Hamburg/New York. Ausgerechnet gegen “das kleine Dickerchen“ Andy Ruiz geht er k.o. Doch es gibt einen Rückkampf.
Um ihn für Siege im Boxring zu motivieren, versprach ihm sein Vater einst Schokolade als Belohnung. Heute isst Andy Ruiz jr. seinen obligatorischen Snickers-Riegel bereits vor seinen Kämpfen; vielleicht, weil er geahnt hat, dass irgendwann eine viel süßere Belohnung auf ihn warten würde. Am Sonntagmorgen deutscher Zeit war dieser Moment gekommen. Ruiz, 29 Jahre alt und bei 188 Zentimetern Körperlänge mit 121,5 Kilogramm Kampfgewicht ein nach eigener Aussage „kleiner, fetter Kerl“, ist neuer Dreifachweltmeister im Schwergewicht, der erste mit mexikanischen Wurzeln.
Im New Yorker Madison Square Garden überrumpelte der in Kalifornien lebende „Zerstörer“, so sein Kampfname, den Briten Anthony Joshua mit insgesamt vier Niederschlägen, die in Runde sieben zum Abbruch des Kampfes führten. Während die Sportwelt sich in einer Mischung aus Verwunderung und Verehrung vor dem „Dickerchen“ verneigte und gleichzeitig darüber rätselte, wie eine solche Sensation möglich war, feierte der neue Champion der Verbände WBA, WBO und IBF seinen Triumph fassungslos. „Davon habe ich immer geträumt. Ich danke Gott, dass er mir diesen Sieg geschenkt hat!“, sagte er.
Weltmeister Joshua boxte lethargisch
Er hätte eher dem lieben Joshua danken sollen, denn ohne die Lethargie des Titelverteidigers, der im April 2017 die Karriere Wladimir Klitschkos beendet hatte, hätte Ruiz die siebte Runde wohl kaum erlebt. Als ihn im dritten Durchgang ein krachender Haken erwischte und zu Boden brachte, schien der ungleiche Kampf seinen erwarteten Verlauf zu nehmen. Als Ersatzgegner für den des Dopings überführten US-Amerikaner Jarrell Miller war Ruiz erst Ende April nach seinem Sieg über den Hamburger Alexander Dimitrenko verpflichtet worden.
Und obwohl er von bis dato 33 Kämpfen nur einen, nach Mehrheitsentscheid gegen den Neuseeländer Joseph Parker in dessen Heimat, verloren hatte, galt er als krasser Außenseiter.
Nun ist das Profiboxen nicht gerade arm an Geschichten von Davids, die den Goliath vom Thron stießen. Mike Tysons K.-o.-Niederlage gegen James „Buster“ Douglas 1990 in Tokio; Lennox Lewis, der 2001 in Südafrika gegen Hasim Rahman k.o. ging; oder Wladimir Klitschko, den es 2003 in Hannover gegen Corrie Sanders erwischte. Sie alle eint mit Joshua der Leichtsinn, einen Außenseiter auf die zu leichte Schulter genommen zu haben. Der 29 Jahre alte Brite fabulierte in den Tagen vor dem Kampf bereits über die Titelvereinigung mit WBC-Champion Deontay Wilder (33/USA) und darüber, der erste Box-Milliardär werden zu wollen.
Diese Fehler machte der Weltmeister
Im Ring jedoch ließ er all das vermissen, was ihn zum König der Königsklasse hatte werden lassen. Wie schon gegen Klitschko ließ er einen angeschlagenen Gegner in den Kampf zurückkommen, weil er trotz seiner deutlichen Reichweitenvorteile mit dem wild um sich keilenden Ruiz mitschlug, anstatt ihn mit dem Jab auf Distanz zu halten. Beinarbeit, Deckung? Braucht ein Weltmeister doch nicht.
Verdienter Lohn für diese Arroganz: zwei Niederschläge in Runde drei, zwei weitere in Runde sieben, dann war es vorbei mit dem US-Debüt, das dem 198 Zentimeter großen und 112 Kilo schweren Modellathleten das Tor zum noch immer wichtigsten Markt hatte öffnen sollen.
„Es war nicht mein Abend, aber es ist nicht das Ende der Welt. Ich werde stärker zurückkommen“, sagte Joshua. Nun geht es für den Olympiasieger von 2012 zunächst darum, die Krone zurückzuerobern, ehe er von neuen Feldzügen träumen kann. Ein Rückkampf mit Ruiz ist vertraglich vereinbart und soll zum Jahresende in Großbritannien erfolgen, wie Promoter Eddie Hearn bestätigte.
Ein Duell mit Wilder, der zunächst Rückkämpfe gegen Luis Ortiz (USA) und Tyson Fury (England) plant, wäre sowieso noch kein Thema gewesen. Dass er sich nun jedoch ein halbes Jahr länger mit einem kleinen, fetten Kerl herumschlagen muss, hat sich Anthony Joshua zweifelsohne selbst zuzuschreiben.