Hamburg. 2024 in Paris soll das Leichtgewichtsrudern durch Küstenrudern ersetzt werden. Auch 2028 wird es Änderungen geben.
Stillstand ist Rückschritt, das gilt auch für den Leistungssport. Insbesondere, wenn man im olympischen Programm bleiben möchte, ist Bewegung gefragt, um mit den innovativen Ideen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) Schritt zu halten. Das, was dem Rudersport bevorstehen dürfte in den kommenden beiden Olympiazyklen, ist indes weniger Bewegung als vielmehr ein harter Einschnitt in zwei Akten.
Der erste Akt ist 2024 in Paris geplant. In Frankreichs Hauptstadt soll das Leichtgewichtsrudern – erst seit 1996 im Olympiaprogramm und in diesem Jahr in Japans Hauptstadt Tokio (24. Juli bis 9. August) auf die Doppelzweier der Frauen und Männer abgespeckt – komplett gestrichen werden. Als Ersatz sind Wettbewerbe im Küstenrudern geplant, das international unter dem Namen Coastal Rowing firmiert und seit 2006 auf WM-Niveau ausgefahren wird.
Der zweite Akt, der 2028 in Kaliforniens Metropole Los Angeles vollzogen werden soll, griffe noch deutlich tiefer in den Sport ein, weil er alle Klassen und Disziplinen beträfe. Weil über die Regattastrecke von 1932 in Long Beach eine Brücke gebaut wurde, deren Stützpfeiler in den Bahnen eins und sechs stehen, droht die Renndistanz von 2000 auf 1500 Meter verkürzt zu werden.
Eine Verlegung der Wettbewerbe auf den Lake Casitas, wo 1984 gerudert wurde, als Los Angeles zum zweiten Mal Gastgeber war, wurde aus Kosten- und Nachhaltigkeitsgründen verworfen; ebenso wie die Idee, statt sechs nur vier Bahnen zu nutzen, weil dies einen noch gewaltigeren Einfluss auf die Rennausgänge habe als die Streckenverkürzung um 500 Meter.
Befürchtung, dass ein Olympia-Aus das Leichtgewichtsrudern kaputtmacht
Lars Wichert ist der Athletenvertreter im Präsidium des Deutschen Ruderverbands (DRV). Der 33 Jahre alte Hamburger, der für den RC Allemannia startet, war als Leichtgewichtler – der maximal 72,5 Kilogramm auf die Waage bringen darf – 2012 in London und 2016 in Rio de Janeiro bei Olympia am Start und hat sich nach seiner Karriere als Bahnruderer 2018 dem Küstenrudern verschrieben, was ihm bereits zwei Vizeweltmeistertitel im Einer bescherte. Er kann also optimal beurteilen, was die Einschnitte bewirken würden.
„Grundsätzlich stehen wir Ideen, die den Sport voranbringen, positiv gegenüber“, sagt er, „aber die Befürchtung der Athleten ist, dass ein Olympia-Aus das Leichtgewichtsrudern kaputtmachen würde.“ Man habe das erlebt, als die leichten Riemer aus dem Programm gestrichen wurden. „Das hat eine gesamte Disziplingruppe komplett ausgelöscht. Ohne die Perspektive Olympia ist der Trainingsaufwand für viele nicht mehr zu rechtfertigen“, sagt Wichert.
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Ganz so pessimistisch sieht Mario Woldt die Lage nicht. „Wir werden national weiterhin Angebote für die Leichtgewichte machen, und auch bei der WM wird es im Programm bleiben“, sagt der Sportdirektor des DRV. Dennoch teile man die Befürchtungen der Athleten, dass die Quelle an Nachwuchs versiegen könnte. „Wir würden mit der Streichung aus dem Olympiaprogramm die Förderung durch den Bund verlieren. Die Frage ist dann, ob die Vereine das auffangen können oder wollen“, sagt er.
"Mit Rudern hat das nicht mehr viel zu tun"
Wichert als Küstenruderer könnte zwar zu den Profiteuren der Umstellung zählen, sicher ist das aber nicht. Seine WM-Silbermedaillen gewann er in der Ausdauervariante, in der über 6000 Meter im Freiwasser den Naturgewalten getrotzt werden und ein Kurs gelesen und gehalten werden muss. Für das olympische Programm aber ist eher die Sprintvariante vorgesehen, bei der zwei Athleten am Strand loslaufen, ins Boot springen, 500 Meter Rundkurs fahren, dann wieder zurück über den Strand laufen und einen Buzzer drücken, um zu gewinnen.
„Das IOC erhofft sich fernsehtaugliche Bilder und ein für die Zuschauer komplett einsehbares Rennen. Aber mit Rudern hat das nicht mehr viel zu tun“, sagt er. Dass bei den Jugendspielen 2022 in Dakar (Senegal) Rudern einzig mit dieser Variante ausgetragen wird, wertet er als eindeutigen Fingerzeig, schließlich gelten die Youth Olympics als Testküche für die Spiele der Erwachsenen.
„Die Stimmung unter den Athleten ist kritisch"
Das könnte für 2028 erneut wichtig werden. Die 1500-Meter-Distanz wird bis in die Altersklasse U 16 gerudert, danach erfolgt die Umstellung auf die 2000 Meter. „Wenn in Los Angeles wirklich auf 1500 Meter verkürzt wird, muss man sich überlegen, ob man alle Regatten im Zyklus 2025 bis 2028 verkürzt, denn die Renneinteilung ist eine ganz andere, wenn ein Viertel weniger Strecke zu absolvieren ist. D
a müssten sich Trainer und Sportwissenschaftler gehörige Gedanken machen“, sagt Wichert. Mario Woldt dagegen sagt, es sei auch eine Variante, nur die olympischen Rennen verkürzt zu fahren. „Der DRV und der Weltverband Fisa bekennen sich klar zur 2000-Meter-Distanz. Wenn anders entschieden wird, werden wir die nötigen Diskussionen führen, aber freiwillig werden wir das Thema nicht aufmachen.“
„Die Stimmung unter den Athleten ist kritisch“, fasst Lars Wichert die Gemengelage zusammen, „denn es betrifft alle. Und die meisten finden, dass Olympia seine Traditionen wahren sollte.“ Ende des Jahres sollen auf beiden Themenfeldern Entscheidungen getroffen werden, um ausreichend Vorlaufzeit für die notwendigen Umstellungen zu ermöglichen. Die Diskussionen darüber sind aber längst in Bewegung geraten.