Chapecó/Medellín. Bewegende Trauerfeiern für verstorbene Profis aus Brasilien. Hinterbliebene Spielerfrauen planen ungewöhnliche Gemeinschaftsaktion.
Sie waren 4500 Kilometer voneinander entfernt, doch in Schmerz und Trauer vereint. In Chapecó weinten verzweifelte Väter, Mütter und Freunde um die Verstorbenen, Arm in Arm mit jenen Spielern, die der Katastrophe wie durch ein Wunder entgangen waren. Die Fans sangen mit Tränen in den Augen ihre Lieder dazu. In Medellín trauerten 45.000 Menschen im Stadion von Atlético Nacional und 100.000 davor ganz in weiß, auch dort hallte der Ruf: "Vamos, vamos Chape!"
Es waren zwei parallele, zutiefst bewegende Gedenkfeiern für die 71 Opfer des Flugzeugabsturzes in Kolumbien - darunter fast die gesamte Mannschaft des brasilianischen Copa-Sudamericana-Finalisten Chapecoense.
In Chapecó versammelten sich die Trauernden am Mittwochabend in der Arena Condá, bengalische Feuer brannten in grün. In Medellín strömten die Menschen zu Zehntausenden ins weit größere Estadio Atanasio Girardot, in dem just zu dieser Zeit das Final-Hinspiel hätte angepfiffen werden sollen.
Brasiliens Außenminister José Serra bedankte sich dort mit tränenerstickter Stimme für die große Anteilnahme. Um 18.45 Uhr Ortszeit schwiegen alle gemeinsam für eine Minute, sie beteten für die drei Spieler und den Journalisten, die noch in Lebensgefahr schweben.
Kerosin-Mangel als Ursache bestätigt
Die Aufarbeitung der Katastrophe vom Dienstag läuft. Der Avro-RJ-Maschine war wenige Kilometer vor dem Zielflughafen José Maria Córdova in Medellín der Treibstoff ausgegangen, wie die zivile Luftfahrtbehörde Kolumbiens bekannt gab. "Nach dem Eintreffen am Unglücksort und der Untersuchung der Wrackteile können wir festhalten, dass das Flugzeug kein Kerosin mehr hatte", berichtete der für die nationale Flugsicherheit zuständige Sekretär Freddy Bonilla.
Die Behörden wollen nun untersuchen, warum. Beim letzten Funkkontakt hatte der Piliot der Chartermaschine zudem einen kompletten Stromausfall gemeldet. Die beiden geborgenen Flugschreiber sind zur Auswertung auf dem Weg nach Großbritannien.
Spielerfrauen lassen sich tätowieren
Die Leichname der Spieler und Betreuer werden derzeit nach Brasilien überführt, wo die Clubführung für Freitag oder Sonnabend eine Trauerfeier mit den Urnen und Särgen fast aller Opfer in der Arena Condá plant. Dazu werden rund 100.000 Menschen erwartet, darunter auch Brasiliens Staatspräsident Michel Temer.
Die hinterbliebenen Partnerinnen der Spieler verarbeiten ihren Trauer und Schmerz derweil in einer außergewöhnlichen Aktion. "Alle Spielerfrauen lassen sich das gleiche Tattoo stechen", sagte Rosangela, Ehefrau des ebenfalls ums Leben gekommenen Mannschaftskapitäns Cleber Santana. Die Tätowierung zeigt ein durch die Fluglinie eines Flugzeuges beschriebenes Herz mit dem Buchstaben "C". Gemeinsam mit anderen Spielern und deren Frauen hatte Rosangela am 9. Dezember einen Urlaub in Punta Cana geplant.
Torhüter droht zweite Amputation
In Kolumbien kämpfen die Ärzte weiter um die Überlebenden. Torhüter Jackson Follmann sei im bedenklichsten Zustand, teilte Chapecoense auf seiner Internetseite mit. Dem 24-Jährigen wurde ein Bein amputiert, es wird befürchtet, dass der Fuß auf der anderen Seite ebenfalls abgenommen werden muss.
Follmann liegt auf der Intensivstation, ebenso sein Mannschaftskollege Neto (31), dessen Zustand als "kritisch, aber stabil" beschrieben wird. Allan Ruschel (27) wurde an der Wirbelsäule operiert. Trotz der zahlreichen Verletzungen bestehe "Aussicht auf Besserung".
In kritischem Zustand befindet sich auch der Journalist Rafael Henzel. Bei allen Schwerverletzten sei die größte Gefahr eine Infektion der stark verunreinigten Wunden.
Schweigeminute in 1. und 2. Bundesliga
Der Verein erfährt weiter eine gewaltige Solidarität, auch in den Stadien der Bundesliga und 2. Liga werden die Menschen am Wochenende für eine Minute innehalten.
"Mit der Schweigeminute und dem Tragen von Trauerflor möchten wir den Angehörigen der Opfer, den Überlebenden und dem brasilianischen Fußball gegenüber unsere Anteilnahme und unser Mitgefühl ausdrücken", sagte DFL-Präsident Reinhard Rauball: "Für die betroffenen Familien, für das gesamte Land und für den Fußball in Brasilien stellt dieses Unglück eine unfassbare Tragödie dar."
Auch vor sämtlichen Champions- und Europa-League-Spielen in der kommenden Woche wird es eine Schweigeminute geben. "Diese Tragödie hat die Fußballwelt erschüttert, und wir wollen allen Betroffenen unsere Unterstützung zeigen", sagte Uefa-Präsident Aleksander Ceferin.
Das will offenbar auch Zé Roberto: Der ehemalige HSV-Profi, der mit Meister Palmeiras am vergangenen Sonntag das letzte Spiel gegen Chapecoense bestritt, soll sich dem Kontrahenten kostenlos als Spieler angeboten haben. Gleiches plant der argentinische Verband, der Profis ablösefrei zum Club aus Brasilien transferieren möchte.
Cavani für Solidaritätsaktion bestraft
Derweil sorgt in Frankreich eine Gelbe Karte für Grundsatz-Diskussionen. Beim Spiel Paris St. Germain gegen SCO Angers (2:0) hatte der Uruguayer Edinson Cavani per Elfmeter sein 100. Tor für den amtierenden Meister erzielt. Er zog sein Trikot aus, es erschien ein weißes Shirt, auf dem geschrieben stand: "ACF Fuerza" (Kraft dem Verein Chapecoense).
Der Schiedsrichter zeigte dem Torschützen regelkonform eine Verwarnung wegen Trikot-Ausziehens. Nun fordern Funktionäre, Journalisten und Fans ein Überdenken dieser rigorosen Regel, die eingeführt wurde, um politische oder religiöse Propaganda zu verhindern.
Chapecoense-Trikots gehen aus
Unterdessen gibt es einen Ansturm auf die Mitgliedschaft im Provinzklub. "In den letzten 24 Stunden wollten sich 13.000 neue Mitglieder anschließen, alle außerhalb von Chapecó", verkündete Interimspräsident Ivan Tozzo. Bislang verzeichnet der Provinzklub gerade einmal 9000 Mitglieder, die meisten davon aus der rund 210.000 Einwohner zählenden Kleinstadt im Süden Brasiliens.
Auch die Nachfrage nach den grünen Clubtrikots steigt weltweit rasant an. Doch der Ausrüster (Umbro) hat bereits keine Hemden mehr auf Lager und bat auf Facebook um Geduld, da für eine gesteigerte Produktion erst Rücksprache mit Chapecoense gehalten werden müsse.
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