Köln. Verstraete hat Bedenken an den Comeback-Plänen der Bundesliga. Seine Frau zählt zur Risikogruppe. Köln reagiert fragwürdig.
Diese Aussagen werden noch tagelang für Wirbel sorgen und die Debatte um die Risiken bei den Comeback-Plänen der Bundesliga befeuern. Köln-Profi Birger Verstraete (26) hat die Coronavirus-Maßnahmen seines Vereins scharf kritisiert und eine schnelle Wiederaufnahme der Saison als "naiv" bezeichnet. Er ist der erste Spieler, der öffentlich Bedenken und Ängste geäußert hat.
Kontakt zu Infiziertem: Köln-Profi will in Quarantäne, darf aber nicht
Hintergrund sind drei positiv auf Covid-19 getestete Personen beim 1. FC Köln, darunter zwei Spieler und ein Betreuer. Obwohl Mittelfeldspieler Verstraete nach eigenen Angaben mit zwei der drei am Coronavirus Erkrankten Kontakt hatte, soll er weiterhin am Training teilnehmen und sich nicht in Quarantäne begeben.
"Ich fand es, ehrlich gesagt, ein bisschen bizarr", kritisiert der Belgier diese Entscheidung des Clubs gegenüber dem TV-Sender VTM. "Der Physiotherapeut ist der Mann, der mich und andere Spieler wochenlang behandelt hat. Und mit einem der beiden fraglichen Spieler habe ich am Donnerstag im Fitnessstudio ein Duo gebildet." Es sei daher "nicht ganz richtig", dass kein anderer aus dem Team der Kölner mit den Betroffenen in Kontakt gekommen sei, so wie es der Bundesligist behauptet.
Verstraetes Freundin zählt zur Risikogruppe
Warum sich Verstraete dazu entschlossen hat, diese überraschend deutliche Kritik an seinem Arbeitgeber in der Öffentlichkeit zu äußern, liegt auf der Hand. Er will Gehör in der Gesellschaft finden, denn seine Freundin zählt wegen einer Herz-Vorerkrankung zur Risikogruppe. "Mir liegt die Gesundheit meiner Familie am Herzen. Es gibt Wichtigeres als Fußball", sagt er. "Ich will, dass erst jeder wieder gesund ist und dann erst wieder Fußball spielen"
Dem 1. FC Köln gefielen diese Aussagen naturgemäß überhaupt nicht. Zunächst wurde Verstraete am Sonntag zum Rapport bestellt, im Anschluss verschickte die Medienabteilung eine höchst zweifelhafte Presseerklärung. "Nachdem die drei positiven Fälle in unserem Kreis bekannt wurden, habe ich einem Interview über meine persönlichen Sorgen vor einer Ansteckung meiner Freundin berichtet. Dabei habe ich mich an einigen Stellen falsch ausgedrückt, sodass in der Übersetzung ein missverständlicher Eindruck entstanden ist, der mir leidtut", wurde Verstraete in dem Kommuniqué zitiert.
Am Ende soll also – wie so häufig bei kritischen Statements im Fußball – die Übersetzung Schuld haben. Eine zumindest zweifelhafte Theorie, an dessen Verbreitung vor allem eine Partei Interesse hat: der 1. FC Köln, stellvertretend für die Comeback-Pläne der Bundesliga.
Köln bezieht Quarantäne-Trainingslager
Am Abend zogen die Rheinländer dann aber doch ernsthafte Konsequenzen aus dem Vorfall und kündigten an, ein „quarantäne-ähnliches Trainingslager“ zu beziehen. „Der 1. FC Köln wird einen möglichen Einstieg ins Mannschaftstraining freiwillig unter den Bedingungen eines Trainingslagers absolvieren. Dies gilt, sobald die Politik eine positive Entscheidung für eine Fortsetzung des Spielbetriebs fällt – frühestens also im Laufe der kommenden Woche“, teilte der Club mit. „Diese Form einer freiwilligen Quarantäne erweitert das bisherige Infektionsschutz- und Hygienekonzept und soll das Risiko einer Ansteckung mit dem neuartigen Corona-Virus weiter verringern.“
Laut der "Bild" soll der Club neben diversen Hotels auch die Räumlichkeiten der Sportschule Hennef südöstlich von Siegburg geblockt haben, um sich dort vor dem ersten Spiel für acht Tage zu isolieren. Die FC-Spieler seien schon am vergangenen Donnerstag von Sportchef Horst Heldt und Geschäftsführer Alexander Wehrle über die kommenden Wochen und die Pläne über ein Trainingslager informiert worden.
DFB-Arzt: "System gerät ins Wanken"
Doch der bereits entstandene Aufruhr konnte Köln damit nicht mehr aufhalten. Denn nach den drei Coronafällen beim "Effzeh" sind neue Zweifel an den Geisterspiel-Plänen der Bundesliga aufgekommen. Debatten gibt es vor allem über die Quarantäne-Regel für Fußballprofis.
Tim Meyer, Leiter der Task Force der Deutschen Fußball Liga (DFL), räumte am Wochenende eine Rest-Anfälligkeit des Hygiene-Konzepts der DFL ein. "Wenn es zu viele positive Fälle gibt, kann dieses System sicherlich ins Wanken geraten. Das ist gar keine Frage", sagte der Nationalmannschaftsarzt bei "Sport1". Deswegen sei "extreme Disziplin" aller Beteiligten auch abseits des Spielfeldes wichtig.
Da fast 2000 Personen in der Bundesliga getestet worden seien, habe man "einige positive Fälle erwartet", sagte Meyer: "Ich möchte nicht ausschließen, dass es weitere gibt." Es sei natürlich auch möglich, dass zunächst negativ getestete Spieler "nachträglich positiv werden. Das ist auch einer der Gründe, warum wir wiederholt testen." Beim geplanten Einstieg ins Mannschaftstraining dürfen nur zweimal negativ getestete Spieler teilnehmen. Es gebe, so Meyer, "kein einhundertprozentiges System, das war auch kein realistisches Ziel".
- Die Fußball-Bundesliga anpfeifen oder abpfeifen?
- Wie der HSV seine Profis auf das Coronavirus testet
- Erster Stresstest für Corona-Konzept der DFL
Corona: DFB-Arzt zieht positive Rückschlüsse
Beim 1. FC Köln waren zwei Spieler und ein Betreuer positiv auf das Coronavirus getestet worden. Das Trio war in Abstimmung mit dem zuständigen Gesundheitsamt in Quarantäne geschickt worden. Der Rest des Teams setzt das Training wie bisher in Kleingruppen fort. Dies ist auch im medizinischen Konzept der DFL für den Neustart der Bundesliga so vorgesehen. "Die sogenannte häusliche Absonderung ist nur für Personen der Kategorie 1 vorgesehen. Nicht wir, sondern das Gesundheitsamt bewertet, auf wen dies zutrifft", sagte Kölns Mannschaftsarzt Paul Klein.
Die Bundesligisten hatten in der Hoffnung, an diesem Mittwoch nach der Konferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten die Genehmigung für den Liga-Start noch im Mai zu bekommen, am Donnerstag mit Corona-Tests aller Spieler und Betreuer begonnen. "Wir sehen jetzt im Alltag, dass unser Konzept frühzeitig Risiken erkennt und reduziert", betonte Meyer.
Seehofer unterstützt Bundesliga-Pläne
Aus der Politik nehmen die positiven Signale für eine Fortführung des Spielsbetriebs derweil zu. Nun zeigt sich auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) offen für einen Wiederbeginn im Mai. Er fordert aber zugleich strenge Auflagen. "Ich finde den Zeitplan der DFL plausibel und unterstütze einen Neustart im Mai", sagte Seehofer, der zugleich Sportminister ist, der "Bild am Sonntag": "Für mich ist aber auch klar, dass es keine Privilegien für die Fußball-Bundesliga geben kann."
Grundbedingung seien unter anderem strikte Auflagen im Falle eines Positiv-Tests: "Wenn es einen Corona-Fall in einer Mannschaft oder bei der Mannschaftsbetreuung gibt, dann müssen der gesamte Club und gegebenenfalls auch die Mannschaft, gegen die man zuletzt gespielt hat, zwei Wochen lang in Quarantäne." Das Interview wurde nach Auskunft der Zeitung vor dem Bekanntwerden der Fälle in Köln geführt. Seehofers Einschätzung habe sich auch nach deren Bekanntwerden nicht geändert, teilte ein Ministeriumssprecher am Sonntag auf Nachfrage mit.
Für den Wiederaufnahme des Spielbetriebs spricht unter anderem, dass Köln bisher ein Einzelfall zu sein scheint. Denn zahlreiche Bundesligisten meldeten am Wochenende negative Testergebnisse. Als erster Club kündigte der Tabellendritte RB Leipzig für Dienstag die Rückkehr ins Mannschaftstraining an, sofern zwei vorherige Corona-Tests bei allen Spielern negativ ausfallen und die Gesundheitsbehörde zustimmt. Der VfL Wolfsburg hat dafür längst das Okay der Stadt und des Gesundheitsamts, aus Solidaritätsgründen haben die Niedersachsen aber bisher auf Teamtraining verzichtet.
Mediziner freut sich auf Erkenntnisse dank Bundesliga
Und dann wäre da noch eine ganz andere Theorie, die der Liga in die Karten spielt: Der Sportmediziner Fritz Sörgel spricht sich nämlich aus wissenschaftlichen Gründen für eine Fortsetzung der Bundesliga-Saison aus. Der Pharmakologe sieht die Chance, eine bislang so nicht mögliche Studie über das Coronavirus anfertigen zu können. "Macht man sich frei davon, dass da ein sportlicher Wettkampf stattfindet, erfüllen diese Geisterspiele im Ansatz die Kriterien für eine wissenschaftliche Studie", schrieb Sörgel in einem Beitrag für den "Tagesspiegel".
Sollen die Fußballspieler also zu einer Art Versuchskaninchen für die Gesellschaft werden? "Ein gewisses Risiko besteht immer", die sportpolitische Sprecherin der SPD-Bürgerschaftsfraktion Juliane Timmermann im Abendblatt-Podcast HSV – wir reden weiter. Mit Begriffen wie Laborratten kann die 44-Jährige allerdings nur wenig anfangen.
Nach dem Plan der DFL würden etwa 1500 relativ junge Menschen in einem räumlich festgelegten Umfeld regelmäßig aufeinandertreffen. "Die Frage wäre nun, ob es an diesem Arbeitsplatz zu Infektionen mit dem Sars-CoV-2-Virus kommt", schrieb der 69-Jährige. Daraus könnten Rückschlüsse auf andere Arbeitsumfelder gezogen werden.