Hamburg . Neue Abendblatt-Serie über Olympische Sportarten, die in Hamburg kaum jemand kennt. Folge eins: Bogenschießen.
41 Sportarten stehen derzeit bei Olympischen Sommer-Spielen auf dem Programm. Einige, wie die Klassiker Leichtathletik und Schwimmen sind schon seit den ersten Spielen in Athen 1886 auf dem Programm, andere, wie Tauziehen (1900 – 1920) sind längst nicht mehr dabei, Siebener-Rugby feiert in Rio 2016 seine Premiere, Golf sein Comeback.
Die Hamburger würden bei einer Austragung der Olympischen- und Paralympischen Spiele auch einige olympische Sportarten erleben, die in unserer Stadt nur von wenigen Aktiven betrieben werden und die zum Teil nur absoluten Insidern bekannt sind. Wer weiß schon, dass es auch in und um Hamburg Synchronschwimmer gibt, Trampolinturner oder Moderne Fünfkämpfer. Das Abendblatt stellt diese „exotischen“ olympischen Sportarten und die Athleten, die sie in Hamburg betreiben in einer Serie in den nächsten Wochen in loser Folge vor.
Größter vereinseigener Bogensportplatz steht in Hamburg
Grade kommt eine Turkish Airlines aus Richtung Norderstedt herein. So dicht, man meint, durch das Fenster die Passagiere sehen zu können – gähnt da nicht einer? „Der Fluglärm stört nicht, man blendet ihn aus“, sagt jedoch Christian Petersen von der Hamburger Bogenschützengilde (HBG). Die Sonne verschwindet rot am Horizont, die Pfeile surren, Kater Fiete schnurrt. Es ist schon eine Idylle hier draußen an der Straße Keukenstück unmittelbar neben dem Flughafen. Seit dem Bau der Ortsumgehung Fuhlsbüttel 1994 kann die HBG diesen größten vereinseigenen Bogensportplatz in Deutschland nutzen. „Es ist ein Glücksfall, dass wir dieses Gelände haben“, weiß Petersen, „ein kleines Paradies.“
Rund 325 Mitglieder hat die 1930 gegründete „Gilde“, die damit Deutschland ältester und größter reiner Bogenschützenverein ist. Sie betreiben ihren Sport in allen Arten des Bogenschießens, hochmoderne Compound-Bögen, Jagd und Feld auf Tierfiguren in einem „natürlichen“ Gelände, traditionelle Langbögen – und natürlich die olympischen Recurver-Bögen, die etwa 80 Prozent der Sportler benutzen. Die HBG startet mit einem Team in der Bundesliga, in Manfred Barth (1988) hat der Verein sogar einen Olympiateilnehmer von 1988 hervorgebracht.
Die Bögen sind aus Stahl oder einer Glasfibermischung gefertigt, ihre Größe ist nicht limitiert. Sie bestehen aus einem Leichtmetall-Mittelteil und biegsamen Wurfarmen, die aus mehreren dünnen Schichten aus Holz, syntactic-Schaum und Glas- Carbon-Fasergeweben zusammengestellt werden. Zielhilfen sind erlaubt, allerdings keine Prismen oder Linsen. Die Pfeile werden aus einer Aluminiumlegierung gefertigt und sind 65-75 cm lang.
„Das dann ruhig zu halten, ist schon eine Aufgabe“
Zwischen 10 und 90 Metern entfernt stehen die Scheiben auf dem weitläufigen Gelände, Gold ist das Ziel. Die Mitte. „Die größte Faszination ist der perfekte Schuss“, sagt Britta Nordmeyer, 51, „dann ist es ganz leicht, ganz harmonisch. Man wird süchtig nach diesem Gefühl.“ Die Technische Angestellte spannt seit elf Jahren ihren Bogen nachdem sie vorher jahrelang gesegelt war. Vor zwei Jahren nahm sie für Deutschland an den World Masters Games in Turin teil, leitet als Trainerin den Nachwuchs an. „Konzentration, Atmung, Haltung, der Wechsel aus Anspannung und Entspannung sind schon speziell“, sagt sie: „Es ist eine ganz besondere Körpererfahrung, wenn man einzelne Muskelgruppen ansteuert.“
Tatsächlich ist es erst einmal schwierig, den Bogen mit einem Arm zitterfrei gerade Richtung Ziel auszurichten. Das Visier zum Gold einstellen, mit dem Führungsauge die Mitte fixieren. Dabei gerade zu stehen. Und dann die Sehne zu spannen, weiter, bis zum Kinn, noch weiter. Das braucht Kraft. Bis zu knapp 30 Kilo kann das Zuggewicht eines olympischen Bogens betragen. „Das dann ruhig zu halten, ist schon eine Aufgabe“, weiß Britta Nordmeyer.
Cicek Akcakaya ist deshalb auf einen Compoundbogen umgestiegen. Das ist Hightech mit Zughilfen. Dadurch etwas weniger kraftaufwendig, aber hochpräzise. Die Mathematikerin hat vor neun Jahren begonnen, ist von einer ansteckenden Leidenschaft für ihren Sport. „Ich habe fünf Jahre olympisch geschossen, dann aber gemerkt, dass ich körperlich nicht mehr mithalten kann“, sagt die 44-Jährige, die deutsche Meisterschaften gewonnen hat, an Welt- und Europameisterschaften teilnahm und Co-Bundestrainerin für den Compound-Bogen ist. „Der Bogensport macht viele Menschen glücklich“, sagt sie und meint es auch so. Und noch etwas anderes ist auch für sie wichtig. Die Möglichkeit völlig abzuschalten. Die fast meditative Herangehensweise an den Sport. Wo man ganz bei sich sein muss, entspannt und doch konzentriert: „Spannen, zielen, loslassen – das ist es.“
Bogenschießen ist fast Trendsport
Mittlerweile ist Bogenschießen fast zu einem Trendsport geworden. Immer mehr Vereine bieten es an, auch japanisches Bogenschießen mit Meditationshintergrund oder „Instinktives Bogenschießen“. Das Schnuppertraining bei der HBG hat inzwischen so einen großen Zulauf, dass Anmeldungen erwünscht sind (http://www.hamburger-bogenschuetzen-gilde.de). Fiete streicht Cicek Akcakaya um die Beine, die Sonne ist fast verschwunden. Die Sehne wird gespannt, volle Konzentration und innere Ruhe. Ein Airbus der Lufthansa gleitet herab. Man hört ihn überhaupt nicht.