Hamburg. Konkurrenzkampf um Talente für die Jugendleistungszentren wird härter. HSV und St. Pauli müssen durch Konzepte überzeugen.
Oben im Volksparkstadion hängt dieses große Schwarz-Weiß-Bild. Die Mannschaft von 1960, aufgestellt auf dem für Wohnungen geopferten Platz am Rothenbaum. „Alles Hamburger Jungs“, sagt der Führer bei den Stadionrundgängen. Die jungen Fußballfans staunen, während die älteren nicken: „Ja, damals.“
Ein Meisterteam mit Spielern nur aus Hamburg. Zahlreiche davon sogar im HSV ausgebildet und groß geworden. Sie sind ein Teil der HSV-Legende um Uwe Seeler. Zu schön, um noch wahr zu sein. „Eine Entwicklung wie die der Meistermannschaft von 1960 kann man heute vergessen“, sagt Bernhard Peters, der HSV-Direktor Sport, „dafür ist alles viel zu globalisiert.“
Jugendfußball am Wochenende. Elfjährige. Posemuckel gegen Klein Dorf. Oder so. Ein Zuschauer macht sich Notizen. Hat einen Jungen offenbar besonders im Auge. Heute ist ein weiterer Besucher gekommen, der bislang noch nicht da war. Auch der hat schon mit dem Trainer gesprochen. Scouts, Berater. Sie schwärmen aus, sie schauen, gucken, versuchen zu entdecken.
Schon im Kinderbereich hat der Wettkampf um die vermeintlich und tatsächlich größten Talente begonnen. „Ein wichtiger Teil einer guten Jugendarbeit ist eine starke Scoutingarbeit“, sagt Peters, „dazu brauchst du Fleiß und eine gute Datenbank.“ Roger Stilz, Leiter des Jugendleistungszentrums beim FC St. Pauli, weiß: „Schon ab der U14 tauchen mittlerweile die Berater auf.“
Enorme Ablösesummen sparen
Die Vereine oder GmbHs in den beiden obersten Bundesligen sind zum Betrieb eines Jugendleistungszentrums verpflichtet, die Clubs darunter können welche aufbauen. 55 dieser Zentren gibt es zurzeit bundesweit. Es ist ein knallhart kalkuliertes Geschäft. Knapp zehn Millionen Euro im Jahr kostet ein bestens aufgestelltes Nachwuchszentrum.
Nur einen Jugendlichen in das Profiteam zum Stammspieler zu entwickeln rentiert sich also schon, es spart enorme Ablösesummen. Noch besser ist es, wenn ein Verein sein Eigengewächs für teuer Geld verkauft. So wie im Sommer die TSG Hoffenheim Niklas Süle. Den hatten die Kraichgauer noch als 14-Jährigen aus der Jugend von Darmstadt 98 abgeworben. Im Sommer geht der 21-Jährige nun für 20 Millionen Euro zu Bayern München. Bingo! Jackpot!
Talente vom eigenen Club überzeugen
So was braucht man, das will man haben. Also geht es auch darum, die Eltern der gescouteten Talente vom eigenen Club zu überzeugen und den grandiosen Möglichkeiten dort. Dabei geht es viel zu oft weniger um die schulischen Möglichkeiten, das erstklassige Internat und das intakte soziale Umfeld oder Ähnliches.
Es geht auch um: Kohle. Förderverträge mit den Eltern sind absolut üblich. „Uns entgeht nicht, dass bereits zwölfjährige Kinder von Bundesligaclubs sehr aggressiv angesprochen werden. Viele bleiben auf der Strecke. Die Folgen sind seelische Verletzungen“, sagte Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der Vereinigung der Vertragsfußballer: „Es gibt Eltern, die ihre Kinder verkaufen.“
Verträge für die Väter als Scout
Verträge für die Väter als Scout oder Jobs im Werk sind keine Seltenheit. „Uns sind solche Fälle bekannt“, sagt Stilz, „wir machen das aber nicht.“ St. Pauli machte zuletzt mit den Abgängen der beiden Jugendlichen Sidnei Djalo und Sam Schreck Schlagzeilen. Djalo wurde Anfang 2015 mit 13 Jahren vom VfL Wolfsburg geholt. Sam Schreck ging vor einem Jahr mit 17 Jahren zu Bayer Leverkusen.
Keine Chance für St. Pauli. „Leverkusen hat sich sehr um den Jungen bemüht, sie haben das fantastisch gemacht“, sagte damals Berater Thies Bliemeister. Das „Bemühen“ waren laut unwidersprochenen Medienberichten etwa 40.000 Euro im Monat. Grundgehalt. St. Pauli erhielt 19.000 Euro Ausbildungsentschädigung. Der HSV musste 2009 nach drei Jahren den 17 Jahre alten Shkodran Mustafi zum FC Everton ziehen lassen. „Wir wollten ihn gerne halten, aber wenn ein Club aus England kommt, haben wir keine Möglichkeit, finanziell mitzuhalten“, sagte HSV-Sportchef Jens Todt, damals verantwortlich für den Nachwuchs.
Tendenz zu den großen Vereinen
Längst mischen aber auch die deutschen Clubs hochkarätig mit. Das dank Sponsor-Millionen aus Österreich so gut aufgestellte RB Leipzig bildet 250 Jugendliche in 17 Teams aus. Vor vier Jahren holte RB Frieder Schrof und Thomas Albeck, die jahrelang die erfolgreiche Nachwuchsabteilung des VfB Stuttgart geleitet haben. Seitdem startet RB auch in der Jugend durch. „In Leipzig nennt man Talente, die ein Jahr im Verein sind, schon Eigengewächse“, sagt Matthias Heidrich, Leiter des Nachwuchszentrums in Cottbus.
„Aktuell gibt es eine Tendenz zu den großen Vereinen, was sicherlich mit den finanziellen Möglichkeiten zusammenhängt“, weiß Stilz: „Wir sehen den Verband in der Pflicht, dass Nachwuchsarbeit für alle Vereine attraktiv bleibt. Talentförderung kann nicht nur an sechs großen Standorten funktionieren.“
Früh in Konkurrenz zu anderen Clubs
Bei den Gehältern können HSV und St. Pauli mit Clubs wie Wolfsburg, Leverkusen und Leipzig nicht mithalten, München und Dortmund sind sportlich attraktiver. „Wir stehen leider viel zu früh in Konkurrenz zu anderen Clubs“, kritisiert auch Peters: „Wir versuchen deshalb, die Spieler durch einen individuellen Plan zu überzeugen. Wir machen eine sehr gute und individualisierte Ausbildungsarbeit mit Fußball- und Persönlichkeitsentwicklung.“
Auch früher allerdings, zur Zeit der Meisterrecken auf dem Foto im Volksparkstadion, lockte schon der Erfolg die stärksten Jungs zum besten Club. „Wer in Hamburg gut war, wollte auch beim HSV spielen“, sagte der 2011 verstorbene Meisterspieler Gerd Krug einmal: „In der Jugend hat es auch wirklich Spaß gemacht. Und nach den Spielen in Ochsenzoll gab es Ochsenschwanzsuppe im Lindenhof.“ Das allerdings genügt heute längst nicht mehr.