, dem härtesten (und bekanntesten) Schlittenhunderennen über 1600 Kilometer von Whitehorse in Yukon nach Fairbanks in Alaska.
„Da habe ich zwei Stunden am Tag geschlafen, zwölf Tage waren wir unterwegs“, erzählt er. An neun Kontrollpunkten wird Essen und Fressen ausgeteilt, einmal gibt es für alle eine 36-stündige Zwangspause auf halber Strecke. Aber ansonsten sind die Teilnehmer auf sich allein gestellt. Bei Wind und Wetter. „Ich friere natürlich wie jeder Mensch“, erzählt er, „wichtig ist, dass man die Anzeichen rechtzeitig erkennt und sich schützt. Wenn die Kälte in dir drin ist, wird es schwer.“
Stachnau bringt seine Geschichten und Fotos in einem Buch heraus
Und wenn dann so ein eisiger Schneetornado kommt mit irren Windgeschwindigkeiten bis 140 km/h, kommt der „Überlebenssack“ der norwegischen Armee zum Einsatz. Vorher aber raus aus den nassen Klamotten, das braucht auch Überwindung, ziemlich viel sogar. Und dann muss man warten, bis die Unbill vorbei ist. Und dabei „nicht einschlafen, auf keinen Fall“. Hat er alles erlebt. „Das Finnmarkslöpet über 500 Kilometer habe ich, haben wir, erst im vierten Versuch bewältigt.“ Die Male davor musste er sich eingestehen: Abbruch, geht nicht mehr. „Hilfe bei diesen Rennen kommt auch erst, wenn die Rennleitung 24 Stunden nichts von einem Team gehört hat.“
Seine Geschichten und spektakulären Fotos wollte Stachnau eigentlich im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse in dem Werk „Voice of Nature – ich und ich“ präsentieren. Was bekanntlich nicht möglich war. Erschienen ist das 212 Seiten dicke Werk inzwischen dennoch. Auch der Film über den Yukon Quest 2019 hatte im Frühjahr weniger Kinozeit als erhofft. Aus den bekannten (Pandemie)-Gründen, denen auch jemand ausgesetzt ist, der ansonsten die Hälfte seines Lebens abseits der Zivilisation in der Natur Nord Dalarnas in Mittelschweden verbringt. „Die Hunde können ja nicht in Hamburg sein.“
In der Natur von Schweden bietet Stachnau Seminare an
Als Zwölfjähriger hatte er die Idee, dass er Schlittenhunde führen möchte. Es gibt Bilder, auf denen er mit einem Hund auf einem Rollschlitten durch den Jenischpark fährt. Mit 15 war er erstmals deutscher Meister, mit 18 bekam er sechs Malamutes von seinem Vater übereignet, der sich als Buchautor mit den Tieren beschäftigt hatte. „Mit Anfang 20 bin ich dann mit Kumpels nach Schweden, in Deutschland war ja kein Schnee. Ich habe dort eine kleine Blockhütte gebaut, fünf einsame Winter verbracht und Selbsterfahrungen gesammelt.“ Parallel lief das BWL-Studium in Hamburg. „Emotionale Führung und der Einfluss von Emotionen bei Entscheidungen“ lautet der Titel der Diplomarbeit.
Und darum geht es heute immer noch. Bei den Seminaren, die er in Schweden anbietet, wo Menschen in der Natur abschalten können, zu sich selber finden oder als Team zusammenarbeiten lernen. Er vermittelt auch in Vorträgen das Verarbeiten von Extremsituationen, aber auch Zielsetzungen und Strategien bei Entscheidungsfindungen. Der Markt dafür ist da, Menschen streben in die Natur – und sei es nur, um selbst einmal als Tourist mit einem Hundeschlitten zu fahren. „Das ist meine Basis, damit fing schließlich alles an“, sagt Stachnau.
Er kennt alle seine Tiere mit Namen und kann sie auseinanderhalten. Vor Rennen wählt er die besten für das Team aus. „Die verstehen sich keinesfalls alle untereinander“, sagt Stachnau, „ohne mich wäre wahrscheinlich Krieg.“
Nur mit der Stimme führt er die Meute, mit Leine kann das nicht gehen. Es ist eine Sache von gegenseitigem Vertrauen. Denn das Leittier bestimmt den Kurs mit seiner Nase, es folgt der Fährte, die andere Hunde hinterlassen haben. „Ich überprüfe nur die Wegmarkierungen, die sieht man in der Nacht oder bei Sturm aber nicht.“ Aber die sechsjährige Ivik und auch der achtjährige Umiak wissen eben Bescheid – „es ist echtes Teamwork“.