Hamburg. Nach einem Jahr Pause will Ruder-As Eric Johannesen wieder angreifen – doch zuvor musste er den Medizincheck bestehen.

Schweiß und Speichel sind in die Maske gelaufen, die er über Mund und Nase geschnallt hat. Eric Johannesen keucht, er prustet, dann bittet er um Abbruch der Übung. Es wird der einzige Moment innerhalb von vier Stunden bleiben, in dem der Hamburger Ruder-Olympiasieger von 2012 eine Schwäche zeigt. Sofern man es Schwäche nennen darf, wenn ein Mensch bei 500 Watt Widerstand auf dem Fahrradergometer nicht mehr weitermachen kann – nicht weil die Muskeln übersäuern, sondern weil ihn schlicht die Maske zu sehr beengt.

Eric Johannesen hat seit dem Gewinn der Silbermedaille mit dem Deutschland-Achter bei den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro vor fast genau einem Jahr keinen Wettkampf mehr bestritten. Der 29-Jährige vom RC Bergedorf brauchte eine Pause vom Leistungssport, um sein duales Studium voranzutreiben. 2018 macht er an der Hamburg School of Business Administration (HSBA) seinen Bachelor, in Dreimonatsblöcken arbeitet er zudem für den Schiffsversicherungsmakler Georg Duncker.

Mit Radfahren fit gehalten

Er hat sich mit Ausdauersport wie Radfahren fit gehalten, doch in dieser Woche will er ins spezifische Rudertraining einsteigen, um im November wieder voll im A-Kader angreifen zu können. 2020 in Tokio an der Seite seines Bruders Torben (22) eine letzte Olympiamedaille zu holen, das ist sein sportliches Ziel.

Um die vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) jährlich geforderte Sporttauglichkeitsbescheinigung zu erwerben, aber auch, um das Vertrauen in seinen Körper aufzufrischen, hat sich Johannesen an diesem schwülen Augustvormittag mit Michael Ehnert verabredet. Der 54-Jährige leitet das Sportmedizinische Institut der Asklepios Kliniken und ist als Betreuer der Hamburger Olympioniken auch Johannesens Vertrauensarzt. Volle vier Stunden lang werden Ehnert und die Sportwissenschaftlerin Franziska Albrecht den 193 Zentimeter großen Modellathleten testen, und das Abendblatt darf sie dabei begleiten.

Grundgesundheit ist bestens

Bevor ein Athlet belastet wird, muss ein Ruhe-EKG gemacht werden. Außerdem untersucht Ehnert per Ultraschall alle inneren Organe sowie die Hauptschlagadern in Hals, Bauch und Becken. „Wenn wir dabei vor allem in der Herzstruktur Unregelmäßigkeiten feststellen würden, dann könnten wir keine Ausbelastung riskieren“, sagt der Internist und leitende Notarzt. Johannesen zeigt keinerlei Auffälligkeiten. Dasselbe gilt für die knapp 80 Laborwerte, die aus den 25 Millilitern Blut ermittelt werden, die dem Ruderer während des Ruhe-EKG entnommen worden waren. Dabei werden nicht nur Blutfette oder Langzeit-Zuckerwerte, sondern auch die Vitamin- und Nährstoffversorgung sowie der Status der Stresshormone geprüft.

Die Grundgesundheit ist also bestens, sodass Johannesen zum Bunkie-Test übergehen darf. Mit dessen Hilfe wird die Stabilität und Funktionalität der Rumpfmuskulatur überprüft. Diese ist für Ruderer essenziell, um Problemen mit dem Rücken vorzubeugen. Der Proband muss seine 102 Kilogramm Kampfgewicht – nur zwei mehr als zu Wettkampfzeiten – aus Rücken-, Bauch- und Seitenlage in den Ellbogenstütz wuchten und für jeweils 50 Sekunden eins der auf einer Trittbank abgelegten, gestreckten Beine anheben. Die sechs Abschnitte schafft er so locker, dass er sich dabei noch mit Albrecht und Ehnert unterhalten kann. Die beiden Aufpasser loben besonders die saubere Ausführung der Übungen und vergeben die Note „voll zufriedenstellend“.

Nun wartet der Teil, den die meisten Sportler fürchten: der Lungenfunktionstest unter Belastung, bei dem über eine Sauerstoffmaske die Atemgase gemessen werden. Dafür nutzt Johannesen, obwohl ein Ruderergometer vorhanden ist und naheliegend wäre, ein Fahrradergometer. Der Grund ist simpel: Für den allgemeinen Gesundheitscheck ist die Messung des Blutdrucks unter Belastung vorgeschrieben, und die ist auf dem Rudergerät nicht möglich, ohne die Übung alle zwei Minuten zu unterbrechen, was wiederum die Beurteilung der Herz-Kreislauf-Werte beeinträchtigen würde. Auf dem Fahrrad stört die Manschette am Oberarm nicht. Bevor Johannesen es allerdings besteigt, wird seine Lungenkapazität gemessen. Das Ein- und Ausatmungsvolumen ebenso wie die Kraft der Lunge. Mit einer Vitalkapazität von 7,65 Litern liegt der Weltmeister von 2011 bei 121 Prozent des Sollwerts für Männer seines Alters.

Was dann folgt, ist eine eindrucks­volle Demonstration von Fitness. Bei 50 Watt startet der Test, alle zwei Minuten wird die Belastung um 50 Watt erhöht. Bei 250 Watt, wenn Normalsterbliche längst Probleme haben, die avisierte Tritt­frequenz zu halte, oder gar abbrechen müssen, arbeitet Johannesen noch im aeroben­ Bereich. Das bedeutet, dass die Muskelenergie unter vollständigem Abbau von Glukose bereitgestellt wird. Seine anaerobe Schwelle, von der an Laktat (Milchsäure) die Muskulatur übersäuert und die Fettverbrennung verlangsamt, erreicht er bei 450 Watt.

Sein Blutdruck ist lehrbuchartig. Der systolische Wert (maximaler Druck beim Blutausstoß in die Aorta) steigt langsam und proportional zur Belastung, während der diastolische Wert (niedrigster Druck vor nächstem Blutausstoß) zunächst sinkt. „Das ist Ausdruck einer hervorragenden Ökonomie der Herzarbeit“, sagt Ehnert, der zusätzlich auf die Muskelspannung und die Körperhaltung achtet, um mögliche Dysbalancen zu erkennen – die es natürlich nicht gibt bei Johannesen. Seine hundertprozentige Ausbelastung, den Richtwert von 191 Herzschlägen pro Minute, erreicht er ebenfalls bei 450 Watt, kurz darauf stoppt die schweißgetränkte Maske den Test. Schon nach einer Minute Ausradeln baut sein Körper wieder Laktat ab, was ein Zeichen für gute Regenerationsfähigkeit ist.

Reaktionstests und Koordinationsübungen

Zum Abschluss der Gesundheitsprüfung stehen internistische, orthopädische und neurologische Tests an. Ehnert prüft Kiefer- und Stirnhöhlen, Innenohr- und Rachenraum. Er checkt die Mobilität der Halswirbelsäule und aller Gelenke sowie die Muskelkraft in Schultern, Armen und Beinen, die Hüftrotation und den Reflexstatus. Eine mit Ultraschall überprüfte Schwellung am Schlüsselbein erklärt Johannesen mit dem Umsetzen der Langhantel beim Krafttraining. Interessant sind die Reaktionstests und Koordinationsübungen, bei denen der Athlet mit geschlossenen Augen in schneller Folge seine Nasenspitze berühren oder mit ausgestreckten Armen und wechselseitig angezogenen Knien eine 360-Grad-Drehung vollziehen muss. Auch das gelingt ihm so gut, dass es spielend leicht wirkt.

Laborwerte sind sensationell

Entsprechend fällt das Abschlusszeugnis aus. „Das war ein absolut zufriedenstellender Test“, sagt Ehnert, „seine Statik ist hervorragend, die Organe alle top, Blutdruck, EKG, Atemgase und Laktat unter Belastung sowie sämtliche Laborwerte sind sensationell.“ Der Mediziner rät, die hinteren Oberschenkelmuskeln und den Hüftbereich noch etwas besser zu dehnen und das Zwerchfell zu trainieren, um die Atmung zu optimieren, dann überreicht er die Sporttauglichkeitsbescheinigung an seinen Hochleistungspatienten.

„In drei Monaten will ich wieder auf dem Level sein, um mit den anderen mithalten zu können“, sagt Eric Johannesen noch, bevor er geht. Daran zweifelt niemand in diesem Raum.