Hamburg. Im Januar überraschte der 17 Jahre alte eSportler des HSV die Elite, nun geht es nach Paris. So kam es dazu.
Wahrscheinlich wird man sich diese Geschichte irgendwann mal erzählen – dann, wenn eSports als Disziplin längst olympisch ist und die virtuellen Duelle auch in Hamburg Stadien füllen. Weißt du noch, damals. So würde sie mit Sicherheit beginnen.
Weißt du noch, damals, als Umut Gültekin mit seinem Kumpel zum HSV fuhr, um als totale Nobodys teilzunehmen an einem eSports-Turnier, ein Billstedter Jung von 16 Jahren. Wie die beiden dann vor Ort gestandene Profis so dermaßen zersägten, dass sie kurz darauf einen Vertrag beim HSV bekamen. Und wie Gültekin dann nur wenige Monate später mit einem Weltmeistertitel im Gepäck von Atlanta zurück nach Hamburg kam. Es ist, das muss man bei aller sportjournalistischen Neutralität zugeben, eine unglaubliche Geschichte.
„Uns Umut“ erobert mit eSports die Welt
Knappe fünf Wochen ist der Triumph von Atlanta nun her, HSV-intern wurde Gültekin daraufhin mit dem Spitznamen „Uns Umut“ geadelt. Der frisch gebackene Weltmeister sitzt in einem Café am Wandsbeker Markt und bestellt eine Cola, er kommt direkt aus der Schule. Im Gegensatz zu den meisten eSport-Profis betreibt Gültekin seine Leidenschaft, das virtuelle Sportsimulationsspiel „Fifa“, bislang nämlich als Hobby. Priorität hat für ihn in den kommenden anderthalb Jahren das Abitur.
Er wird es an der Max Schmeling Stadtteilschule ablegen, seine Lieblingsfächer kommen wie aus der Pistole geschossen: „Sport und PGW“, also Politik-Gesellschaft-Wirtschaft. Gültekin hat klare Vorstellungen von seiner Zukunft. Zwölf Jahre Schule reichen ihm völlig, danach möchte er ein duales Studium beginnen. Sein Halbjahreszeugnis? „Das geht auf jeden Fall klar“, sagt er. In der Woche, so lautet die Abmachung mit seinen Eltern, sitzt er nur im Ausnahmefall an der Konsole.
Am Wochenende dafür umso länger – solange die Schule nicht darunter leidet. Was leichter gesagt ist als getan. Denn „Fifa“ ist ein Spiel, das Zeit frisst. Allein die „Weekend League“, bei der die Teilnehmer 30 Onlinespiele hintereinander gegen völlig unbekannte Gegner absolvieren – eine enorme Konzentrationsleistung über Stunden und Tage hinweg.
HSV-Projektkoordinator fährt mit Schützling nach Paris
Wer dabei eine gute Bilanz vorweisen kann, erhöht seine Chancen auf die Teilnahme an einem der insgesamt sechs FUT Champions Cups – das begehrte Treffen der „Fifa“-Weltelite. Um sich dafür im ersten Schritt zu qualifizieren, braucht es mindestens 27 gewonnene Spiele in der „Weekend League“. Umut Gültekin schaffte Ende 2019 mal wieder: 30. An sechs Wochenenden hintereinander. Einfach so. 180:0 ist eine beeindruckende Bilanz. Umut Gültekin sagt: „Ja klar, das hat mich gefreut, aber irgendwann habe ich gesehen, dass der Rekord bei 280:0 liegt“, sagt er. Und zuckt mit den Schultern.
Es sind Momente wie diese, in denen Roberto Cepeda fast ungläubig den Kopf schüttelt. Er ist Projektkoordinator eSports beim HSV, an diesem Wochenende wird er seinen Schützling nach Paris begleiten, es ist Gültekins dritter Champions Cup, in seiner allerersten Saison. Nur wer 16 Jahre alt ist, darf bei den „Fifa“-Events antreten. „Wenn man Umut so reden hört, dann ist so ein 30:0 keine große Sache“, sagt er. „Aber wenn man dann sieht, wie gestandene eSports-Profis das Woche für Woche eben nicht hinbekommen, versteht man, wie groß diese Leistung tatsächlich ist.“
Champions Cup 2019: Unmut war ruhig wie Routinier
Bei seinem ersten Champions Cup im November 2019 in Bukarest war Gültekin noch in der Vorrunde ausgeschieden. Bei seinem Debüt auf der großen „Fifa“-Bühne zitterten ihm die Hände so stark, dass er kaum den Controller halten konnte. In Atlanta war davon nichts mehr zu merken. Selbst im Finale wirkte der 16-Jährige ruhig wie ein Routinier. Wieder schüttelt Cepeda den Kopf. „Umut wirkt immer total locker“, sagt er.
„Aber er kann sich dabei unglaublich fokussieren und ist sehr ehrgeizig.“ Gültekin nickt. Und erzählt vom Cooper-Test, den er neulich im Sport-Leistungskurs ablegen musste – ein Lauf von zwölf Minuten, bei dem es darum geht, die maximale Strecke hinter sich zu bringen. „Ich wollte unbedingt 15 Punkte haben, wusste aber nicht, wie schnell ich laufen muss. Ich wollte es einfach, vom Kopf her. Im Ziel konnte ich nicht mal mehr richtig atmen.“ Für die 15 Punkte hatte es natürlich gereicht.
Ein Gefühl wie damals bei Fifa
Es ist dieses Gefühl, das er von Fifa kennt. Vom Kopf her zu wollen, auch wenn an einem Wettkampftag mehrere Stunden zwischen den entscheidenden Spielen liegen.
Cepeda sagt, dass er die Eindrücke von Atlanta noch immer verarbeite. Gültekin sagt, dass er diesen Moment nie vergessen werde: Als er im Playstation-Finale in wirklich allerletzter Sekunde das Siegtor schoss. Wie er all die Anspannung des Turniers aus sich herausschrie. Für Paris ist sein Ziel, befreit aufzuspielen. „So, wie ich es in Atlanta gemacht habe.“ Vielleicht gibt es bald die nächste Geschichte, die man sich in Hamburg über „Uns Umut“ erzählt.