Amstelveen. Bundestrainer Jamilon Mülders spricht vor dem EM-Halbfinale über “krasse Gruppendynamik“. Zwei Hamburgerinnen prägen das Team.
Durchschnittlich Sportinteressierte ohne Faible für eine besondere Disziplin begleiten Randsportarten für gewöhnlich in Vierjahreszyklen. Das geben die fünf Ringe so vor, auch Hockeyspieler erfahren nur bei Olympischen Spielen mehr Aufmerksamkeit als sonst. Es kommt daher nicht von ungefähr, wenn mit dem größten Sportereignis der Welt die Entwicklung einer Mannschaft als beendet betrachtet wird und ein personeller Umbruch den Rhythmus danach neu in Gang setze.
Für Jamilon Mülders kommt so eine Sichtweise nicht in Betracht: Die deutschen Hockey-Damen, die der 40-Jährige als Bundestrainer zu verantworten hat, seien immer Veränderungen ausgesetzt, ihr Leistungssport habe dadurch zwangsläufig keinen Anfangs- oder Endpunkt. Die Spielerinnen könnten aber eine Ära prägen – und inmitten einer solchen sieht sich Mülders mit seinem Team gerade.
„Wir haben hier eine der stabilsten Damen-Nationalmannschaften der Geschichte“, sagt der Berliner stolz vor dem EM-Halbfinale gegen Belgien am Donnerstag (17 Uhr/Sport1). Belegen kann er diese Einschätzung auch: Das Turnier in Amstelveen ist das sechste in Serie, in dem seine Mannschaft unter den letzten Vieren ist. Ein Sieg über den Außenseiter am Donnerstag würde die sechste Medaille und mit aller Wahrscheinlichkeit das Traumfinale gegen Gastgeber Niederlande am Sonnabend bedeuten. Mülders sieht damit den Auftrag, den er vom Deutschen Hockey-Bund nach dem enttäuschenden siebten Platz bei den Olympischen Spielen in London als Bundestrainer-Nachfolger des Hamburgers Michael Behrmann übernommen hat, als erfüllt an.
Hockey-Damen beständiger Medaillenanwärter
„Ziel war es, Wettkampfstabilität über einen langen Zeitraum zu erreichen, technisch und athletisch starke Spielerinnen zu entwickeln. Es gibt keinen größeren Nachweis, als mit der mit Abstand jüngsten Mannschaft des Turniers (22,4 Jahre, die Red.) wieder im Halbfinale zu stehen.“
Auch wenn in seine Ägide noch ein achter Platz bei der WM 2014 fällt, hat Mülders aus den deutschen Damen erstmals seit dem Olympia-Gold 2004 wieder einen beständigen Medaillenanwärter geformt, wie bei der EM 2013 (Gold) und Olympia in Rio (Bronze) eindrucksvoll zu sehen war. „Wir sind viel mehr mit eingebunden“, beschreibt Janne Müller-Wieland, 30 Jahre alte Kapitänin mit der Erfahrung von rund 270 Länderspielen, die größte Veränderung. Mülders fordere Selbständigkeit und biete dafür Mitspracherecht.
„Man lernt bei ihm, zu entscheiden“, erzählt die Spielerin des Bundesligisten Uhlenhorster HC Hamburg, „wenn auf dem Platz nur drei, vier Spielerinnen sind, die das verstehen, kommst du nicht so weit, als wenn das jeder hinkriegt.“
Jana Teschke (26), ebenfalls vom UHC aus Hamburg, sieht alle Spielerinnen mit ins Boot geholt: „Wir haben eine krasse Gruppendynamik. Wir dominieren nicht aufgrund von zwei, drei Einzelspielerinnen, sondern sind immer dann gut, wenn wir als Kollektiv funktionieren.“ Das mache es auch einfacher, junge Talente wie die Mülheimerin Teresa Martin Pelegrina einzubauen. „Er vermittelt uns Jüngeren das Gefühl, dass wir uns etwas zutrauen sollen und auch Fehler machen dürfen. Aber gleichzeitig kommen da natürlich auch Ansagen, wenn etwas nicht klappt“, sagt die 19-Jährige.
Mülders selbst weiß, wie es ist, Teil einer erfolgreichen Nationalmannschaft zu sein. 2002 wurde der in Krefeld bei den Großeltern aufgewachsene Sprössling mit niederländisch-äthiopischen Wurzeln selbst Weltmeister. Nach nur 42 Länderspielen, ungewöhnlich wenig für Hockeyspieler mit seinen Fähigkeiten, war dann wieder Schluss.
Daraus abgeleitet sei für seine Damen daher auch nicht entscheidend, ob eine Spielerin mal ganz ihre Karriere beende oder kürzer trete: „Entscheidend ist, dass wir unsere Kultur des Miteinanders pflegen. Da sind die Mädels unglaublich selbständig und gierig.“ Und in dem Punkt sieht Jamilon Mülders erst recht keinen Endpunkt für seine Mannschaft.