Hamburg. Das Verbot des organisierten Sports trifft vor allem Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen hart.
Stefan Schlegel hat viel telefoniert in letzter Zeit. Er konnte sich ja nicht sicher sein, ob wirklich jeder mitbekommen hat, dass es keinen Sport mehr gibt. Dass die oft geliebte Stunde ausfällt, einfach so. „Manche brauchen eine zusätzliche Information, die klingeln wir deshalb an“, sagt Schlegel, „wir müssen vor allem bei den geistig Behinderten sicher sein, dass keiner vor einer geschlossenen Tür steht und dann eine Welt für ihn zusammenbricht.“
Der 59 Jahre alte Sportlehrer und Sonderpädagoge leitet seit 31 Jahren die Inklusionssportabteilung im Eidelstedter SV. Rund 400 Mitglieder mit unterschiedlichen Handicaps nutzen 31 Angebote im Verein. Normalerweise. „Wir versuchen, mit ihnen so gut wie möglich in Kontakt zu bleiben, viele Trainer sind wichtige Bezugspersonen“, sagt Schlegel. „Ich gehe nicht davon aus, dass alles in zwei Wochen vorbei ist.“
Behinderte sind besonders auf Gleichgesinnte angewiesen
Das Verbot des organisierten Sports durch den Hamburger Senat trifft Freizeit-, Leistungs- und Profisportler hart. Es trifft aber viele Sportler mit körperlichen und geistigen Einschränkungen ungleich härter, emotional als auch körperlich. „Es ist für viele Rollstuhlfahrer schwierig, sich im städtischen Umfeld voll auszupowern, das können sie aber beim Rollstuhlrugby“, sagt Markus Lindenberg, der Vorsitzende des Vereins Alstersport, der seinen Betrieb bis zum 30. April eingestellt hat. „Was wäre wohl los, wenn die in vollem Tempo durch die Stadt heizen würden?“
Auch emotional ist der Ausfall der regelmäßigen Sportstunde für den einen oder anderen meist schwer zu verkraften. „Man kann sagen, dass für die Behinderten der Sport sehr wichtig ist, schon weil sie ihn mit Gleichgesinnten ausüben können“, sagt Schlegel. Bei Alstersport gibt es einige schwer körperlich Behinderte im Elektrorollstuhl, deren Teilhabemöglichkeiten am „normalen“ Leben ohnehin stark eingeschränkt sind.
Regelmäßige Sportstunde ist für viele ein Highlight
Für diese Menschen ist die regelmäßige Sportstunde ein Highlight. „Da sind Leute dabei, die einmal in der Woche vom Fahrdienst zum E-Ball-Training gebracht werden“, berichtet Lindenberg, „denen jetzt zu sagen, in den nächsten sechs Wochen findet nichts mehr statt, ist sehr schwierig.“
Coronavirus: So können Sie sich vor Ansteckung schützen
- Niesen oder husten Sie am besten in ein Einwegtaschentuch, das Sie danach wegwerfen. Ist keins griffbereit, halten Sie die Armbeuge vor Mund und Nase. Danach: Händewaschen
- Regelmäßig und gründlich die Hände mit Seife waschen
- Das Gesicht nicht mit den Händen berühren, weil die Erreger des Coronavirus über die Schleimhäute von Mund, Nase oder Augen in den Körper eindringen und eine Infektion auslösen können
- Ein bis zwei Meter Abstand zu Menschen halten, die Infektionssymptome zeigen
- Schutzmasken und Desinfektionsmittel sind überflüssig – sie können sogar umgekehrt zu Nachlässigkeit in wichtigeren Bereichen führen
Alstersport hatte sein Angebot teilweise schon vor der Senatsanordnung nach Empfehlung des Hamburger Reha- und Behindertensportverbandes reduziert, um kein Risiko einzugehen. Menschen mit Behinderung gehören oft zu der besonders gefährdeten Gruppe. Viele E-Rollstuhlfahrer müssen beatmet werden, einige Rollstuhlrugbyspieler haben einen so hohen Querschnitt, dass das Zwerchfell betroffen und die Atmung eingeschränkt ist. Da wäre eine Infektion der Lunge lebensbedrohlich.
Sport ist unverzichtbarer Teil der Nachsorge bei Verunfallten
Vor Problemen steht auch das BG Klinikum Hamburg mit seiner umfangreichen Rehaabteilung. Sport ist ein unverzichtbarer Teil der Nachsorge bei Verunfallten. Im Klinikstandort Boberg gibt es eine große Sporthalle und ein Schwimmbecken. Auch diese Einrichtungen können nicht mehr genutzt werden wie zuvor. Rehasportler, die von außen kommen, sind dort nicht mehr zugelassen, nur noch stationäre Patienten.
UKE-Virologin zur Corona-Krise:
„Wir haben für viele Heimübungen erarbeitet und sie mit Trainingsutensilien ausgestattet“, erzählt Helge Riepenhof, der Chefarzt für Rehabilitationsmedizin, „sie haben großes Verständnis für diese Maßnahmen.“ Insgesamt geht es um rund 75 Leute, die unterschiedliche Risikofaktoren wie überstandene Tumorleiden, Lungenkrankheiten oder andere Formen einer Immunschwäche haben. Etwa 200 ambulante Patienten machen im Rehazentrum City mit ihrem Trainingsprogramm noch weiter.
Regelmäßiges Training ist für Körperbehinderte sehr wichtig
„Wir machen den Sport im Rehazentrum, um Funktionen zu gewinnen, die durch den Unfall verloren gegangen sind“, erklärt Riepenhof. „Prothesenträger und Rollstuhlfahrer brauchen beispielsweise viel Rumpfkraft.“ Und jeder weiß, dass die Muskulatur abnimmt, wenn sie nicht regelmäßig gefordert wird. Die Grenze liegt zwischen zehn Tagen und drei Wochen, je nach Konstitution des Einzelnen.
Einige, bei denen die Ärzte die Befürchtung haben, dass die eingeschränkten Sportmöglichkeiten nicht ausreichen, haben sie stationär in die Klinik geholt: „Jene, bei denen wir befürchten müssen, dass sie durch das fehlende Training wichtige Funktionen verlieren, wie zum Beispiel nicht mehr laufen zu können, haben wir zu Patienten gemacht“, sagt Riepenhof. Dass regelmäßiges Training gerade für Körperbehinderte wichtig ist, weiß auch Schlegel: „Sie brauchen das eher für die Gesunderhaltung als Otto Normalverbraucher. Zumal in diesen Gruppen immer eine Form medizinischer Überwachung im Hintergrund da ist und klare Ansagen an die Übungsleiter, wie sehr sich einer belasten darf. Das alles fällt jetzt aus, es ist eine schwierige Situation.“
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Para-Schwimmerin Lara Kirschbaum (19) ist mit vier Vereinskameraden von Alstersport für die deutschen Meisterschaften im Juni in Berlin qualifiziert. Trainieren kann sie wegen der Schließung von Schwimmhallen nun nicht mehr, ein Trainingslager wurde abgesagt „Als ich ihr das gesagt habe, ist sie in Tränen ausgebrochen, die ganze Mühe war umsonst“, berichtet der Vereinsvorsitzende Lindenberg, „aber sie findet die getroffenen Maßnahmen uneingeschränkt richtig und trägt sie mit.“ Auch wenn einige weit härter getroffen werden als andere.