Ein halbes Jahr lang begleitete das Abendblatt vier Hamburger Sportler bei ihrer Vorbereitung auf die Olympischen Spiele. Alle kehren mit einer Medaille aus Rio zurück. Im letzten Teil der Serie ziehen sie Bilanz

Mit der Schlussfeier am Sonntagabend waren die Olympischen Sommerspiele auch für die vier Hamburger Teilnehmer beendet, die das Abendblatt seit einem halben Jahr auf ihrem Weg nach Rio begleitet hatte. Die Bilanz von Beachvolleyballerin Laura Ludwig, Hockeyspielerin Lisa Altenburg, Ruderer Eric Johannesen und Boxer Artem Harutyunyan ist unglaublich: Alle kommen mit einer Medaille zurück (die ARD überträgt von 12.15 Uhr an den Empfang der Olympiamannschaft in Frankfurt). Im letzten Teil der Serie beschreiben die vier, wie sie ihre Wettkämpfe erlebt haben und was bleiben wird von den ersten Sommerspielen in Südamerika.

Laura Ludwig

Dass Brasilien ein ganz besonderes Erlebnis werden würde, das wusste Laura Ludwig schon lange vor der Anreise. Die 30-Jährige liebt das Land, das sie von Trainingslagern und Turnieren kannte, die Lebensfreude der Menschen passt perfekt zu ihrem Gemüt, in dem schlechte Laune nicht vorzukommen scheint. Und doch hätte sie sich allerhöchstens in ihren kühnsten Träumen ein solches Szenario wie am vergangenen Donnerstag ausmalen können.

„Als wir unseren Matchball verwandelt hatten, war da erst einmal nur Fassungslosigkeit“, erinnert sich die gebürtige Berlinerin an den Moment, als sie mit Partnerin Kira Walkenhorst das Endspiel des Beachvolleyballturniers gewann. 12.000 Zuschauer in der Stahlrohrarena an der Copacabana hatten in großer Mehrzahl den brasilianischen Weltmeisterinnen Agatha Bednarczuk Rippel und Barbara Seixas de Freitas den Sieg gewünscht. Doch nach dem deutlichen 21:18, 21:14-Triumph der Europameisterinnen vom HSV, die in der gesamten K.-o.-Runde ohne Satzverlust blieben, gab es fairen Applaus.

Erst auf dem Podium, als die Goldmedaille um ihren Hals hing und die deutsche Hymne gespielt wurde, habe sie begriffen, was passiert war. „Ich habe auf die Zuschauerränge geschaut und versucht zu realisieren, dass wir uns gerade den Traum vom Olympiasieg erfüllt haben. Da zieht die Arbeit von vielen Monaten wie ein Film vorbei“, sagt Ludwig.

Viel Zeit zum Genießen haben Olympiasieger nicht. „Es wartet ein Interviewmarathon, Sponsoren wollen gratulieren, Freunde und Familie natürlich auch, und dann versucht man, sich bei allen zu bedanken und ja keinen zu vergessen“, sagt Laura Ludwig. Mit ihrem Trainer- und Funktionsteam feierten Walkenhorst und sie in einem Hotel, am nächsten Abend wurde im Deutschen Haus weitergemacht. Walkenhorst, die Introvertierte im Team, brauchte irgendwann ihre Ruhe und ging. Ludwig feierte auf der Tanzfläche inmitten vieler anderer deutscher Athleten, die sie alle hochleben ließen, weiter. „Das war der Moment, in dem ich richtig genießen konnte, was wir erreicht haben“, sagt sie.

Was sie in den kommenden Monaten erwartet, kann sich Laura Ludwig nur grob vorstellen. Klar, vom 7. bis 9. September spielen sie die deutschen Meisterschaften in Timmendorfer Strand, anschließend geht es nach Toronto (Kanada) zum Finale der Weltserie. Motivationsprobleme befürchtet sie keine: „Ich glaube, dass es sich mit Goldmedaille um den Hals noch besser trainieren lässt.“

Sie wird weiterspielen mit ihrer Partnerin, das bekräftigten beide. Trainer Jürgen Wagner von einer Fortsetzung der Zusammenarbeit zu überzeugen, das steht im September auf ihrer Agenda. Dann werden auch neue Ziele definiert. 2020 als Titelverteidiger in Tokio anzutreten dürfte eines werden. Auch wenn Laura Ludwig schon dämmert, dass es für sie nichts geben wird, was einen Olympiasieg im Beachvolleyball an der Copacabana stoppen kann.

Eric Johannesen

Ist jemand, der über eine Silbermedaille enttäuscht ist, undankbar oder einfach nur ehrgeizig? Eric Johannesen (28) vom Ruder-Club Bergedorf verhehlt nicht, dass er einige Tage gebraucht hat, bis er sich über sein Ergebnis freuen konnte. „Für mich war das Schwierigste zu akzeptieren, dass die Briten so deutlich besser waren. Unser Anspruch ist extrem hoch, und auch ich persönlich will immer das Maximum erreichen“, sagt er, „wenn beides nicht klappt, ist man erst einmal frustriert.“

Im Finale am vorvergangenen Sonnabend im Lagunenstadion von Leblon hatte der Deutschland-Achter gut 1,3 Sekunden Rückstand auf Großbritannien. Das schmerzte in seiner Deutlichkeit. Dennoch kann sich Johannesen mittlerweile über Silber freuen. „Wir haben alles gegeben, und wir haben mit einem tollen Endspurt immerhin Silber vor den starken Niederländern gerettet. Insofern ist alles gut“, sagt er.

Nach dem Olympiasieg in London 2012 habe er in Rio noch bewusster gespürt, „was für ein Privileg es ist, in meiner Sportart zu den Besten der Welt gehören zu dürfen“. Ihn habe die Vielfalt des Sports tief berührt, die zweite Woche konnte er nutzen, um sich andere Wettkämpfe anzuschauen. „Ich fand die Begeisterung der Brasilianer toll und hatte mehrfach Gänsehaut“, sagt er. Dennoch habe er angesichts der weiten Wege zwischen den Austragungsstätten mehrfach mit Wehmut an die vertane Chance gedacht, in Hamburg die Sommerspiele 2024 auszurichten.

Wie es für ihn weitergeht nach der Rückkehr nach Hamburg an diesem Montag, hatte Eric Johannesen schon vor den Spielen entschieden. Er wird ein Jahr Wettkampfpause einlegen und sich zunächst auf sein Studium und den Job beim Schiffsversicherungsmakler Georg Duncker konzentrieren. „Wenn ich spüre, dass ich das Rudern nicht vermisse, kann es sein, dass ich aufhöre. Aber realistisch ist das nicht“, sagt er. Realistischer ist, dass er in Tokio 2020 ein drittes Mal antritt. Aber nicht, um den Medaillensatz zu komplettieren. Sondern, um noch einmal Gold zu holen.

Lisa Altenburg

Es war eins dieser Bilder, die unvergessen bleiben werden. Wie Lisa Altenburg am Freitag nach dem 2:1-Sieg im Spiel um Platz drei gegen Neuseeland mit ihrer drei Jahre alten Tochter Sophie über den blauen Kunstrasen im Stadion von Deodoro tanzt und die Kleine im Pulk der deutschen Hockeydamen dazu animiert, vor dem Fanblock die Welle mitzumachen. „Ich war so froh, dass sie diesen Glücksmoment mit mir teilen konnte“, sagt die Torjägerin vom Uhlenhorster HC.

Als junge Mutter zu Olympischen Spielen zu reisen, das ist mental eine Belastung, zumal Ehemann Valentin Altenburg als Herren-Bundestrainer auch keine Zeit zur Kinderbetreuung hatte. Aber weil die Eltern die kleine Tochter für die komplette Dauer der Spiele in Rio bespaßten und sie zu jeder Partie auf die Tribüne mitnahmen, hatte Lisa Altenburg den Kopf frei für die Mission Medaillengewinn.

Und weil sie mit drei Toren beste Schützin im deutschen Bronzeteam war, ist der Anteil der 26-Jährigen an der Medaille immens. Dass es tatsächlich zu Bronze reichte, konnte die Nationalstürmerin kaum fassen. „Hätte uns das jemand vor dem Turnier angeboten, hätten wir sofort eingeschlagen. Es ist unglaublich, wie wir uns als Mannschaft entwickelt haben“, sagt sie.

Um von der Atmosphäre in der Olympiastadt noch ein paar Reste aufzusaugen, bleibt die Familie noch eine Woche in Rio. Anschließend geht es im September in einen Portugal-Urlaub. Dort will sich Lisa Altenburg Gedanken darüber machen, ob ein weiterer Olympiazyklus in ihre berufliche und private Lebensplanung passt. „Vier Jahre sind, auch angesichts meiner Verletzungsanfälligkeit, eine lange Zeit. Aber wenn ich das Potenzial des Teams sehe, dann kann ich mir sehr gut vorstellen, dass ich noch einmal angreife“, sagt sie.

Artem Harutyunyan

Auf seine Medaille musste Artem Harutyunyan am längsten warten. Erst am Sonntag nach dem Finale konnte sich der Halbweltergewichtler vom TH Eilbeck mit Bronze schmücken, obwohl er schon am Freitag nach dem gegen Lorenzo Collazo Sotomayor aus Kuba verlorenen Halbfinale aus dem Turnier geschieden war. Und so hatte Harutyun­yan (26) zwei Tage Zeit, um das Geschehene sacken zu lassen.

„Es ist unfassbar, dass es meinem Team und mir gelungen ist, den Traum von der Olympiateilnahme mit einer Medaille zu krönen“, sagt er. Jahre voller Entbehrungen liegen hinter dem gebürtigen Armenier, der 1991 mit seinen Eltern und Bruder Robert nach Hamburg geflohen war. Dass sein Bruder, der im Leichtgewicht die Rio-Teilnahme knapp verpasst hatte, als Betreuer am Ring dabei sein konnte, war für die Familie ein emotionaler Moment. „Es wird dauern, bis wir das verarbeitet haben“, sagt Artem Harutyunyan.

Die Zeit dafür soll er sich nehmen. Trainer Michael Timm verordnete für den Rest des Jahres striktes Boxverbot. Harutyun­yan freut sich schon sehr auf den Urlaub im Kreis der deutschen Athleten im „Club der Champions“ Ende September in Granada (Spanien), weil er die Atmosphäre im gesamten deutschen Team „wie in einer großen Familie, in der alle gleich sind“, erlebt hat.

Die Gedanken an Tokio 2020 werden sich nicht einfach ausschalten lassen. Im Gegenteil: Ein Wechsel ins Profilager ist kein Thema, Artem Harutyunyan will in der Profiserie des olympischen Weltverbands Aiba bleiben und 2017 seinen WM-Titel verteidigen. Und am 7. September geht es mit seiner Verlobten Karina für 14 Tage nach Tokio. „Dort schaue ich mir an, wo ich in vier Jahren versuchen werde, die nächste Medaille zu gewinnen.“

Der Countdown für 2020, er läuft.