Hamburg. Niclas Hildebrand, neuer Sportdirektor für Beachvolleyball, über den Leistungsstand der Teams ein Jahr vor der WM in Hamburg.
Zwölf Wochen lang ist Niclas Hildebrand nach seinem Amtsantritt am 1. Februar durch Deutschland, auch ein bisschen durch die Welt gereist, hat mit Spielern, Trainern, Wissenschaftlern, Vermarktern und Funktionären gesprochen – und ist dabei zu ernüchternden Erkenntnissen gelangt.
„Angesichts eingeschränkter finanzieller Möglichkeiten haben wir ein leistungsfähiges Fördersystem, um Spieler und Spielerinnen in die Top 20 der Welt zu bringen. Alles darüber hinaus ist für uns im Augenblick nicht mehr planbar oder basiert auf privaten Initiativen“, sagt der neue Sportdirektor Beachvolleyball des Deutschen Volleyballverbandes (DVV), der vom Beachvolleyball-Bundesstützpunkt in Hamburg-Dulsberg aus sein Büro führt.
Medaillen sind nur bei den Frauen zu erwarten
Hildebrand (37) will ein Jahr vor den Weltmeisterschaften im Tennisstadion am Hamburger Rothenbaum (28. Juni bis 7. Juli 2019) dennoch nicht von den Verbandszielen abrücken. Eine WM-Medaille und ein Jahr später ebenfalls eine bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio lägen im Bereich des Machbaren. Edelmetall werde es aber wohl nur bei den Frauen geben können.
Während die Männer derzeit aussichtslos der Weltelite hinterherbaggern, die 2016-Olympiateilnehmer Markus Böckermann/Lars Flüggen (HSV) sind als bestes Nationalteam 28. der Weltrangliste, behaupten Chantal Laboureur/Julia Sude (Stuttgart/Friedrichshafen) weiter Rang zwei der internationalen Strandhierarchie.
Den Hamburger Weltmeisterinnen und Olympiasiegerinnen Laura Ludwig/Kira Walkenhorst wiederum traut Hildebrand trotz der Wettkampfpause in diesem Jahr 2019 ein erfolgreiches Comeback zu: „Laura und Kira bleiben, wenn sie gesund sind, unser Topteam für Tokio 2020. Die beiden sind 2017 Weltmeister geworden, obwohl sie vorher wegen diverser Verletzungen kaum zusammenspielen konnten. Das allein zeigt schon ihre außergewöhnliche Klasse.“
Momentan pausiert das HSV-Duo. Ludwig (32) ist im achten Monat schwanger, Walkenhorst (27) befindet sich nach Operationen an Hüfte und Schulter im Aufbautraining. Spätestens Ende Juni will sie mit Ersatzpartnerin Leonie Körtzinger (21), einem der größten deutschen Talente, zumindest auf die deutsche Tour zurückkehren. Walkenhorst wechselt dabei vom Block in die Abwehr. „Ich will damit meine Spielfähigkeit weiter verbessern“, sagt sie.
Was dem Leistungssport in Deutschland fehlt
Für Hildebrand, bis Mitte 2017 fast zehn Jahre lang Referatsleiter Leistungssport beim Hamburger Sportbund, steht der Beachvolleyball vor denselben Herausforderungen wie der gesamte deutsche Spitzensport. „Wir sind ein Fußball- und kein Leistungssportland“, sagt er.
„Uns fehlen Anreizsysteme, um Talente langfristig binden zu können, vor allem im schwierigen Übergang vom Junioren- zum Erwachsenenalter, wenn die Entscheidung ansteht: Beruf, Ausbildung, Studium oder Leistungssport.“ Gute Strukturen und Trainer seien das eine, sagt Hildebrand, irgendwann komme aber der Punkt, bei dem es in der Spitzenförderung ums Geld gehe. Und an dem fehle es hierzulande fast überall.
Die seit Jahren diskutierte Leistungssportreform scheint die Schwierigkeiten offenbar nicht lösen zu können. Das für Sport zuständige Bundesinnenministerium (BMI) will die Mittel zwar von 170 auf 200 Millionen Euro im Jahr aufstocken, der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) sieht jedoch einen Bedarf von 250 Millionen Euro und mehr. Das BMI argumentiert, es gebe immer mehr unterstützte Kaderathleten, aber immer weniger internationale Medaillen. Geld sei also nicht das dringendste Problem.
Dem widerspricht Hildebrand: „Brasiliens Beachvolleyballer zum Beispiel reisen zu Topturnieren mit einem Trainer, einem Scout und einem Physiotherapeuten – pro Team. Uns stehen dagegen für acht Paare insgesamt zwei Bundestrainer, ein Scout und ein Physiotherapeut zur Verfügung.“ Ludwig/Walkenhorst sind für den Sportdirektor deshalb das Musterbeispiel, wie es auch in Deutschland funktionieren kann.
Ludwig/Walkenhorst setzen auf eigenes Betreuerteam
Die beiden setzten bereits vor sechs Jahren, als sie noch keine der heutigen Erfolge feierten, unabhängig der Verbandsstrukturen auf ihr eigenes Betreuerteam, das Cheftrainer Jürgen Wagner (61/Moers), Deutschlands Trainer des Jahres 2017, orchestriert. Zu dem Stab gehören mit Katharina Hubert und Jochen Dirksmeier zwei Physiotherapeuten, mit Anett Szigeti eine Sportpsychologin und mit der jetzigen Bundestrainerin Helke Claasen ein weiterer Ball-Coach. Die Fellbacher Agentur Vitesse (Klaus Kärcher, Andreas Scheuerpflug) vermarktet zudem „Deutschlands Mannschaft der Jahre 2016 und 2017“.
Um die Erfolgreichen gezielter unterstützen zu können, werden die Mittel bis Tokio 2020 vom DVV neu verteilt. Fortan gibt es einen Olympiakader, der höhere Reisekosten- und andere Zuschüsse erhält. Ihm gehören nur Ludwig/Walkenhorst und Laboureur/Sude an. Die übrigen sechs Nationalteams bei Frauen und Männern stellen den Perspektivkader, der nun in weit geringerem Umfang gefördert wird.
Hamburg bleibt Bundesstützpunkt für Männer/Frauen. Der Volleyballverband will den Status mithilfe der Stadt und von Sportsenator Andy Grote bis 2024 fortschreiben. Ein entsprechender Antrag wurde an den DOSB gestellt. Die Nachwuchsschmieden in Berlin und Stuttgart sollen Talente für Hamburg liefern. Das Leistungszentrum am Alten Teichweg und der benachbarte Olympiastützpunkt (OSP) stoßen indes an die Grenzen ihrer Kapazitäten. Der für Ende 2020 angedachte Neu- oder Umbau des OSP könnte da Abhilfe schaffen.
Nach der WM 2019 hofft Hildebrand auf ein weiteres Sport-Highlight in der Stadt. Beim Continental Cup werden im Juni 2020 die letzten Startplätze für Olympia vergeben. „Hamburg wäre dafür doch ein großartiger Austragungsort“, meint der Sportdirektor.