Hamburg. Die deutsche Meisterin im Schwergewicht gilt als eine der größten Hamburger Hoffnungen im Judo. Sie opfert alles für den Sport.
Sie hat sich daran gewöhnt, dass sie in Briefen als „Herr Lucht“ angeredet wird. Oder dass, wenn sie bei Ämtern oder Handwerksbetrieben anruft, Menschen am anderen Ende der Leitung glauben, dass sie für ihren Partner anrufe. Auch wenn das zweite e in ihrem französischen Vornamen auf die weibliche Form hindeutet, hat Renée Lucht Verständnis dafür, für einen Mann gehalten zu werden. „Das kann passieren, wenn man nur meinen Namen sieht und nicht mich selbst“, sagt sie.
Wichtig ist der 21 Jahre alten Judoka von der HT 16 vielmehr, dass sie sich in der Judoszene einen Namen gemacht hat, den niemand vergisst. Am vorvergangenen Wochenende konnte die Schwergewichtlerin ein weiteres Ausrufezeichen setzen, als sie bei den deutschen Einzelmeisterschaften in Stuttgart im Finale gegen Samira Bouizgarne (20/Mönchengladbach) ihren ersten nationalen Titel im Erwachsenenbereich gewann. „Ich war zwar schon in der U 18 und zweimal in der U 21 deutsche Meisterin, aber dieser Sieg war etwas Besonderes, zumal es auch die Revanche für meine Niederlage im Finale der U-23-EM 2019 war“, sagt Renée Lucht.
Ihr Ziel ist Olympia 2024
Hinter Jasmin Grabowski (28/Zweibrücken) ist die Hamburgerin, die als Vierjährige beim Bramfelder SV mit dem japanischen Kampfsport begann, aktuell die Nummer zwei in Deutschland im nach oben offenen Limit über 78 Kilogramm. Fernziel der Absolventin der Eliteschule des Sports am Alten Teichweg, die seit 2018 am Olympiastützpunkt Berlin trainiert, sind die Olympischen Spiele 2024 in Paris. Slavko Tekic, leitender Landestrainer in Hamburg und in dieser Position bis zu ihrem Wechsel in die Hauptstadt auch Luchts Coach, hat die Hoffnung auf einen Start in Tokio (24. Juli bis 9. August) indes noch nicht ganz aufgegeben.
„Ich bin überzeugt davon, dass Renée das Niveau dafür hat. Aber dafür muss viel richtig laufen“, sagt Tekic. Konkret müsste die Sportsoldatin, die im dritten Semester an der Berliner Humboldt-Universität Sonderpädagogik studiert, bei den anstehenden Grand-Slam-Turnieren in Paris an diesem Wochenende und in Düsseldorf (21. bis 23. Februar), die die beiden am besten besetzten Events vor Tokio darstellen, die Medaillenränge erreichen. Sie selbst stapelt, was das angeht, eher tief. „Mein Ziel ist es zunächst, in Paris die Finalrunde zu schaffen. Was dann möglich ist, muss man abwarten“, sagt sie.
Sie verausgabt sich gern bis zur Erschöpfung
Das Potenzial, es mittelfristig zu Olympia zu schaffen, schreiben Renée Lucht einige Experten zu. Sie selbst glaubt daran, seit sie 2018 auf den Bahamas Bronze bei der U-21-WM gewann. „Da habe ich gespürt, dass ich auf dem richtigen Weg bin“, sagt sie. 2019 gewann sie in Japan und Brasilien erste Kämpfe auf Grand-Slam-Niveau. Und weil sie es liebt, sich vor allem im Zirkeltraining auf der Matte bis zur totalen Erschöpfung zu verausgaben, hat sie in den vergangenen Monaten weitere Entwicklungsschritte hinter sich gebracht. Dennoch, sagt Tekic, sei sie eine Athletin, „die man immer wieder antreiben muss. Sie braucht manchmal den sprichwörtlichen Tritt in den Hintern.“
Sie sieht sich als gemütliche Kämpferin
Renée Lucht beschreibt sich selbst als „gemütliche Kämpferin, die gern abwartet, bis die Chance auf den Ippon kommt“. Ihre Besessenheit, den Sieg mit der höchsten Wertung erringen zu wollen, hat sie schon manche Erfolge gekostet, weil sie dadurch taktische Cleverness vernachlässigte. Aber die 1,72 Meter große Kämpferin, die zwischen 90 und 95 Kilogramm Kampfgewicht auf die Matte bringt, setzt gegen ihre Kontrahentinnen, die bisweilen doppelt so schwer sind, auf ihre Schnelligkeit und das athletische Stehvermögen.
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„Mir macht es Spaß, alles für den Sport zu opfern, weil ich die Gemeinschaft unter den Athleten liebe“, sagt sie auf die Frage nach ihrem Antrieb, in einem trainingsintensiven Nischensport wie Judo anzutreten. Sich einen Namen zu machen, den niemand mehr verwechselt, mag unrealistisch sein. Aber Renée Lucht will alles dafür geben, wenigstens den deutschen Sportfans ein Begriff zu werden.