Erfurt. Mit dem Länderspiel Deutschland gegen Spanien endet für den 67 Jahre alten Frauen-Bundestrainer heute seine Karriere.
Für irgendwelche Sentimentalitäten ist Horst Hrubesch nur schwer zu haben. Dann lehnt sich der mächtige Oberkörper auf einem eigentlich zu kleinen Stuhl zurück, die kräftigen Arme nehmen eine Schutzhaltung ein. Oder er macht einfach einen lockeren Spruch. Als kürzlich ein Gespräch über seinen bevorstehenden Abschied von der Frauen-Nationalmannschaft im ostwestfälischen Marienfeld mit der Mutmaßung begann, nun sei die Zielgerade erreicht, entgegnete der 67-Jährige: „Ein bisschen länger leben wollte ich eigentlich noch!“ Typisch Hrubesch. Vielleicht ein bisschen kauzig, aber immer authentisch.
Vermutlich hätte sich der am Jahresende endgültig in den Ruhestand verabschiedete Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) früher niemals vorstellen können, dass ein Frauen-Länderspiel Deutschland gegen Spanien in Erfurt (16 Uhr/ZDF) einmal sein letzter Trainer-Auftritt sein wird. Doch als Steffi Jones zu Jahresanfang ihre Überforderung nicht mehr verbergen konnte, war mal wieder die DFB-Allzweckwaffe gefragt. Motto: „Bevor da jemand anders eine komische Idee hat, mache ich es lieber selbst.“
Hrubesch geht mit seiner Frau auf Weltreise
Heute gesteht sich die Übergangslösung ein: „Wenn ich 60 wäre, hätte ich selber weitergemacht.“ Und die Frauen-WM 2019 in Frankreich in Angriff genommen. Er will im Juni beim Turnier vorbeischauen, aber vorher macht er mit seiner Frau eine lange geplante Weltreise. Sechs Wochen Neuseeland, Malaysia, Singapur, Hawaii und Las Vegas. Seiner Nachfolgerin Martina Voss-Tecklenburg, die Ende des Monats in der Frankfurter Verbandszentrale vorgestellt wird, übergibt er zwar nicht „ein bestelltes Feld“, wie er sagt, aber „einen Rahmen, auf den man aufbauen kann“. Das Einstellungsgespräch mit der 50-Jährigen habe er damals selbst geführt. „Drei Stunden lang, und wir waren uns schnell einig, dass es passt.“
Die künftige Bundestrainerin sei über Co-Trainerin und ehemalige HSV-Bundesligaspielerin Britta Carlson, die wie sein Assistent Thomas Nörenberg beim Team verbleibt, „über jeden Schritt informiert“ gewesen. Das Leistungspotenzial sei noch längst nicht ausgereizt, „da sind noch 25 Prozent Rest“. Hier kann die aktuelle Schweizer Nationaltrainerin ansetzen, die sich nach einem 0:3 in den WM-Play-offs in den Niederlanden mutmaßlich kaum noch im heutigen Rückspiel gegen den Europameister durchsetzen wird. Voss-Tecklenburg, versichert Hrubesch, könne das deutsche Team nahtlos übernehmen. „Die Mädels haben wieder Selbstvertrauen.“ Sieben größtenteils überzeugende Siege – zuletzt ein 5:2 gegen Italien – haben die DFB-Frauen aneinandergereiht, und dementsprechend hat der Verantwortliche wohl die richtigen Stellschrauben betätigt.
Spaßfaktor stellte sich fast von allein ein
Es sind dieselben Schlüsselreize, die Hrubesch vor zwei Jahren einer zusammengewürfelten Männer-Auswahl verordnete, die bei Olympia 2016 im Finale beinahe Gold gegen das mit Neymar verstärkte Brasilien gewonnen hätte. Er appellierte an die Eigenverantwortung, sprach klare Vorgaben aus. Ein Trainer, der einen Strafenkatalog benötigt, um seine Autorität zu untermauern, hat aus seiner Sicht schon verloren. Und es braucht erst recht keine Comicfiguren, um das Binnenklima zu fördern, von dem beide Seiten profitieren.
Die Hierarchie hat Hrubesch bewusst breit gemacht, dazu schnell erkannt, welches System, welche Philosophie am besten passt. Der Spaßfaktor stellte sich fast von alleine ein. Dass ein Fachmann an der Linie stand, der als Aktiver selbst alles erlebt hatte, hat die Akzeptanz vom ersten Tag an befördert. „Er hat das richtige Fingerspitzengefühl, das macht ihn aus“, sagt Svenja Huth, die unter seiner Anleitung zur Leistungsträgerin reifte und nicht umsonst im entscheidenden WM-Qualifikationsspiel gegen Island doppelt traf. „Die Balance aus Lockerheit und Konzentration stimmt.“
Erfahrung möchte er nicht missen
Hrubesch möchte die Erfahrung als Frauen-Bundestrainer nicht missen. Die Frauen-Bundesliga und -Nationalmannschaft hätten mehr Präsenz, mehr Zuschauer und mehr Wahrnehmung verdient. Vor allem, weil dieses Metier bodenständig geblieben sei. Vieles habe ihn an seine Anfangszeit als Fußballer in Essen oder später beim HSV erinnert. „Da ist Ehrlichkeit drin, ich brauchte nichts anzuschieben. Da ist noch ein Miteinander zu spüren.“