Hamburg. Die Hamburger Hockeyspielerin war lange nur auf sich fixiert. Die Ausbootung vor den Spielen in Rio half ihr, an sich zu arbeiten.

Da gibt es diesen Highlight-Feed bei Instagram. Die Hockeydamen des Clubs an der Alster haben ihn mit den besten Szenen der abgelaufenen Saison gefüttert, die mit dem Gewinn der deutschen Feldmeisterschaft endete. Immer dann, wenn Hannah Gablac sich schlecht fühlt, schaut sie sich die Bilder an. „Dann kommt garantiert die gute Laune zurück“, sagt die 24-Jährige, die mit 15 Saisontreffern erheblichen Anteil am Erfolg ihres Teams hatte.

In den kommenden zehn Tagen will die Torjägerin möglichst nicht auf die visuelle Zusatzmotivation angewiesen sein. Mit den deutschen Damen tritt sie zur Europameisterschaft im belgischen Antwerpen an. Das Auftaktspiel hält am Sonntag (9 Uhr) mit Weißrussland eine unangenehme erste Aufgabe bereit, ehe es am Montag (13.30 Uhr) gegen England und zwei Tage später (12.15 Uhr) gegen Irland darum geht, Platz eins in der Vorrundengruppe zu sichern und damit einem Halbfinalduell mit Titelverteidiger Niederlande aus dem Weg zu gehen.

Schlechte Laune hat deshalb keinen Platz in der Gedankenwelt der Hannah Gablac, die als zentrale Stürmerin vor allem den Auftrag hat, Tore zu schießen. In der in diesem Jahr neu eingeführten Pro League hatte das so gut geklappt, dass die gesamte Angriffsreihe bereits Ende Mai für die kontinentalen Titelkämpfe nominiert wurde. „Das hat mir sehr geholfen, weil es mir zusätzliche Sicherheit gegeben hat“, sagt Hannah Gablac, die ihren Platz in der Auswahl von Bundestrainer Xavier Reckinger keinesfalls als gottgegeben betrachtet. „Ich sehe mich in der Nationalmannschaft noch nicht als Führungsspielerin. Ich muss in jedem Spiel meine Leistung bestätigen. Aber ich glaube mittlerweile daran, dass ich international mithalten kann und mich nicht verstecken muss“, sagt sie.

Fünf verschiedene Pflegefamilien

Für eine, die seit 2013 für den A-Kader nominiert wird, ist das eine erstaunliche Aussage. Allerdings mit ernstem Hintergrund, denn die Ausbootung für die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro war ein Wendepunkt in der Karriere der Medizinstudentin, die im Herbst ihr Examen schreiben und anschließend ihr praktisches Jahr in der Chirurgie des Marienkrankenhauses und des Universitätsklinikums Eppendorf beginnen möchte. „Bis dahin hatte ich nur mich selbst gesehen und mein Ding gemacht. Danach wusste ich, dass das nicht länger funktionieren konnte“, sagt sie.

Man muss Hannah Gablacs Werdegang kennen, um zu verstehen, warum sie der damalige Bundestrainer Jamilon Mülders, eigentlich ein Förderer der Angreiferin, nicht mit nach Brasilien nahm. Als 14-Jährige war sie aus ihrer Heimat Rosenheim nach Mannheim gewechselt, um ihren Traum vom Leistungshockey zu verwirklichen. Sie lebte in fünf verschiedenen Pflegefamilien, die sie im Schnitt alle acht Monate wechselte. „Ich war sicherlich keine einfache Jugendliche, vieles ist schiefgegangen. Ich wusste damals überhaupt nicht, was ich mir damit aufbürden würde, ohne meine Familie zu sein. Ich habe das erst wertzuschätzen gewusst, als ich es nicht mehr hatte. Eine Rückkehr hätte ich aber als riesigen Rückschritt angesehen, deshalb habe ich es durchgezogen“, sagt sie. „Letztlich war das Gefühl allgegenwärtig, alles allein durchstehen zu müssen und niemanden zu haben, der mich auffängt. In manchen Phasen ging das gut, in manchen überhaupt nicht“, sagt sie.

„Es war ein Superjahr für mich“

Mülders erkannte das, er wurde für Gablac zum Ventil für alles. „Er hat mich bestärkt, mich so zu geben, wie ich bin. Das habe ich leider übertrieben und mich manchmal danebenbenommen. Und das hat mich Olympia gekostet“, sagt sie. Eine „tickende Zeitbombe“ sei sie gewesen, die der Mannschaft mehr Energie hätte rauben können, als sie ihr gegeben hätte. Die Ausbootung war zwar ein Schock, aber ein heilsamer. „Es war ein Prozess, das in den Griff zu bekommen“, sagt sie. Eine wichtige Rolle spielte darin der Wechsel von Rot-Weiß Köln nach Hamburg im Sommer 2018. „Bei Alster habe ich mich sofort wie zu Hause gefühlt. Obwohl ich erst ein Jahr hier bin, fühle ich ein Urvertrauen“, sagt sie. Die Entwurzelung, seit dem Abschied aus Rosenheim ein ständiger Begleiter in ihrer emotionalen Achterbahn, sei dem Gefühl gewichen, wichtig zu sein, akzeptiert zu werden und sich gleichzeitig auch in ein Team aus vielen Freigeistern einfügen zu müssen.

„Es war ein Superjahr für mich, und diese Positivität habe ich auch in die Nationalmannschaft mitgenommen“, sagt Hannah Gablac. Wenn sie an die Sommerspiele 2020 in Tokio denkt, ist da zwar immer noch die Angst, erneut aus dem Kader gestrichen zu werden. Aber wo sie früher „im Druck gefangen war, den ich mir selbst gemacht habe“, seien nun wieder die Leichtigkeit und Spielfreude zu spüren, die sie einst aus Rosenheim fortzogen in die weite Hockeywelt. Sie freut sich auf die EM, auf die Atmosphäre im hockeyverrückten Belgien und auf die Herausforderung, als Europameister das Tokio-Ticket lösen zu können. Und sollte es doch nicht so funktionieren wie erhofft, dann weiß Hannah Gablac immerhin, wie sie schnell ihre gute Laune wiederfindet.