„Tennis und dieses Mädchen – das gehörte zusammen“
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Kiel. Die Kielerin hat als erste Deutsche seit 20 Jahren das Finale der Australian Open erreicht. Das Abendblatt begab sich auf Spuren-Suche.
Angelique Kerberhatte keine Chance. Sie musste Tennisprofi werden. Als ihr Vater Slawomir im September 1988 seinen Job als Jugendtrainer bei der Tennisgesellschaft Düsternbrook antrat, war sie erst einige Monate alt. Die Familie bezog eine Wohnung direkt über der Gastronomie der Tennishalle in der Christian-Kruse-Straße.
„Angie konnte aus ihrem Kinderzimmer direkt auf Platz eins gucken“, erinnert sich Reinhold „Ali“ Landt, 69. Das Ehrenmitglied der TG hatte den Vater damals für den Verein in dem Kieler Stadtteil verpflichtet und der Familie auch die Wohnung vermittelt.
Mit drei, vier Jahren nahm „Angie“ erstmals den Schläger in ihre linke Hand, erinnert sich Landt, der 19 Jahre Sportwart des Tennisverbands Schleswig-Holstein war. An diesem Sonnabend (9.30 Uhr MEZ/Eurosport) steht Kerber vor dem vorläufigen Höhepunkt ihrer Karriere: dem Endspiel der Australian Open gegen Serena Williams.
Ehrensache, dass die TG Düsternbrook Kerbers Siegeszug aufgeregt verfolgt. Bereits zum Halbfínale gegen die Britin Johanna Konta gab es ein Public Viewing auf Großleinwand, zu dem auch RTL im Clubheim vorbeischaute. Für das Finale hat der Wirt ein Frühstück vorbereitet. Das „Tennismagazin“ hat sich angekündigt. Und natürlich ist auch Landt live dabei. Er hat noch vor Augen, wie Kerber immer wieder gegen die Wand spielte – „ich will fast sagen: wie besessen.“ Tennis und dieses Mädchen, das gehörte zusammen.
Große Tennis-Momente in Melbourne
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Eine ihrer ersten Trainerinnen war Susan Göttsch, 45, die zusammen mit Kerbers Mutter Beata für Düsternbrooks Damen Punktspiele bestritt. „Sie war schon damals eine Strategin“, sagt Göttsch über Kerber im Alter zwischen sechs und neun. „Sie hat nicht nur draufgehauen, sondern genau gewusst, wohin sie die Bälle spielt.“
Schleswig-Holsteins Verbandscoach Herby Horst, 59, sah das in Bremen geborene Ausnahmetalent erstmals mit zehn in Kiel bei den Landesmeisterschaften: „Ich dachte: Hoppla, die ist besonders, mit ihr dürfen wir bloß keinen Fehler machen.“ Das machte der Verband zum Glück nicht. Man förderte Kerber, die von zu Hause weniger Geld als andere mitbrachte, sehr individuell. Horst als Verbandsangestellter war zeitweise fast nur für sie da. Er ging mit ihr auf die Jugendturniertour. Bis zu ihrem Realschulabschluss holte er sie oft von der Schule zum Training ab.
Der gebürtige Südafrikaner erzählt mit einem Schmunzeln, dass sie als 14-Jährige bei einem Lehrgang des Deutschen Tennisbundes (DTB) in Bayern nicht für förderungswürdig befunden wurde, weil man ihre Athletik und Fitness nicht für ausreichend hielt. Bei einer Übung mit der Ballmaschine hätte sie immer wieder rechts, links laufen und abwechselnd Vor- und Rückhand schlagen sollen, so lange sie konnte. Die clevere „Angie“ aber nahm, weil sie nicht gern lief, die Bälle alle als „Drob-Kicks“ (Halbvolleys), um die Laufwege zu verkürzen. „Sie hat die Aufgabe gelöst“, sagt Horst und lacht. Dem DTB-Verantwortlichen missfiel das.
Viel laufen war etwas, das Kerber früher weder mochte noch brauchte. „Sie hat das Spiel einfach verstanden“, sagt Horst über die Linkshänderin. „Sie macht intuitiv fast alles richtig. Sie steht intuitiv in der richtigen Ecke.“ In der Jugend, sagt Horst, sei Kerber übrigens nicht diese Konterspielerin gewesen, als die sie bekannt und Weltklasse wurde. „Sie war als Jugendliche eine dominante Spielerin – weil sie eben so ungern lief.“ Das mutige, entschlossene Spiel, das sie im Viertelfinale gegen Viktoria Asarenka (6:3, 7:5) zeigte, „war die Angie, die ich kenne“. Horst spricht liebevoll über Kerber. „Sie ist schüchtern und steht nicht so gern im Rampenlicht wie Serena Williams. Angie ist aber wirklich ein sehr netter Mensch und hat eine angenehme Tiefe.“
Als 16-Jährige traf Kerber auf ihren Vertrauenstrainer Torben Beltz
Horst brachte Kerber als 16-Jährige mit ihrem Vertrauenstrainer Torben Beltz zusammen. Die heute 28-Jährige und der 39 Jahre alte Itzehoer arbeiten inzwischen zum dritten Mal zusammen. Er gibt ihr die Freude und das gute Gefühl, das für sie ganz wichtig ist. Er schreibt per WhatsApp: „Angie ist eine harte Arbeiterin, die aber auch viel Spaß on und off the court hat. Wir respektieren uns auf dem Platz und verstehen uns auch sehr gut neben dem Court.“ Und er animiert sie zu lustigen Wetten, einmal musste er als Einsatz Achterbahn fahren. Diesmal rasiert er sich aus Aberglauben das ganze Turnier nicht. „Es juckt und kratzt schon ein bisschen bei ihm“, freut sie sich.
In der Heimat wurde mitgefiebert. Mutter Beata wollte dem Public-Viewing-Trubel aber entgehen. „Die Familie ist sehr zurückhaltend und sehr bescheiden“, sagt Landt. Bis vor drei, vier Jahren wohnte die Mutter noch in der Wohnung über der Halle, nun hat sie ein Haus in Kiel, kümmert sich im Winter aber immer noch um die Verwaltung der Hallenplätze. Die zwei Jahre jüngere Tochter Jessica führt das Kosmetikstudio „Schönsinn“ in Kiel. Die Eltern sind getrennt. Vater Slawomir arbeitet als Trainer beim TC Boostedt nahe Neumünster. Angelique spielte auch eine Zeit lang für Olympia Neumünster und dann für den TC Alsterquelle in Henstedt-Ulzburg.
Dort war Julia Lenhart, 31, eine Teamkameradin von ihr. Beide lernten sich als Kinder im Landestraining kennen, sind beste Freundinnen. Sie fliegen alljährlich zusammen nach Mallorca. Lenhart besucht Angelique auch im polnischen Puszczykowo, Kerbers zweiter Heimat, wo die Großeltern das „Tennis Center Angie“ betreiben. Sie gehen ins Kino, shoppen, tanzen und backen Pizza. „Sie hat sich nicht verändert, sie vergisst einen nicht“, sagt Lenhart. Jetzt schlägt sie sich mal wieder jede Nacht um die Ohren. Sie bewundert an ihrer Freundin, dass sie „niemals aufgibt, sie hat diesen Willen, um den ich sie beneide.“ Lenhart leidet vorm Fernseher seit Jahren mit. „Bei mir fließen immer die Tränen vor Freude. Ich bin so, so, so stolz auf sie.“
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