Berlin/Hamburg. Die Reibeisenstimme ist zu Ulli Wegners Markenzeichen geworden. Im Abendblatt spricht er über das Boxen und das Leben.
Als er hängen bleibt an einem Foto, das ihn mit Markus Beyer zeigt, versagt sie kurz den Dienst. Diese Reibeisenstimme, die zu Ulli Wegners Markenzeichen geworden ist, weil viele ihn eher erkennen, wenn sie ihn hören, als wenn sie ihn sehen, stockt. „Es ist unfassbar, dass Markus nicht mehr da ist“, sagt Deutschlands bekanntester Boxtrainer, als er wieder sprechen kann.
Beyer, den Wegner zum Weltmeister im Supermittelgewicht gemacht hat, war im Dezember 2018 im Alter von 47 Jahren an Nierenkrebs verstorben. Er ist einer von vielen, die Ulli Wegner überlebt hat, obwohl er findet, dass er eher dran gewesen wäre zu gehen. „Umso dankbarer bin ich dafür, dass ich noch da bin und das tun darf, was ich liebe“, sagt er.
Ulli Wegner wird in Hamburg ausgezeichnet
Für das, was er liebt, wird der 77-Jährige an diesem Sonntag ausgezeichnet. Im Besenbinderhof in Hamburg erhält der gebürtige Stettiner, Chefcoach im Berliner Sauerland-Stall, der Sportler wie Beyer, Sven Ottke, Arthur Abraham oder Marco Huck zu Champions formte, im Rahmen der zweiten Auflage der German Boxing Awards den Herqul für sein Lebenswerk.
„Ulli ist eine lebende Legende. Er hat einen Zauber, der auch Menschen, die sich nicht fürs Boxen interessieren, dazu bewegt, diesen Sport zu mögen“, sagt Ramin Seyed (43), Veranstalter der Gala, zur Begründung.
Box-Dokumentation über Wegner geplant
Natürlich ist es unmöglich, das Leben eines Menschen, das seit 2012 zwischen Buchdeckeln nachzulesen ist und das seit mehr als drei Jahren zu einer Dokumentation verarbeitet wird, die 2020 in die Kinos kommen soll, in ein paar Zeitungszeilen zu pressen. Wegner ist eine Geschichtenmaschine; ein Mann, der Fragen nie direkt in kurzen Sätzen beantwortet, sondern stets sein eigenes Protokoll verfolgt. Zum Gespräch über die wichtigsten Aspekte seines Lebens hat er in den Keller seines Privathauses im Berliner Stadtteil Tegel geladen.
Dort lagern in Regalen und Schränken Massen von Erinnerungsstücken an ein Leben für den Leistungssport, das 1971 in die Trainerlaufbahn einbog, die den Menschen Wegner ebenso prägte wie Wegner selbst sein geliebtes Boxen. Dabei sind die Devotionalien nur ein kleiner Teil des wegnerschen Erinnerungsschatzes. Der Großteil war im vergangenen Jahr im Museum seiner Heimatstadt Gera ausgestellt und wandert aktuell nach Zinnowitz auf Usedom.
Ehefrau Margret, seit 33 Jahren die ordnende Hand in Wegners Leben, kümmert sich akribisch um die kleinen und großen Schmuckstücke, zu denen auch das Bundesverdienstkreuz am Bande gehört, das Wegner 2010 erhielt.
"Allein wäre ich ein Nichts"
Die Auszeichnung für sein Lebenswerk empfängt er am Sonntag mit großem Stolz. „Jede Ehrung ist ein Erfolgserlebnis. Ich wollte als Trainer etwas bewegen und habe mir das hart erarbeitet“, sagt er, „aber ich vergesse niemals, dass ich allein ein Nichts wäre.“ Man brauche ein funktionierendes Team, eine intakte Familie und starke Konkurrenz. „Ich hatte und habe alles. Und ich versuche nie zu vergessen, dass es nicht darum geht, selbst zu glänzen, sondern darum, die Träume deiner Sportler zu erfüllen.“
Seine eigenen Träume sind weniger geworden über die lange Zeit im Beruf. Aber es gibt sie natürlich noch. „Meine Topleute wie Kubrat Pulev oder Abass Baraou zu Weltmeistern zu machen. Aber auch, mit meiner Margret die Reisen zu machen, die sie sich wünscht“, sagt er. Wenn es nach ihm ginge, würde seine letzte Reise am Ring enden. „Boxen ist mein Leben. Ich würde gern arbeiten, bis ich irgendwann tot umfalle“, sagt er, „aber ich habe auch eine Verpflichtung meiner Frau gegenüber.“
Die Scheidung von seiner ersten Ehefrau hat Ulli Wegner als die größte Niederlage seines Lebens verbucht, größer als alle Pleiten im und am Ring. Schlimmer auch als die Strafanzeigen wegen Körperverletzung, die er erhielt, als er 2006 Arthur Abraham trotz Kieferbruchs nicht aus dem Kampf gegen Edison Miranda nahm. Einen Artikel aus dem Magazin „Focus“, in dem ein Mediziner seine Entscheidung rechtfertigt, trägt Ulli Wegner bis heute in seiner Geldbörse mit sich, als Mahnmal für wachsames Handeln.
Sein größtes Manko: nicht Englisch zu sprechen
Aber weil aus der Scheidung etwas Neues hervorging, würde er sie, wie all seine Fehler, nicht rückgängig machen wollen. Nur eins wirft er sich vor: „Dass ich nicht Englisch gelernt habe, ärgert mich richtig.“ Ärgern sollte das vor allem diejenigen, die kein Deutsch können und deshalb auf Wegners Erzählungen verzichten müssen.
Bevor sich die Haustür schließt und der Gast nach dreieinhalb Stunden in die Nacht entschwindet, sagt Ulli Wegner: „Die Vorstellung, Tschüs zu sagen und nicht mehr Boxtrainer zu sein, ist für mich unheimlich schwer zu ertragen.“ Ein Satz ist das, der wohl für alle gilt, die das Boxen lieben.