Baku, die Hauptstadt Aserbaidschans, putzt sich für internationale Großevents heraus – gelenkt von einem totalitären Regime.
Baku ist gut gegen Flugangst. Wer einige Male als Fahrgast in einem Taxi über die Ausfallstraßen der Hauptstadt Aserbaidschans gerast ist, der ist überzeugt davon, dass das Gefährlichste am Fliegen tatsächlich die Autofahrt zum Flughafen sein kann. Die Markierungen auf den dreispurigen Boulevards scheinen nur dafür gemacht worden zu sein, dass die Straßen nicht leer wirken. Vor der Bremse wird die Hupe benutzt, und unter all den Autofahrern, die sich hupend und Gas gebend aneinander vorbeischieben, sind die Taxifahrer diejenigen, die sich nachhaltig als Piloten für das Formel-1-Rennen zu empfehlen versuchen, das von 2016 an in Baku stattfinden soll.
Niemand allerdings sollte glauben, dass Autofahren das größte Abenteuer ist in der „Stadt der Winde“, wie das 3300 km von Hamburg entfernte Baku wegen der vom Kaspischen Meer wehenden steifen Brise genannt wird. Seit zwei Wochen ist die 2,2-Millionen-Einwohner-Metropole am größten See der Welt Gastgeber für die ersten Europaspiele der Sportgeschichte, die an diesem Sonntag zu Ende gehen. Rund 6000 Athleten, deren Betreuer und mehr als 800 internationale Medienvertreter sind zu Gast in der ehemaligen, seit 1991 unabhängigen Sowjetrepublik, die geografisch zu Vorderasien, sportpolitisch aber zu Europa gehört.
Um den internationalen Besuch nachhaltig zu beeindrucken, hat sich die Hauptstadt herausgeputzt wie ein Konfirmand, der in seinem Sonntagsanzug frisch und unbefleckt daherkommt. Der Bulvar, die Prachtstraße am Ufer des Kaspischen Meeres, lockt mit internationalen Spitzenrestaurants und einer Auswahl der wichtigsten und teuersten Mode- und Möbeldesigner der Welt. Die Altstadt mit der Stadtmauer und ihren Sandsteinpalästen ist mit Liebe zum Detail restauriert worden und wird, wenn die Sommernächte bei mehr als 20 Grad zum Flanieren locken, mit mattem Flutlicht wunderbar illuminiert.
Öl- und Gasreserven sind nicht unerschöpflich
Eine Vielzahl von Portraits des früheren Diktators Heydar Alijew, nach dem Straßen, Plätze und der Flughafen benannt sind und dem ein eigenes Museum gewidmet ist, ist abgenommen worden, um die Besucher mit dem Führerkult nicht allzu sehr zu irritieren. Über allem weht die 40 mal 20 Meter große Landesfahne am mit 162 Metern dritthöchsten Fahnenmast der Welt, der weithin sichtbar auf der Landzunge steht, auf der die Crystal Hall ins Kaspische Meer gesetzt wurde. Jene Arena, in der 2012 der Eurovision Song Contest ausgetragen wurde.
Spätestens seit jenem Tag weiß die Welt, dass Baku große Pläne hat. Jeder, der die Stadt nach ein paar Monaten Absenz erneut besucht, erkennt sie kaum wieder, so viel wird gebaut. Staatsoberhaupt Ilham Alijew, der die Präsidialrepublik seit 2003 totalitär regiert, hat erkannt, dass die Endlichkeit der Öl- und Gasressourcen, die Aserbaidschans Elite reich gemacht haben, aber voraussichtlich nur noch 40 Jahre vorhalten werden, zu einem großen Problem werden könnte. Deshalb soll aus Baku das Dubai des Kaukasus werden; eine glitzernde Traumwelt, die Touristen aus aller Welt anzieht. Dafür benötigt man Lockmittel, und Alijew hat diese im Sport ausgemacht.
Die Europaspiele sind dabei zwar der bisherige Höhepunkt, aber doch nur der Anfang. Im nächsten Jahr kommt die Formel 1, 2017 die islamischen Solidaritätsspiele, immerhin sind rund 95 Prozent der Aseri, wie die Bevölkerung Aserbaidschans genannt wird, Muslime. Das Land ist indes kein Mullah-Staat, Frauen werden nicht unterdrückt. 2020 werden Spiele der Fußball-Europameisterschaft in Baku ausgetragen, und dass die Olympischen Sommerspiele nach Aserbaidschan geholt werden sollen, ist ein offenes Geheimnis.
In den Auswahlverfahren für die Spiele 2016 (Rio de Janeiro) und 2020 (Tokio) wurde Baku nicht zur Hauptrunde zugelassen. Die Europaspiele sollten der Testlauf werden, um dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) zu beweisen, dass Baku alles kann, was es möchte. Und nach zwei eindrucksvollen Wochen zweifelt kaum jemand daran, dass die nächste Bewerbung bis September beim IOC eingehen und Baku damit ein Konkurrent Hamburgs für die Ausrichtung der Spiele 2024 werden wird.
Sportstätten halten höchsten Ansprüchen stand
Wer mit Athleten sprach in den vergangenen Tagen, der hörte eine durchweg einhellige Meinung. „Von der Organisation und der Qualität der Sportstätten und des Athletendorfs hatte das olympischen Standard“, lobte Turnstar Fabian Hambüchen, der bei der Eröffnungsfeier die deutsche Fahne tragen durfte und am Reck Gold gewann, stellvertretend für die 265 deutschen Teilnehmer. Tatsächlich hielten die 15 Sportstätten höchsten Ansprüchen stand. Sie waren bei Außentemperaturen von mehr als 30 Grad angenehm, aber nicht zu stark gekühlt. Das drahtlose Internet funktionierte besser als in vielen deutschen Arenen, und alle Inhalte des Netzes waren frei zugänglich. Die Sicherheitskontrollen wurden gründlich, aber nicht zu aufdringlich und vor allem zügig abgewickelt.
Letzteres lag vor allem daran, dass ein Heer an fleißigen Helfern bereitstand, um Ortsunkundigen den Weg zu weisen, für die Sicherheit zu sorgen, Tausende Hotelzimmer zu putzen oder die 500 eigens aus London herangeschafften, für IOC-Funktionäre kostenlosen Taxis und die Flotte der für Athleten und Medienvertreter bereitgestellten Shuttlebusse zu bewegen. Der reibungslose, verzögerungsfreie Transport einer fünfstelligen Zahl an Besuchern ist in jeder Stadt der Welt eine Herausforderung. Baku meisterte diese, weil die eigens für die Busse eingerichtete Fahrspur, die nicht durchs Zentrum, sondern über Außenbezirke zu den Sportstätten führte, von Polizisten frei gehalten wurde. Außerdem durften während der Spiele nur in Baku zugelassene Fahrzeuge auf die Straßen, was das im Alltag übliche Verkehrsaufkommen um zwei Drittel reduzierte.
Um es auf den Punkt zu bringen: Angesichts der enormen Anstrengungen verwundert es nicht, dass die wichtigsten Sportfunktionäre wie IOC-Präsident Thomas Bach, Patrick Hickey als Präsident der Europäischen Olympischen Komitees (EOC) oder Dirk Schimmelpfennig als Chef de Mission des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) Baku bescheinigten, ein ernst zu nehmender Kandidat für die Ausrichtung Olympischer Spiele werden zu können.
Doch da gibt es noch die andere Seite der Medaille.
Verletzung von Menschenrechten, totalitäres Regime
Hotel Vierjahreszeiten am Icheri Sheher, dem Altstadtring. Es ist der Donnerstag vor Eröffnung der Europaspiele, die aserbaidschanische Regierung hat zu einer Pressekonferenz geladen. Zunächst geht es um die Großartigkeit der Spiele, Sportminister Azad Rahimow parliert in bestem Englisch über die Anstrengungen seines Landes. Doch die internationalen Journalisten interessiert das wenig, sie wollen über das sprechen, was in ihren Ländern in den Wochen zuvor Thema war: die Verletzung von Menschenrechten im totalitären Alijew-Regime. Alle Fragen werden zugelassen, doch die Stimmung nähert sich immer weiter den Temperaturen, die die auf Hochtouren eingestellte Klimaanlage produziert.
Ali Hasanow, stellvertretender Ministerpräsident, bellt seine Antworten in Landessprache, die Simultanübersetzerin stolpert mehrfach über ihre eigenen Worte, so schnell muss sie sprechen. Politische Gefangene? „Gibt es nicht. Das sind alles Menschen, die gegen unsere Gesetze verstoßen haben.“ Verstöße gegen Menschenrechte und Pressefreiheit? „Alles eine Kampagne der westlichen Demokratien!“ Erst als ein einheimischer Reporter fragt, ob man sich angesichts der feindlichen Tendenzen im Westen nicht stärker Russland zuwenden müsse, hellt sich Hasanows finstere Miene auf. „Gute Frage, darüber denken wir seit längerem sehr intensiv nach!“
Mit einheimischen Journalisten ins Gespräch zu kommen, das ist schwierig. Viele wollen nicht reden; vor allem, weil sie kaum Englisch sprechen. Elgiz Nabili, der für ANS TV, den größten unabhängigen Fernsehsender des Landes, arbeitet, kann Englisch. Er sagt: „Wir sind irritiert darüber, dass im Westen so viel über Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan geredet wird, obwohl die meisten noch nie hier waren.“ Die Aseri vertrauten ihrem Staatsoberhaupt, „weil es keine Opposition gibt, der man vertrauen kann. Alijew hat Stabilität gebracht und gezeigt, dass er unser Land verteidigen und entwickeln kann“. Den USA und Europa misstrauen viele, weil sie befürchten, dass der Westen sie ausbeuten wolle. „Sie sagen: Wir haben dieses Land mit unseren Händen aufgebaut und wollen nicht, dass die EU oder die USA uns alles wegnehmen“, erklärt er.
„Stark erhöhtes Vorgehen der Regierung gegen Kritiker“
Wolfgang Büttner, Sprecher der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, bestätigt die Zahl von 80 bis 100 Regimekritikern, die nur deshalb in Aserbaidschan in Haft sitzen, weil sie Widerstand gegen die Herrschenden wagten. „Seit vergangenem Sommer beobachten wir in Aserbaidschan ein stark erhöhtes Vorgehen der Regierung gegen Kritiker. Menschen werden wegen fingierter Vorwürfe inhaftiert, Angehörige von im Exil lebenden Regimegegnern werden unter Druck gesetzt und bedroht“, sagt er.
Das von Sportfunktionären oft bemühte Argument, man müsse gerade in Ländern mit von westlichen Vorstellungen abweichendem Demokratieverständnis die Austragung von Großevents nutzen, um sich ein eigenes Bild zu machen und Missstände anzusprechen, hält Büttner für wenig stichhaltig. „Wir beobachten im Gegenteil, dass in Städten wie Peking oder Sotschi die Repressionen gegen Kritiker vor der Austragung der Olympischen Spiele zugenommen haben, um diese Menschen für die Zeit der Spiele mundtot zu machen“, sagt er.
In Baku habe der Eurovision Song Contest 2012 ebenso zu einer Verschlechterung der Lage geführt. Die Enteignung von Grundstücksbesitzern, um neue Sportstätten zu bauen, und die Ausbeutung und Misshandlung von Arbeitsmigranten für ebenjenen Zweck seien in Staaten wie Aserbaidschan Begleitumstände, die von Athleten und Funktionären zu selten wahrgenommen würden.
Aber wie sollen die Sportler, von denen reflexartig Stellungnahmen zu politischen Themen gefordert werden, auch wissen, was wirklich in einem Land wie Aserbaidschan passiert? Sie haben keine Zeit, hinter die Fassaden zu schauen. Wer das tut in Baku, der sieht eine Stadt, die abseits der prachtvollen Hauptstraßen gar nicht mehr wirkt wie der unbefleckte Konfirmand, sondern wie ein alternder Schauspieler, der mit plastischer Chirurgie eine Illusion aufrecht zu erhalten versucht.
Der sieht, dass das Heer der Helfer, deren Freiwilligkeit man angesichts von Zwölfstundenschichten mit täglich wechselndem Tag-Nacht-Rhythmus zumindest anzweifeln muss, zwar sehr bemüht ist, aber bei der Arbeit nicht fröhlich wirkt, sondern gezwungen. In den Treppenhäusern des Mediendorfs stolpert man regelmäßig über Schlafende; ob sie aus Übermüdung dort liegen oder aus Langeweile, ist unergründlich.
Der sieht auch, dass die Arenen nur beim Kampfsport gut gefüllt sind, bei vielen anderen Events dagegen trotz moderater Eintrittspreise von einem bis fünf Manat (entspricht 80 Cent bis 4,30 Euro) fast leer. Und dass die Aseri keine Freude daran haben, ausländische Sportler anzufeuern, sofern sie nicht aus dem Bruderstaat Türkei oder Georgien und Russland kommen. Aserbaidschans Volk, dieser Eindruck drängt sich auf, braucht keine Multisportspiele. Es gibt sich mit Ringen, Karate und Boxen zufrieden.
Vom Reichtum des Landes profitieren nur wenige
Aber Spiele für das Volk sind ja auch gar nicht der Antrieb für das Regime, sich für Olympia zu bewerben. Beim Volk wird der Segen der Spiele, wie ihn beispielsweise Londoner Unternehmen durch Aufträge im Wert von drei Milliarden Euro erwirtschafteten, nicht ankommen, weil vom Reichtum des Landes nur wenige profitieren. Ein Ausflug ins gut 300 km westlich von Baku gelegene Mingachevir, wo die Kanuwettbewerbe ausgetragen wurden, öffnet die Augen.
50 Kilometer hinter der Hauptstadt wird aus der sechsspurigen Autobahn eine zweispurige Straße, von der kurz vor Mingachevir eine nur notdürftig befestige Schotterpiste übrig bleibt, an deren Rand Hirten ihre Schafe durch die Steppe treiben. Wer die öffentlichen Toiletten auf einem Rastplatz an der Autobahn sieht oder die stinkenden Tümpel am Rande der Hauptstadt, in denen zerlumpte Menschen im Altöl graben, der kann sich eines Gefühls kaum entziehen: dass es abstoßend grotesk ist, Milliarden für ein Sportereignis auszugeben, wenn die Bevölkerung in derart erschütternden Verhältnissen leben muss.
Wie viel die Ausrichtung der Europaspiel-Premiere gekostet hat, ist unklar. 960 Millionen Euro, so rechnet es Sportminister Rahimov vor. Neun Milliarden Euro, sagen Kritiker. Wahrscheinlich liegt die Summe in der Mitte, aber wer allein 85 Millionen für eine Eröffnungsfeier ausgeben kann, die damit doppelt so teuer wie die der Olympischen Spiele 2012 in London war, aber nicht doppelt so gut, der wird für Olympia umso tiefer in die Tasche greifen.
Keine Frage: Baku ist bereit, für seine Visionen immer höher, immer größer, immer moderner zu bauen. Man wird, um das IOC zu überzeugen, die besten Arenen und die schönsten Hotels errichten. Die Helfer werden Englisch lernen, und wenn es sein muss, dann wird während Olympia kein Auto in der Innenstadt fahren dürfen. Aber wenn das IOC es ernst meint mit seiner Agenda 2020, die den Kampf gegen ausufernden Gigantismus und für Nachhaltigkeit ebenso propagiert wie die Einhaltung von Menschenrechten, dann sollte Baku auch 2024 nicht die Chance erhalten, das fragwürdige Sein mit dem schönem Schein der fünf Ringe zu überdecken.