Hamburg. Am Hamburger Rothenbaum gibt der Chef des deutschen Herrentennis Einblicke in seine neuen Aufgabenbereiche.
Boris Becker hat gute Laune, als er am Donnerstag um kurz vor 13 Uhr den Verbandssitz des Deutschen Tennis-Bundes (DTB) am Rothenbaum erreicht, und das verwundert. Eine Vollsperrung auf der Autobahn 7 hätte fast dafür gesorgt, dass der neue „Head of Men’s Tennis“ (also Kopf oder Chef des Herrentennis) sein für 12 Uhr geplantes Grundsatzreferat zur Nachwuchsförderung in die Tonne hätte stampfen können. Doch weil man auf Beckers Instagram-Auftritt live verfolgen konnte, wie sich der Stau auflöste und die Reise vom Jugendlehrgang in Hannover nach Hamburg weiterging, ist der berühmteste Leimener aller Zeiten doch noch pünktlich genug, um beim traditionellen DTB-Jahresausklang auf warme Erbensuppe noch wärmere Worte zu servieren.
Während zu früheren Zeiten, als aktiver Profi oder auch als Chairman des Herrenturniers am Rothenbaum zwischen 2002 und 2005, Verspätungen Methode hatten, bittet der dreimalige Wimbledonsieger zunächst um Entschuldigung für die Verzögerung. Allerdings nicht, ohne sich einen Seitenhieb auf seine zahlreichen Kritiker zu gönnen. „Natürlich war auch der Stau meine Schuld“, sagt er, und damit ist der Ton gesetzt und die Rollen sind eindeutig verteilt. Selbstironie ging ihm ja nie ab, dem Herrn Becker, der zu seinem 50. Geburtstag Ende November bekannte, nicht mehr „euer Boris“ sein zu wollen. Aber dass er im DTB der neue Fixstern ist, ist ihm schon wichtig zu betonen.
Gravierende Veränderungen
Angesprochen auf die Frage, was sich im Verband so gravierend verändert habe, dass er nach seinem 1999 im Streit auseinandergegangenen Engagement als Daviscup-Teamchef den zweiten Anlauf gewagt hat, lässt er mit seiner Antwort tief blicken. Präsident Ulrich Klaus – der freundlich lächelnd zwei Plätze weiter auf dem Podium sitzt – schwebe nicht in anderen Welten wie manch einer seiner Vorgänger, „er hat einen guten Kontakt mit der Basis.“ Die Basis, das ist Boris Becker. Und der findet, dass der Titel Head of Men’s Tennis, den es bislang im DTB noch nicht gab, „sehr gut zu mir passt“.
Zweifellos hat Boris Becker trotz all der Negativschlagzeilen, an denen in den vergangenen Jahren nicht ausschließlich die Medien die Schuld trugen, noch immer die Aura einer Lichtgestalt. Was er sagt und wie er es sagt, wird von Millionen Menschen wahrgenommen. Kamen zum DTB-Jahresausklang gewöhnlich nicht einmal ein Dutzend Fachjournalisten, war der große Medienraum im Bauch des Tennisstadions am Donnerstag fast komplett gefüllt. Auch wenn rund um seinen 50. Geburtstag ein Becker-Overkill drohte, will niemand die öffentlichen Auftritte des einstigen Lieblings der Nation verpassen, wenn dieser mal das Mobiltelefon aus der Hand legt und analog zu seinen Followern spricht.
Erste Erfahrungen mit Nachwuchsteam
Man kann sich deshalb bildlich vorstellen, was Becker von seinen ersten Erfahrungen mit dem Nachwuchsteam in Hannover berichtet. Wie er vor dem Mittagessen an der Tür des Speisesaals lauschte und die Jungs drinnen herumbrüllen hörte, „und als ich dann reinkomme, herrscht absolute Stille. Der Bundestrainer hat mir berichtet, dass die Jungs noch nie so gehorsam und willig waren wie dieses Mal“, erzählt er, und das lausbübische Lächeln auf seinem Gesicht erinnert in diesem Moment an den 17-Jährigen, dem 1985 alle Herzen zuflogen.
Genau das ist ja jetzt seine Aufgabe als Chef vom Ganzen: Dem Nachwuchs ebenso wie den Etablierten beizubringen, was es braucht, um erfolgreich zu sein im Haifischbecken Profitennis. Deutschland habe tolle Talente, „wir müssen uns vor niemandem verstecken“, und die Zverev-Brüder Alexander und Mischa hat er auch überzeugt, wieder für ihr Heimatland anzutreten. Für ihn, der zu Deutschland ein durchaus ambivalentes Verhältnis pflegt, ist das gar nicht so leicht. Aber trotz Offerten anderer Verbände fühle er sich „im DTB zu Hause, die neue Rolle passt zu mir“.
Zu den besten drei Nationen zählen
Natürlich handelt er in Absprache mit den Trainern und in enger Kooperation mit der langjährigen Bundestrainerin Barbara Rittner (44), die zeitgleich im August zum Head of Women’s Tennis befördert worden war. Aber letztlich sagt jetzt er, wo es langgeht, und er hatte in Hannover das Gefühl, „dass die Jungs meine Ratschläge schnell verstanden und umgesetzt haben“. Er kennt zwar noch nicht alle Namen der acht Youngster im Talentteam des DTB, aber wenn der Herr Becker den neuen Boris findet, bleibt ja immer noch genug Zeit, sich den Namen zu merken.
Das Ziel, das Präsident Klaus nach seiner Wiederwahl im November für den mitgliederstärksten Tennisverband der Welt formuliert hat, ist ein ehrgeiziges. „Wir wollen innerhalb der nächsten Jahre zu den besten drei Nationen der Welt zählen. Der wichtigste Faktor dafür ist, dass wir Boris dazubekommen haben“, sagt Klaus. Kein Wunder also, dass ein lausiger Stau Herrn Becker die Laune nicht verhageln kann.